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Politik

Eine Wahl für wirklich alle?

Sandro Schroeder
25. August 2017

Ausgeschlossen, gehindert, behindert. Bei der Bundestagswahl 2017 werden einige Menschen von der Wahl ausgeschlossen sein, andere werden nur mit Schwierigkeiten an der Wahl teilnehmen können. Ein Überblick.

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Deutschland Bundestagswahl Stimmzettelschablone für Blinde
Eine Wahlschablone mit Braille-Schrift für blinde MenschenBild: picture-alliance/dpa/M. Andi Weiland

Menschen mit Mobilitätseinschränkung

Nicht alle Wahllokale bei der Bundestagswahl 2017 werden barrierefrei sein, beispielsweise für Menschen, die im Rollstuhl sitzen. In den Wahlunterlagen ist angegeben, ob das zugeteilte Wahllokal tatsächlich barrierefrei ist.

Ist das nicht der Fall, kann ein Wahlschein beantragt werden und in einem anderen Wahllokal oder per Briefwahl abgestimmt werden. Auch wer wegen einer körperlichen Beeinträchtigung nicht in der Lage ist, den Stimmzettel selbst auszufüllen, zu falten oder in die Urne zu werfen, kann sich unterstützen lassen.

Blinde Menschen

Für Blinde gibt es Wahl-Schablonen, die auf dem Stimmzettel ausgerichtet werden. Die Löcher in der Schablone sind mit der Blindenschrift Braille durchnummeriert. Eine dazugehörige Audio-CD erklärt, wie die Schablone richtig ausgerichtet wird und welche Kandidaten sich hinter welchen Zahlen befinden. Die Schablonen werden kostenlos von den Landesvereinen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes ausgegeben.

Analphabeten

Vier Prozent der deutschen Bevölkerung - circa 2,3 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren - sind vollständige Analphabeten. Sie dürfen laut dem Wahlrecht eine Person bestimmen, die ihnen in der Wahlkabine hilft. Das können auch Mitarbeiter im Wahllokal sein.

Allerdings ist fraglich, wie viele Analphabeten sich im Wahllokal tatsächlich zu erkennen geben wollen und öffentlich nach Hilfe fragen. Derjenige, der hilft, muss eine eidesstattliche Versicherung persönlich und handschriftlich unterschreiben. Darin bestätigt er, dass er den Stimmzettel gemäß dem erklärten Willen der Wählerin oder des Wählers gekennzeichnet hat.

Für Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können, hat der Deutsche Volkshochschulverband (DVV) ein Lernportal zur Bundestagswahl 2017 aufgesetzt: Ich-will-waehlen.de.

Gefängnisinsassen

Verurteilte Straftäter verlieren bei Haftstrafen von mindestens einem Jahr in der Regel nur ihr passives, nicht jedoch ihr aktives Wahlrecht. Nur bei besonders schweren politischen Straftaten kann das Recht zu wählen von einem Richter aberkannt werden. In Gefängnissen kann entweder ein Sonderwahlbezirk eingerichtet werden, in dem die Insassen persönlich abstimmen können, oder auch per Briefwahl abgestimmt werden. Freigänger dürfen in ihr Wahllokal gehen.

Obdachlose

In Deutschland gibt es Schätzungen zu Folge über 330.000 Menschen ohne Wohnsitz. Wer nirgends gemeldet ist, bekommt auch keine Wahlunterlagen zugeschickt. Allerdings wissen viele Wohnungs- und Obdachlose nicht, dass sie trotzdem wählen dürfen. Sie können sich einige Wochen vor der Wahl bei einer Wahldienststelle melden und per Briefwahl abstimmen. Informationskampagnen wie "Straßenwahl" versuchen, mehr Wohnungs- und Obdachlose über ihr Wahlrecht zu informieren.

Menschen ohne deutschen Pass

Ausgeschlossen von der Bundestagswahl sind laut Statistischem Bundesamt auch 7,8 Millionen Menschen, die zwar in Deutschland leben, aber keinen deutschen Pass besitzen. Die Zahl entspricht ungefähr der Einwohnerzahl von Niedersachsen.

Die Daten der Statistiker zeigen: Im Durchschnitt leben diese knapp acht Millionen Menschen bereits seit über 15 Jahren in Deutschland: Die Bundesrepublik ist für viele also bereits eine Heimat geworden, sie arbeiten hier, sie zahlen Steuern hin - wählen dürfen sie aber nach dem deutschen Wahlrecht höchstens auf kommunaler Ebene.

Der Ausschluss vom Wahlrecht trifft nicht nur die Zugezogenen aus dem inner- und außereuropäischen Ausland. Kein Wahlrecht haben auch Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind und seit Jahren geduldet werden. Auch deren Kinder, die oft in Deutschland geboren sind und ihr ganzes Leben hier verbracht haben, sind aufgrund ihrer Duldung bei der Bundestagswahl nicht stimmberechtigt.

Wer wird in Deutschland vom Wahlrecht komplett ausgeschlossen?

Das Bundeswahlgesetz schließt im Paragrafen 13 einige Deutsche von ihrem Grundrecht der Wahlbeteiligung aus. Die größte Gruppe bilden Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen, denen eine Betreuung "in allen Angelegenheiten" von einem Richter zugesprochen wurde. Dies können zum Beispiel Menschen mit Trisomie 21 (Downsyndrom) sein. 

Laut einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales betrifft das über 81.000 Menschen. Die zweitgrößte Gruppe sind 3000 schulunfähige Straftäter, die in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind.

Wie steht Deutschland damit im internationalen Vergleich da?

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen von 2006 ist eindeutig: "Auch Menschen mit Behinderungen haben das uneinge­schränkte Recht, gleichberechtigt mit anderen zu wählen und gewählt zu werden."

Diese Konvention hat Deutschland 2009 zwar unterschrieben, die Ausschlüsse vom Wahlrecht gibt es aber weiterhin. Ähnliche Ausschlüsse in Österreich, Italien, den Niederlanden, Schweden, Großbritannien, Kroatien und Lettland wurden inzwischen abgeschafft.