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Eintauchen ins Fremde

8. Januar 2011

Was ein Schreiner oder ein Metzger ist, weiß jeder. Doch was machten einst Kaffeeriecher, Rosstäuscher und Fischbeinreißer? Michaela Vieser wirft in ihrem neuen Sachbuch ein Schlaglicht auf längst ausgestorbene Berufe.

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Illustration aus dem Buch Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreißern - Berufe aus vergangenen Tagen (Copyright: Irmela Schautz)
Spürnase gegen den Schmuggel: der KaffeeriecherBild: Irmela Schautz

Wer die Tür zu Michaela Viesers Schreibwerkstatt öffnet, tritt hinein in eine fremde Welt. Während draußen Berlin unter einer dicken Schneeschicht versinkt, sitzt sie gemütlich-warm in einem winzigen Raum mit knarrenden Dielen. Aus ihrem Laptop ertönen japanische Maultrommeln. An den Wänden hängen filigrane Tuschezeichnungen auf Seide und mittelalterliche Weltkarten. Überall stapeln sich englische, japanische, deutsche Bücher. Die Themenpalette reicht von asiatischen Bergasketen bis zum Fichtelgebirge.

Neugier auf Lichtputzer und Märbelpicker

Autorin Michaela Vieser (l.) und Illustratorin Irmela Schautz (Foto: Caroline Otteni)
Michaela Vieser (l.) und Irmela SchautzBild: Caroline Otteni

Es ist schwer, die 38-Jährige mit dem burschikosen Gang und den feinen Gesichtszügen in eine Schublade zu stecken. Sie ist Japanologin, hat Kunstgeschichte studiert, Werbekampagnen mitentwickelt und Sachbücher geschrieben. Eine kindliche Neugierde funkelt in ihren großen stahlblauen Augen. "Ich glaube, ich würde mich selbst einfach als umtriebig bezeichnen", erklärt sie mit einem süffisanten Unterton. "Mich interessiert sehr viel. Und wenn mich etwas interessiert, dann will ich es genau wissen."

Vor zwei Jahren ist Michaela Vieser auf eine neue Entdeckungsreise aufgebrochen. Das Ergebnis liegt nun auf ihrem Holzschreibtisch. "Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreißern" heißt das Buch. Reminiszenzen an längst vergessene Berufe. Sie stöberte in Archiven, Museen, um die Geschichten hinter so wohlklingenden Jobs wie Lichtputzer oder Märbelpicker zu beleuchten, und ihre Büronachbarin Irmela Schautz lieferte farbprächtige Illustrationen dazu.

Alltagsgeschichte jenseits des Bekannten

"Jeder Beruf war ein Fenster in eine bestimmte Zeit", sagt Michaela Vieser und gibt als Bespiel den Ameisler an. "Das war jemand, der im Barock Ameisenlarven als Vogelfutter gesammelt hat. Damals war das ein gefragter Job, weil Käfigvögel in Mode waren." Dieser Trend spiegle sich zum Beispiel auch in Mozart-Opern wie "Die Zauberflöte" oder der damaligen Gartenarchitektur.

Michaela Vieser erzählt ein Stück Alltags- und Sozialgeschichte jenseits des Bekannten. 24 Berufe, 24 spannende Zeitreisen. Kaffeeriecher etwa kamen zu einer Zeit auf, als die braune Bohne in Europa noch ein Luxusgut war – ziemlich teuer und hoch versteuert. Um den florierenden Schmuggel einzudämmen, stellte Friedrich der Große Kriegsveteranen als Kaffeedetektive ein, wie Michaela Vieser in ihrem Buch bildhaft beschreibt.

"Da die Spürnasen nach Ertrag bezahlt wurden, waren sie besonders fleißig. Sie standen auf Brücken und berochen dort die Taschen von Passanten, durften Leibesvisitationen durchführen. Man kann sich gut vorstellen, welch Ärgernis diese Gesellen für die Bevölkerung darstellten."

