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Belarus: Der "Lukaschenko-Sport" im Strudel der Gewalt

Jonathan Crane
8. Dezember 2020

In Belarus gibt es seit Monaten Proteste und Gewalt. Als Gastgeber der Eishockey-WM 2021 steht das Land auf der Kippe und der Vorsitzende des Eishockey-Verbandes soll gar am Tode eines Demonstranten beteiligt sein.

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Putin und Lukaschenko spielen Eishockey in Sotschi
Bild: Kremlin/dpa/picture alliance

Es sind ungeheuerliche Vorwürfe: Dmitry Baskov, der Vorsitzende des belarussischen Eishockey-Verbandes, soll in den Fall des bei Protesten gegen Präsident Lukaschenko gewaltsam zu Tode gekommenen Demonstranten Roman Bondarenko verwickelt sein. Baskov soll zu einer maskierten Gruppe gehört haben, die Bondarenko im November gewaltsam attackiert hat. Dieser erlag später im Krankenhaus seinen Verletzungen, während der Lukaschenko-Vertraute Baskov dazu bisher schweigt. 

Andere haben jedoch bereits gehandelt: Die Regierung Lettlands, das zusammen mit Belarus die Eishockey-WM 2021 ausrichten soll, hat Baskov auf die Liste belarussischer Funktonäre gesetzt, die nicht mehr nach Lettland einreisen dürfen. Aliaksandra Herasimenia, Schwimmerin und Vorsitzende der belarussischen Athletenvertretung Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF), beklagt, dass Baskov bisher unbehelligt blieb: "Was in unserem Land passiert, ist nicht richtig", sagt die 34-Jährige. "Er läuft frei herum und niemand hat bisher Anstalten gemacht, in der Sache zu ermitteln." 

Olypmische Sommerspiele 2016  Aliaksandra Herasimenia Belarus
Aliaksandra Herasimenia: Schwimmerin und Vorsitzende der BSFFBild: Alexander Vilf/dpa/picture alliance

Brief an die IIHF

In einem Brief an die Internationale Eishockey-Föderation (IIHF) drückte die BSSF ihre "tiefste Besorgnis" über Baskovs angebliche Rolle bei den Attacken auf Bandorenko aus und forderte eine lebenslange Sperre für den Eishockey-Funktionär. "Dmitri Baskov hat mit seiner Beteiligung an einem ungeheuerlichen Vergehen die Menschenwürde verletzt", heißt es in dem Brief, der der DW in Kopie vorliegt. "Darüber hinaus hat Baskov seine Position als Eishockefunktionär für den politischen Agitationsprozess ausgenutzt, Gegenstimmen unterdrückt und so das Recht auf freie Meinungsäußerung missachtet." 

Für BSSF-Direktor Alexander Opeikin wäre eine Austragung der Eishockey-WM 2021 mit einem Triumph von Machthaber Lukaschenko, der den Sport und insbesondere das Eishockey in der Vergangenheit oft zum Zweck seiner eigenen Reputation eingesetzt hat, gleichzusetzen. "Eishockey ist in Belarus der Regime-Sport", erklärt Opeikin: "Er will sich darüber weiter legitimieren. Wenn internationale Delegationen zu WM-Spielen nach Minsk kommen bedeutet das, dass sie Lukaschenko und seine Regierung akzeptieren. Das durchschauen die Belarussen und lehnen Eishockey als den Sport Lukaschenkos ab." 

Entscheidung im Januar

Opeikin, der die BSFF gemeinsam mit Mitstreitern im August 2020 nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen in Belarus, zu deren Sieger sich Lukaschenko erklärt hatte, gründete sagt, er verstehe die "sehr schwierige Situation", in der sich die IIHF befinde. Er glaube jedoch, dass dem Dachverband letztlich keine andere Wahl bleiben werde, als Belarus die WM zu entziehen. Dafür macht sich auch die im Exil lebende Oppositionsführerin Sviatlana Tsikhanouskaya stark und dankte der IIHF auf Twitter dafür, dass sie "uns gehört" habe. "Wir bitten den IIHF-Rat um Entschlossenheit in dieser Angelegenheit", fordert die Menschenrechtsaktivistin. 

