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Wende in Rekordzeit

Roman Goncharenko, Julia Wischnewezkaja8. August 2016

Das Treffen der Präsidenten Russlands und der Türkei beendet die Eiszeit zwischen beiden Ländern, die der Abschuss eines russischen Kampfjets ausgelöst hatte. Das Tempo der Wiederannäherung überrascht Experten.

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Türkei Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin ARCHIV
Bild: picture alliance/dpa/S. Guneyev

Das frostige Klima zwischen Russland und der Türkei dauerte rund sieben Monate, die Erwärmung nur knapp sechs Wochen. Wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag nach Russland reist und seinen Kollegen Wladimir Putin trifft, werden beide eine Wende um 180 Grad vollzogen haben. Für Erdogan ist es das Ende eines Gangs nach Canossa - oder, konkret, in Putins Heimatstadt Sankt Petersburg.

Der Kniefall begann Ende Juni mit einem Brief an Putin. Darin bedauerte Erdogan, dass die türkische Luftwaffe am 24. November 2015 einen russischen Kampfbomber vom Typ Su-24 an der türkisch-syrischen Grenze abgeschossen hatte, und entschuldigte sich bei den Familien der Opfer.

Der Abschuss, bei dem zwei russische Militärs ums Leben kamen, kühlte die Beziehungen zwischen den bis dahin engen Partnern beispiellos ab. Russland reagierte unter anderem mit einem Einfuhrverbot für türkische Lebensmittel und strich alle Charterflüge in das Ferienland, das bei Millionen Russen beliebt ist. Außerdem legte Moskau zwei Großprojekte auf Eis: den Bau einer Gaspipeline durch das Schwarze Meer und den eines Atomkraftwerks. Wie es mit diesen Vorhaben weitergeht, werden nun Putin und Erdogan persönlich entscheiden.

Russischer Rückhalt nach dem Putsch

Die Wiederannäherung ist umso überraschender, wenn man bedenkt, wie die beiden Seiten noch vor kurzem miteinander umgegangen sind. Erdogan hatte nach dem Abschuss des Kampfjets betont, sein Land dulde keine Grenzverletzungen. In den Wochen zuvor hatte Ankara mehrmals dagegen protestiert, dass russische Bomber den türkischen Luftraum an der Grenze zu Syrien verletzten. Im Westen wuchs die Sorge vor einem militärischen Konflikt zwischen Russland und dem NATO-Mitglied Türkei.

Abschuss eines russischen Kampfjets im türkisch-syrischen Grenzgebiet (Foto: HABERTURK TV CHANNEL, dpa - Bildfunk)
Der russische Kampfjet wurde vom türkischen Militär im türkisch-syrischen Grenzgebiet abgeschossenBild: picture-alliance/dpa/Haberturk Tv Channel

Putin bezeichnete den Abschuss als "Dolchstoß in den Rücken". "Allah hat beschlossen, die regierende Clique in der Türkei zu bestrafen und hat ihr den Verstand geraubt", schimpfte er in einer Rede Anfang Dezember 2015. Außerdem warf Moskau der türkischen Führung vor, in Ölgeschäfte mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" verwickelt zu sein. Fast täglich wetterte das russische Staatsfernsehen gegen Erdogan. Ein bekannter Rechtspopulist schlug im Parlament sogar vor, eine Atombombe auf den Bosporus zu werfen, um die türkische Millionenmetropole Istanbul "wegzuspülen".

Weggespült ist offenbar seit einigen Wochen der russische Zorn. Nur wenige Tage nach seinem Brief an Putin telefonierte Erdogan wieder mit dem russischen Präsidenten. Dabei vereinbarten sie das persönliche Treffen, das nun stattfindet. Außerdem hob Putin das Verbot für Charterflüge in die Türkei auf. Seit Ende Juli strömen wieder russische Touristen an die türkischen Strände. Nach dem misslungenen Putsch des türkischen Militärs gab es ein weiteres Telefonat, diesmal auf Initiative Moskaus. Putin stärkte Erdogan demonstrativ den Rücken.

Ankara erfüllt Moskaus Bedingungen

Solche "Purzelbäume in den russisch-türkischen Beziehungen" könnten sogar erfahrene Beobachter verwirren, schreibt der Moskauer Experte für Außenpolitik, Fjodor Lukjanow, in einem Zeitungsartikel. "Bei Bedarf können die schärfsten Worte einfach vergessen werden", stellt der Chefredakteur der Fachzeitschrift "Russland in der globalen Politik" fest.

Möglich sei dies unter anderem, weil die Türkei neben einer formellen Entschuldigung auch zwei weitere Bedingungen Moskaus zumindest teilweise erfüllt habe, sagen russische Beobachter. So seien die für den Abschuss des russischen Kampfbombers verantwortlichen türkischen Militärpiloten in Haft. Außerdem ließe Ankara durchblicken, bereit zu sein, über eine Entschädigung zu sprechen.

Türkei-Gazprom-Pipeline (Foto: picture alliance/dpa)
Auf Eis gelegt: Gaspipeline von Russland in die Türkei durchs Schwarze MeerBild: picture-alliance/dpa

Annäherung mit Hindernissen

Russische Experten gehen davon aus, dass die aktuellen Entwicklungen in der Türkei das Land jetzt noch stärker in Richtung Moskau treiben. Gemeint ist die Kritik der EU, der USA und des Westens insgesamt an Erdogans Beschneidung der Demokratie nach dem gescheiterten Putsch. Russland könnte sogar zu einer neuen Stütze für die Türkei werden, meint Viktor Nadein-Rajewskij vom russischen Institut für politische und soziale Studien des Schwarzmeer-Raums und der Kaspischen Region. "In jüngster Zeit war von einer Mitgliedschaft der Türkei in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit und in der Eurasischen Wirtschaftsunion die Rede", sagte er der Deutschen Welle. In beiden Organisationen sei Russland die treibende Kraft.

Nadein-Rajewskij glaubt, dass die russisch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen "relativ schnell" wieder hochgefahren werden könnten. Die politische Wiederannäherung werde hingegen schwieriger sein. "Das Hauptproblem heißt Syrien", betonte der Experte. Die Türkei wolle einen Regierungswechsel in Damaskus, während Russland den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad stütze, auch militärisch.