Illustration Silhouettenschneider aus dem Buch Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreissern - Berufe aus vergangenen Zeiten, Michaela Vieser, Illustrationen Irmela Schautz (Copyright: Irmela Schautz)
Opfer des technischen Fortschritts: der SilhouettenschneiderBild: Irmela Schautz

Ausgestorbene Berufe

Viele der Berufe wurden auch Opfer des technischen Fortschritts. Der Fotograf löste den Silhouettenschneider ab, der einst Menschen in Scherenschnitten verewigte. Als es öffentliche Toiletten gab, brauchte niemand mehr den Abtrittanbieter. Der lief Jahrzehnte lang mit Eimer und Mantel auf Märkten herum und bot schnelle Hilfe für die Notdurft.

Doch um einen Beruf trauert Michaela Vieser ganz besonders. "Den Zeidler mochte ich sehr gern. Den Job hätte ich auch gerne ausgeübt", gesteht sie. Der Zeidler war ein Waldbienen-Züchter, der auf Bäume geklettert ist, um den Honig zu ernten. "Der hatte sogar seine eigenen Gesetze und sein eigenes Gericht", erläutert Michaela Vieser. "In Nürnberg gab es die besten Zeidler-Gesetze, und deswegen gibt es dort auch diesen fantastischen Lebkuchen, den Honigkuchen."

Zum Tee mit Buddha

Buchcover Michaela Vieser: Tee mit Buddha (Pendo)
Ein Jahr im Kloster

Den kennt Michaela Vieser noch aus ihrer Kindheit. Sie ist in einem kleinen Dorf in Süddeutschland aufgewachsen. Nach der Schule brach sie auf in die große Welt - zuerst nach London und dann nach Japan. Ein Jahr lang lebte sie dort in einem buddhistischen Kloster.

Noch immer durchströmt sie eine Ruhe, wenn sie ihren Grüntee in der zarten Tonschale mischt. Der Geschmack erinnert sie an atemberaubende Zedernwälder, aber auch an die schmucklose Betonfassade ihres Klosters. Über ihre Zeit zwischen asketischen Ex-Managern und lebenslustigen Mönchen hat Michaela Vieser einen Bestseller geschrieben: Tee mit Buddha.

Atmosphärische Unterschiede

Zunächst tapste Michaela Vieser mit ihrer direkten Art von einem Fettnäpfchen zum nächsten. Erst langsam begann sie zwischen den Worten zu lesen, die Gesten der Japaner richtig zu deuten. Heute schätzt sie diese unaufdringliche Form der Kommunikation.

"Wenn ich in Deutschland in eine Kneipe gehe, dann möchte jemand sofort meine Meinung haben. Wie stehe ich hierzu, wie stehe ich dazu? In Japan wird ein atmosphärisches Bild geschaffen", so die studierte Japanologin. "Man schaut erst mal, wie groß ist der Platz, der zwischen uns ist. Und dann nähert man sich langsam."

Faszination für das Fremde

Die Autorin Michaela Vieser (Foto: DW / Aygül Cizmecioglu)
Bild: DW

Genau diese Unterschiede, die Annäherung an zunächst Ungewohntes fasziniert Michaela Vieser. Sie weiß, dass erst das Eintauchen im Fremden den Blick für das Eigene schärft. Das gilt für fremde Länder, Sprachen, genauso wie für längst vergangene Zeiten. Sie nippt an ihrem Grüntee und träumt schon mal von der Zukunft.

Russisch will sie lernen. Und irgendwann einmal nach Timbuktu in Afrika reisen, einfach so. Geschichten über Gewürze und Karawanen erwartet sie dort zu finden. "Aber das Spannende", wirft sie mit einem Lächeln ein, "liegt meistens sowieso am Wegesrand. Man muss nur genau hinschauen."


Autorin: Aygül Cizmecioglu
Redaktion: Gabriela Schaaf


Michaela Vieser / Irmela Schautz: "Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreißern - Berufe aus vergangenen Tagen", 192 Seiten, C. Bertelsmann Verlag 2010. 19,90 Euro.

Michaela Vieser: "Tee mit Buddha – Mein Jahr in einem japanischen Kloster", 304 Seiten, Pendo Verlag, 9,95 Euro.