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Politik

Pro und Contra Videoüberwachung

6. März 2017

Am Donnerstag wird der Bundestag über Gesetze abstimmen, die kurz nach dem Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt auf den Weg gebracht wurden. Ob sie mehr Sicherheit bringen, ist unter Experten umstritten.

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Symbolbild Videoüberwachung
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Kurz vor Heiligabend demonstrierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière Entschlossenheit: Zwei Tage nachdem der islamistische Attentäter Anis Amri mit einem gestohlenen Lastwagen elf Weihnachtsmarkt-Besucher und den LKW-Fahrer ermordet hatte, legte er ein neues Sicherheitspaket vor. Mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum und mobile Videotechnik für Bundespolizisten sollen die Gefahrenabwehr verbessern - hofft der Christdemokrat. Dass die Gesetze am Donnerstag beschlossen werden, gilt als sicher. Denn auch die mit der Union koalierenden Sozialdemokraten sind dafür. Ihr noch amtierender Parteichef, Außenminister Sigmar Gabriel, sprach sich zu Jahresbeginn ebenfalls für mehr Videoüberwachung aus.

Präventive Wirkung von Videokameras - ein "Mythos"

Die Bedenken mancher Experten, die am Montag bei einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses im Bundestag zu hören waren, dürften keine entscheidende Rolle mehr spielen. Am deutlichsten wurde dabei der Hamburgische Datenschutz-Beauftragte Johannes Casper. Die von den Befürwortern erhoffte präventive Wirkung von mehr Videokameras auf Straßen und Plätzen, Bahnhöfen und Stadien hält er für einen "Mythos". Terroristen, gegen die sich die Gesetze ja wohl hauptsächlich richteten, ließen sich nicht abschrecken. Im Gegenteil: Sie seien geradezu "beseelt" davon, der Öffentlichkeit ihre Taten mitzuteilen. Für Caspers These spricht auch das Verhalten des Berliner Weihnachtsmarkt-Terroristen Amri. Auf seiner Flucht ließ er sich demonstrativ von einer Videokamera in einer U-Bahn Station filmen.

Blick in den Hauptbahnhof von Hamburg
Kameras auf Bahnhöfen und in Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs sind kaum umstritten Bild: picture-alliance/ dpa

Casper bezweifelt die angebliche Wirksamkeit der geplanten Gesetze aber auch aus anderen Gründen. Es finde kein systematisches Monitoring statt, die aufgezeichneten Bilder würden permanent überschrieben werden. Sein Fazit: Die Gesetze würden durch gewonnene Bewegungsprofile, Anpassungs- und Überwachungsdruck den Weg zur Totalüberwachung ebnen. Der Hamburger trat aber auch dem immer wieder zu hörenden Vorwurf an Datenschützer entgegen, sie seien grundsätzlich gegen Videoüberwachung. "Dem ist nicht so!", sagte er unter Verweis auf den von ihm unterstützten Einsatz von Videokameras in öffentlichen Verkehrsmitteln.

In diesem Fall war sich Casper mit seinem ehemaligen Kollegen Hans Peter Bull einig. Der pensionierte Rechtswissenschaftler war von 1978 bis 1983 Bundesdatenschutzbeauftragter und stand im Ruf, ein engagierter Verfechter von Bürgerrechten zu sein. Heute klingt er anders. "Keine Bedenken" äußerte Bull gegen die beabsichtigten Verschärfungen der Sicherheitsgesetze. In seiner schriftlichen Stellungnahme für die Anhörung des Innenausschusses heißt es, die Beeinträchtigung für die von Videoüberwachung betroffenen Personen sei "nur ganz geringfügig, in den allermeisten Fällen überhaupt nicht feststellbar oder jedenfalls nicht spürbar".

Polizei-Praktiker werben für Bodycams bei Einsätzen vor Ort    

Der Passauer Rechtswissenschaftler Kai von Lewinski betonte, die Frage nach mehr Videoüberwachung müsse "politisch" beantwortet werden. Beim Datenschutz werde immer nur auf den Einzelnen und nicht auf die gesellschaftlichen Auswirkungen insgesamt geschaut. Seine fast schon fatalistisch anmutende Schlussfolgerung: "Vielleicht muss man sich im Interesse der Sicherheit überwachen lassen."

Deutschland Karneval in Köln Polizist mit Body-Cam
Bodycams am Körper: unzureichend für einen 360-Grad-Blick, meint Kriminologe Andreas Ruch Bild: Reuters/W. Rattay

Mehr Pro als Contra gab es von den Praktikern unter den Sachverständigen. Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei und Jörg Töpfer vom Präsidium der Bundespolizei warben vor allem für den Einsatz sogenannter Bodycams. Mit diesen am Körper befestigten Kameras filmen Polizisten das Geschehen während ihrer Einsätze. Die Erfahrungen seien aus Sicht der Beamten überwiegend positiv, sagte Töpfer. Bei einer internen Auswertung per Fragebogen hätten gut zwei Drittel angegeben, ihr Gegenüber bei Einsätzen verhalte sich angesichts einer Bodycam "weniger aggressiv".

Kriminologe vermisst 360-Grad-Blick der Kameras

Sogar 88 Prozent seien der Meinung, nach der Auswertung von Bodycam-Bildern ließen sich der Ablauf eines Konfliktfalls und die Gründe für sein Zustandekommen analysieren. Dem hielt der Kriminologe Andreas Ruch von der Ruhr-Universität Bochum entgegen, eine Bodycam erfasse "niemals die ganze Geschichte". Weil sie aus praktischen Gründen an der Schulter und nicht am Kopf installiert werde, gebe es keinen 360-Grad-Blick. Ob das so gewonnene Material vor Gericht beweissicher sei, bezweifelt Ruch. Außerdem fordert er, dass auch Gewalt von Polizisten dokumentiert werden müsse. Das ist im Gesetzentwurf aber nicht vorgesehen.