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Schwarz-rot-goldenes Badehandtuch

Maximiliane Koschyk 17. September 2015

An die Tage der deutschen Einigung kann sich Maximiliane Koschyk nicht erinnern. Aber an die neuen Verwandten. Denn im Jahr 1990 fing für ihre Familie die Wiedervereinigung erst an.

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Maximiliane Koschyk DW-Volontärin (Foto: DW)
Bild: DW

Am Abend des 9. November wollte mein Vater gerade ins Bett gehen, als er wie so viele den Anruf bekam: "Mach den Fernseher an“, sagte ein Freund. "Drüben passiert etwas."

Ich kenne die Fernsehbilder dieser Nacht. Aber ich habe auch ein anderes Bild im Kopf: Das meiner Eltern, wie sie in der Zeit davor am Brandenburger Tor stehen. Es ist ein düsterer, nebeliger Herbsttag. Außer den Eltern und Umrissen des Tors ist nichts zu erkennen, nur unbekanntes graues Licht.

Auf der anderen Seite der Mauer sind aber keine Unbekannten, sondern etwa meine Großtante in Leipzig. Nach dem Krieg vertrieben, ist die Familie in ganz Europa verstreut. Die Mauer reißt sie erneut auseinander. So darf meine Großtante die DDR nicht verlassen, als ihre Mutter in Bayern im Sterben liegt.

In jener Novembernacht 1989 brechen die Telefonleitungen zusammen. Meine Mutter kann die Tante nicht erreichen. Trotzdem ist sie näher denn je. Wir Kinder fahren nach der Einigung das erste Mal nach Polen, an die Ostsee, nach Berlin, lernen wie selbstverständlich Verwandte wie eben jene Tante kennen.

Und wir lernen die Geschichten aus der Zeit davor kennen. Wir hören von mehrsprachigen Telefonaten von Leipzig nach Bulgarien, bei denen sich die unbekannten Mithörer des DDR-Staats einschalten und schimpfen: “Bitte nur in einer Sprache reden.“ Wir hören vom Bild meiner Eltern am Brandenburger Tor. Und von dem schwarz-rot-goldenen Badehandtuch, das meine Eltern am frühen Morgen des 10. Novembers aus dem Fenster hängen.

Aus Freude über eine Zukunft, die für uns eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.