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Kenia: Fleischproduktion mit Insekten

Emilie Filou
30. Juli 2020

In Kenia züchten junge Agrarunternehmer tonnenweise Larven der Schwarzen Soldatenfliege als Ersatz für Tierfutter aus umweltschädlichem Fischmehl und Soja. Kann das auch international interessant sein?

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Kenia | Black Soldier Flies | Frederick Kimathi
Bild: Emilie Filou

Nach Pflanzen sucht man im Gewächshaus von Frederick Kimathi Githua vergeblich. Anstelle von Obst und Gemüse wachsen gelbliche Larven in übereinander gestellten Plastikkisten heran. In Käfigen fliegen schwarze, wespenähnliche Insekten umher.

In seinem kleinen Betrieb in der kenianischen Hauptstadt Nairobi züchtet Frederick Kimathi Githua die Schwarze Soldatenfliege (Hermetia illucens). Das kleine Insekt mit dem langen Namen wird von Züchtern weltweit mit "BSF" abgekürzt, was für die englische Bezeichnung "black soldier fly” steht. Zweimal pro Woche verfüttert er Larven der BSF an seine Hühner und Schweine. Eine willkommene Ergänzung auf dem Speiseplan der Nutztiere, die ansonsten Abfälle vom Markt fressen.

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"Sie lieben das", sagt er. "Die Hühner rennen noch nicht mal weg; sie bleiben einfach stehen und warten, wenn ich mit den Larven rauskomme.”

Im Oktober 2019 begann Frederick Kimathi Githua damit, Fotos und Videos seiner Experimente über Aufzucht, Fütterung und Weiterverarbeitung der BSF Larven auf YouTube und Facebook zu posten. 

Seitdem er in den sozialen Netzwerken aktiv ist, findet sein Unternehmen internationale Beachtung. Der Insektenfarmer kommt mit der Auslieferung von BSF-Startersets, in denen Fliegeneier für angehende Züchter enthalten sind, kaum noch hinterher.

"Wir hatten Anrufe aus Nigeria, Ghana, der Elfenbeinküste und Italien", sagt Frederick Kimathi Githua stolz.

Frederick Kimathi Githua erklärt eine selbstgebaute Vorrichtung, in der seine Schwarzen Soldatenfliegen ihre Eier ablegen.
Frederick Kimathi Githua ist einer von 1300 Bauern und Unternehmern in ganz Kenia, der mit der Schwarzen Soldatenfliege arbeitet.Bild: Emilie Filou

Frederick Kimathi Githua ist einer von 1300 kenianischen Bauern und Unternehmern, die am Centre of Insect Physiology and Ecology (kurz ICIPE) in Sachen BSF-Produktion ausgebildet wurden. Das ICIPE ist eine Forschungseinrichtung mit Hauptsitz in Kenia. Deren erklärtes Ziel ist es, den Lebensstandard der Menschen in den Tropen mit Hilfe von Insekten zu verbessern.

Beim ICIPE forscht man bereits seit 2015 zur Schwarzen Soldatenfliege als eiweißhaltigem Futterinsekt für die Fischzucht. Dort wird bislang hauptsächlich Soja und Fischmehl verfüttert. Da beide Futtermittel erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt haben, setzt man große Hoffnungen auf die Schwarze Soldatenfliege als alternative Eiweißquelle.

Um Soja anbauen zu können, werden oft Wälder gerodet - in vielen Fällen illegal. Eine kürzlich erschienene Studie zeigt zum Beispiel, dass ungefähr ein Fünftel der Menge an Soja, die jedes Jahr aus dem brasilianischen Amazonas und der angrenzenden Cerrado Region in die Europäische Union exportiert wird, auf gerodeten Feldern wächst.

Auch Fischmehl, das aus getrockneten und gemahlenen Fischteilen und anderen Meerestieren besteht, belastet die Umwelt. Weltweit werden 20% der Fische und Meerestiere aus Wildfang nicht für die menschliche Ernährung genutzt, sondern an Tiere verfüttert. Weil ein Drittel der weltweiten Fischbestände bereits überfischt sind, ist eine Alternative zum Fischmehl dringend notwendig.