"Nach allem,was wir wissen, sind sich die Mitglieder des IIHF-Rates im klaren darüber, dass die Organisation der WM in Belarus in dieser Situation unmöglich ist", sagt Opeikin. "Sie suchen nach Alternativen. Wir verstehen, dass dies ein Prozess ist [...] und jetzt suchen sie einfach nach einer optimalen Lösung." Die IIHF hat bislang nicht verkündet, wann genau die endgültige Entscheidung bekannt gegeben werden soll. Laut Vizepräsident Bob Nicholson aus Kanada solle diese aber "wahrscheinlich im Januar" getroffen werden. "Wir werden weiterhin beobachten, was passiert", sagte er dem Bob McCown Podcast. "Diese Situation in Belarus, eine politische Situation, dauert immer noch an, auf allen Seiten lastet Druck. Sogar eine Verschiebung der Weltmeisterschaft ist in dieser Situation schwierig. Deshalb müssen wir sehen, welche Optionen es gibt", sagte Nicholson.

Ein für Dienstag (8. Dezember) geplantes Treffen von Lukaschenko und IIHF-Präsident Rene Fasel musste wegen eines positiven Corona-Tests des Schweizers kurzfristig abgesagt werden. Kurz zuvor hatte das Internationale Olympische Komitee den Ausschluss Lukaschenkos von allen olympischen Aktivitäten, inkl. der Sommerspiele in Tokio, verkündet. 

Weißrussland I Sergej Lawrow zu Besuch in Minsk, mit Wladimir Makej und Lukaschenko
Alexander Lukaschenko (r.) mit Russlands Außenminister Sergej LawrowBild: Nikolai Petrov/BelTA/Handout/REUTERS

Eine alleinige Ausrichtung durch Co.-Gastgeber Lettland ist wohl kaum möglich, da derzeit mit der Arena in der Hauptstadt Riga nur eine einzige die WM-Anforderungen der IIHF erfüllt. Als möglicher Ersatz-Co-Gastgeber hat sich offenbar bereits Russland ins Gespräch gebracht. Hier ergäben sich aber ganz andere Probleme: Die von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) verhängte Sperre wegen des russischen Staatsdopings könnte vom internationalen Sportgerichtshof (CAS) noch vor der WM 2021 bestätigt werden. Ein Urteil über die Berufung Russlands wird bis Ende dieses Jahres erwartet.

Im litauischen Exil

Ob, wann und wo die Eishockey-WM 2021 stattfinden wird, ist momentan unklar. Alexander Opeikin und Aliaksandra Herasimenia arbeiten derweil in einem Büro in der litauischen Hauptstadt Vilnius weite -  die BSSF will in Zukunft auch Athleten unterstützen, die in Belarus politisch verfolgt werden oder denen die Verfolgung droht. Beide sind zu ihrer eigenen Sicherheit ins Exil nach Litauen gegangen. Ihre Familien haben sie zurückgelassen. 

Belarus I Proteste in Minsk
Demonstranten und Polizeikräfte stehen sich in der belarussischen Hauptstadt Minsk gegenüberBild: AP/picture alliance

Herasimenia, deren Vater kürzlich verhaftet wurde, sagt, sie könne nicht schweigen während ihre Mitbürger leiden. "Wenn du siehst, wie dein Volk geschlagen wird, wie dein Volk verhaftet wird, wenn deine Familie unsicher ist, dann können wir nicht feiern", sagte die Schwimmerin, die bei den Olympischen Spielen 2012 in London zwei Silbermedaillen gewann. "Die Weltmeisterschaft ist ein Fest für alle Menschen. Aber wie können wir in unserem Land feiern, wenn wir jeden Tag die Gewalt sehen?"

Adaption: David Vorholt