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Entscheidend ist, was drunter steckt

Peter Philipp22. September 2004

Wenn nicht-muslimische Regierungen entscheiden wollen, welche Bedeutung das Kopftuch im Islam hat, ist das problematisch. Eine Analyse von Peter Philipp.

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Sie hat die Kopftuch-Debatte in Deutschland losgetreten: Die muslimische Lehrerin Fereshta LudinBild: AP

Mehrere Landesregierungen in Deutschland arbeiten inzwischen an Gesetzen, um muslimischen Lehrerinnen das Kopftuchtragen im Staatsdienst zu verbieten oder haben entsprechende Gesetze bereits erlassen. Die Glaubensfreiheit des Einzelnen steht hier in einem Spannungsverhältnis zum staatlichen Neutralitätsgebot. Aber ist es nicht problematisch, wenn Staat oder Gesellschaft in Deutschland sich das Recht herausnehmen zu definieren, welche Bedeutung das Kopftuch im Islam hat?

Gewisse Ironie im Kopftuchstreit

Der jahrelange Streit um Verbot oder Zulassung von Kopftüchern bei muslimischen Lehrerinnen in Deutschland entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn es ist in erster Linie der Versuch der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft, zu definieren, welche Bedeutung das Kopftuch im Islam hat: ob es nur Ausdruck von Religiosität ist oder doch von religiösem Fanatismus. In einem Staat aber, der Wert auf Trennung zwischen Staat und Religion legt, ist solch eine Unterscheidung mehr als problematisch. Besonders dann, wenn sie von Nicht-Muslimen vorgenommen wird.

Peter Philipp
Peter Philipp

Wie sich dies im auslösenden Fall der deutsch-afghanischen Lehrerin Ferestha Ludin verhält, sei dahingestellt. Die Frau, die heute an einer religiösen Privatschule lehrt, betrieb ihren Fall mit so viel Energie, dass die Vermutung eines gewissen religiösen Fanatismus sich fast aufdrängt. Die Entscheidung, sie nicht in den Staatsdienst aufzunehmen, wurde allerdings von Beamten der Stuttgarter Schulbehörde gefällt, denen keinerlei Klagen gegen das Verhalten der Kopftuchträgerin vorlagen. Sie verstießen damit gegen einen zweiten Grundsatz des deutschen Staates: Jemanden erst dann zu bestrafen, wenn er sich etwas zu Schulden hat kommen lassen.

Keine überzeugenden Argumente

Natürlich mussten Argumente nachgeliefert werden. Das Kopftuch sei ein Symbol für die Unterdrückung der Frau oder Kopftuchträgerinnen seien schlechte Vorbilder für muslimische Schülerinnen, deren Eltern keine religiöse Beeinflussung wollen. Da von Elternseite aber keine konkreten Klagen vorlagen und die Bundesrepublik genug Möglichkeiten gegen eine etwaige aufgezwungene Kopftuchpflicht bietet, waren dies keine überzeugenden Argumente.

Übrig blieben Argwohn und Misstrauen einiger weniger gegenüber dem "Fremden" - wofür in deren Augen das Kopftuch steht. Diesen Leuten gelingt es nun mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichtes und verschiedener Länderparlamente, allgemeingültige Gesetze gegen das Kopftuch bei Lehrerinnen durchzudrücken, statt - wie zuvor etwa in Nordrhein-Westfalen - die Entscheidung einzig und allein vom individuellen Fall abhängig zu machen.

Keine religiöse Indoktrination durch Kopftuch

Kein Zweifel: Religiöse Indoktrination gehört nicht in deutsche Schulen. Religiöse Indoktrination geht aber nicht vom Kopftuch aus, sondern wenn überhaupt, dann von dem Kopf, der darunter steckt. Wenn von dort aus nichts Verwerfliches kommt, sollte auch das Kopftuch geduldet werden.

Denjenigen, die es in Deutschland angeblich so ernst nehmen mit der vermeintlichen Fürsorge für die Rechte von Musliminnen, sei ein Beispiel vorgeführt, das über jeden Zweifel erhaben sein dürfte: die iranische Friedens-Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Die mutige Anwältin und Menschenrechtlerin trägt ihr Kopftuch in ihrer Heimat Iran, legt es bei Auslandsbesuchen aber ab. Ebadi hat wiederholt erklärt - erst jüngst wieder auf einer Frauenkonferenz in Wien - dass sie zwar gegen das Kopftuchgebot im Iran sei, aber umgekehrt auch Kopftuch-Verbote ablehne. Die Entscheidung darüber müsse bei den Frauen selbst liegen. Also nicht bei ihren Familien, nicht ihren Männern - und erst recht nicht bei ihren Regierungen.