Als Futtermittel schneidet die Schwarze Soldatenfliege im Vergleich zu Fischmehl und sogar zu Soja besser ab. Das Insektenforschungszentrum ICIPE bescheinigt dem Futterinsekt BSF weniger belastend für die Umwelt zu sein, weil es sich von Abfallprodukten ernährt, schnell wächst, einen hohen Eiweißgehalt hat und direkt vor Ort auf wenig Fläche gezüchtet werden kann.

Insekten an Nutztiere zu verfüttern ist außerdem effizienter, weil das Verhältnis von eingesetztem Futtermittel in Relation zur Menge des erzeugten Fleischs besser ist als etwa bei Fischmehl.

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Regionales Produkt

Charles Mwendia leitet die Futtermittelfirma "Treasure Feeds" und füttert bereits seit mehreren Jahren Geflügel und Schweine mit BSF-Larven anstatt mit Fischmehl. Grund für die Umstellung war die schlechte Qualität des Omena, des kleinen Süßwasserfischs, der in Kenia zu Fischmehl verarbeitet wird und zusammen mit anderen Zutaten als Futtermittel zum Einsatz kommt. Alle anderen Proteinquellen im Tierfutter-Bereich werden importiert, wie etwa Soja oder die sogenannten Presskuchen, die ein Nebenprodukt der Sonnenblumenöl- oder Baumwollsaatöl-Produktion sind.

Maryann Wanga zeigt eine Handvoll Schwarze Soldatenfliegen in der Firma Insect Research Limited.
Maryann Wanga sieht es als Herausforderung, ältere Bauern davon zu überzeugen, das konventionelle Futter zu ersetzen.Bild: Emilie Filou

"BSF ist die erste lokal produzierte Proteinquelle", sagt Charles Mwendia. Regionalität ist ein großer Pluspunkt während der weltweiten Corona-Pandemie, die deutlich zeigt, wie störanfällig internationale Lieferketten sind.

Den Bedarf an bezahlbaren Futtermitteln in ganz Kenia komplett mit BSF-Larven zu decken, ist eine große Herausforderung, wie Chrysantus Tanga weiß. Sie arbeitet in der Insektenforschungseinrichtung ICIPE zur Schwarzen Soldatenfliege. 180.000 Tonnen Protein werden in Kenia jährlich für Futtermittel benötigt, eine riesige Menge. Die Hälfte des Futtermittelmarktes besteht derzeit aus tierischem Protein, die andere aus pflanzlichem wie beispielsweise Soja.

"[Tierisches Protein] ist das Segment, das wir ersetzen möchten", so Chrysantus Tanga. Aber wenn man nur 15% des Bedarfs an tierischem Protein in Kenia mit BSF-Larven ersetzen wollte, bräuchte man 13.500 Tonnen Larven pro Jahr. Tanga gibt zu, dass selbst große Zuchtbetriebe derzeit lediglich 1000 bis 2000 Tonnen jährlich produzieren können. Bis man eine entsprechend große Insektenpopulation herangezüchtet habe, um den Larvenbedarf zu decken, werde noch viel Zeit nötig sein.

Viel tierisches Eiweiß für wenig Geld

Maryann Wanga arbeitet bei der kleinen Firma Insect Research Limited, die Schwarze Soldatenfliegenlarven als alternatives Futtermittel für die Tierzucht produziert und vermarktet. Es sei schwierig, ältere Bauern zu Veränderungen beim Tierfutter zu bewegen, weiß die gelernte Tierärztin. "Wissen Sie, die ältere Generation bezeichnet die Larven als Würmer," sagt sie. "Wir müssen ihnen viel erklären und Überzeugungsarbeit leisten."

Maryann Wangas Arbeitgeber Insect Research sitzt ebenfalls in Kenia. Um den Bauern zu beweisen, dass die angebotene Alternative funktioniert, betreiben sie eine eigene Schaufarm. Die Schweine, die mit BSF-Larven gefüttert werden, erreichen das Schlachtgewicht einen Monat früher als die, die konventionelles Futter bekommen. So können die Bauern auch ihre Ausgaben für Futtermittel um 15% senken.

Kimani Mungai hat das Unternehmen Insect Research Limited gegründet, nachdem Mitarbeiter der Forschungseinrichtung ICIPE in der Firma seiner Familie Happy Feed waren, um Treber zu kaufen - ein Abfallprodukt, das beim Bierbrauen anfällt und aus Malzrückständen entsteht. Sie wollten damit keine Nutztiere füttern, wie allgemein üblich, sondern die Larven der Schwarzen Soldatenfliege.

So lernte Kimani Mungai die BSF-Larven kennen und erfuhr, dass die entweder direkt verfüttert oder getrocknet einer Tierfuttermischung beigefügt werden können. Weil die Insektenlarven 40% günstiger sind als Fischmehl und einen ähnlichen Nährstoffgehalt haben, beschäftigte sich Kimani Mungai weiter damit.

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Seit der Gründung vor 18 Monaten produziert Insect Research vier Tonnen Larven jeden Monat. Im Gewächshaus des Unternehmens gibt es reihenweise bunte, übereinander gestapelte Kisten. Darin werden die Larven mit einer Mischung aus Kartoffelabfällen, Treber und Schweinemist gemästet. Die ausgewachsenen Fliegen werden in großen, mit Fliegengitter umspannten Käfigen gehalten, wo sie ihre Eier ablegen.

Arbeiter bei InsectIpro verladen Treber auf eine Schubkarre. Das Nebenprodukt aus der Brauerei wird zu einem Futtersubstrat verarbeitet, mit dem die Larven der Schwarzen Soldatenfliege gefüttert werden.
Große Unternehmen wie InsectIPro produzieren 1.000 - 2.000 Tonnen Futtermittel pro Jahr.Bild: Emilie Filou

Kenia ist nicht das einzige Land, in dem es immer mehr Interessenten für die Schwarze Soldatenfliege gibt. Beyhan de Jong von der niederländischen Rabobank hat beobachtet, dass Firmen in Nordamerika, Europa und Südafrika in den letzten Jahren Millionen US-Dollar in Produktionsstätten für BSF-Larven investiert haben.

BSF: Eine nachhaltige Lösung?

Beyhan de Jong, deren Arbeitgeber auf die Agrar- und Landwirtschaftsindustrie spezialisiert ist, gibt zu bedenken, dass die Produktionsmenge von BSF-Larven immer noch vergleichsweise gering sei. Hohe Investitionskosten beim Aufbau neuer Produktionsstätten bremsten das Wachstum, so die Branchenanalystin. Das gelte selbst für Länder wie Kenia, in denen Löhne niedrig und Energiekosten wegen des tropischen Klimas gering sind. Technische Ausrüstung wie Trockengeräte zur Weiterverarbeitung der Larven seien teuer.  

Andere sind skeptisch, was den Einsatz von BSF-Larven angeht. "Es erschließt sich mir nicht, warum man ein Tier mit einem anderen Tier füttern sollte", sagt Brett Glencross von der schottischen University of Stirling. "Die beste Lösung, die es derzeit im Bereich neuer Technologien gibt, sind einzellige Bakterien, die Proteine herstellen. Sie konkurrieren nicht mit unserer Nahrungskette", sagt der Ernährungswissenschaftler, der am Institut für Aquakultur arbeitet. "Diese Bakterien brauchen kein Protein, um Proteine zu erzeugen: Sie stellen es selbst her. Das können nur Bakterien und Pflanzen." Von Bakterien hergestelltes Eiweiß kann an Fische, an Nutztiere wie Milchkühe oder Rinder und an Haustiere verfüttert werden.

Die Befürworter der Schwarzen Soldatenfliege beklagen immer wieder strenge Regularien. Die Branche versucht nun Einfluss auf die Politik in Kenia zu nehmen. Es soll leichter werden, einen solchen Betrieb zu eröffnen.

Trotz aller Hürden ist die BSF-Wissenschaftlerin Chrysantus Tanga optimistisch: "Wir haben in Kenia und Uganda Standards [für BSF-Larven in Tierfutter] gesetzt. Ein einmaliger Vorgang in ganz Afrika. Davor galten Insekten im Tierfutter als eine verunreinigende Substanz! Wir sind seitdem ein großes Stück vorangekommen."