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Ein Präsident wirbt für Vielfalt

Naomi Conrad20. März 2014

Ein Treffen mit Integrationshelferinnen und Aktivisten: Der Bundespräsident möchte in Berlin ein Zeichen für Offenheit und kulturelle Vielfalt in Deutschland setzen. Ein Tag mit gewissen Hindernissen.

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Joachim Gauck in Neukölln mit Stadtteilmüttern (Foto: Johannes Eisele/AFP)
Bild: Getty Images

"Kriegstreiber! Kriegstreiber!" Die Rufe der vielleicht dreißig Demonstranten, die an den Polizeibarrikaden lehnen, hallen um das graue Hochhaus in dem Berliner Stadtteil Kreuzberg. Vor diesem Hochhaus steht der Bundespräsident am Mittwoch (19.03.2013) im Nieselregen und versucht, der Presse ein Statement zu geben. Die grellen Pfiffe und Rufe übertönen Joachim Gauck, der unbeirrt weiter in die Mikrofone redet. Lediglich ein paar Wortfetzen sind zu verstehen: "Begegnung", "friedliches Miteinander", war da vielleicht auch das Wort "Respekt"? Eine Journalistin schüttelt den Kopf: Das müsse sie später im ruhigen Büro nachhören. Gauck verschwindet die Treppe hinauf in ein kleines Café. Dort will der Präsident mit jungen Aktivisten, die sich für Integration und Verständigung einsetzen und deren Eltern aus Polen, der Türkei oder dem Iran nach Deutschland eingewandert sind, diskutieren, was es heute bedeutet, Deutsch zu sein und wie Integration funktionieren kann und muss.

Draußen stehen die Demonstranten und wedeln weiter mit ihren etwas feuchten Plakaten: Gauck mit militärischer Pickelhaube, darunter der Schriftzug "Deutsche, an die Front". Vermutlich eine Anspielung auf die aktivere Rolle in der Weltpolitik, die sich der Bundespräsident für Deutschland gewünscht hat. Mit der Presse reden will aber niemand. Eine ältere Demonstrantin versteckt sich demonstrativ hinter ihrem Plakat, ein bärtiger Mann zuckt mit den Schultern, dann dreht auch er sich weg. Ob sie es gutheißen, dass der Präsident sich heute für Integration und kulturelle Vielfalt einsetzt? Dass er mit seinem Besuch am Kottbusser Tor, wo viele Menschen aus aller Welt wohnen, ein Zeichen setzten will? Schweigen.

Demonstranten mit Plakaten in Kreuzberg (Foto: Naomi Conrad/DW)
Demonstranten in KreuzbergBild: Naomi Conrad

Gauck früher "von Vielfalt verunsichert"

Drinnen im Café sitzt der Präsident auf einem Sofa und knabbert an einem türkischen Keks. Der Präsident, der aus der ehemaligen DDR stammt, erzählt, dass er sich nach der Wende erst einmal an die kulturelle Vielfalt habe gewöhnen müssen: Eine solche Durchmischung der Kulturen, wie es sie in Berlin heute gebe, habe es in Ostdeutschland einfach nicht gegeben. Auch ihn habe Vielfalt früher verunsichert. Schritt für Schritt aber lerne man, so Gauck, dass eine "ethnisch reine Bevölkerung" nicht wünschenswert sei und dass zusammengesetzte Identitäten und kulturelle Vielfalt wertvoll seien. "Keiner will mehr Kneipen, in denen es nur Sauerkraut und Schnitzel gibt", sagt der Präsident. Ein paar der Aktivisten grinsen. Das zu begreifen sei nur eine Frage der Zeit: "Die einen lernen es schneller, die anderen langsamer." Dazu bedürfe es vor allem positiver Beispiele.

Vielleicht war er deshalb am Vormittag während der ersten Station seiner Reise in den Berliner Stadtteil Neukölln, wie er sagt, "total begeistert" von der jungen Rumänin, die sieben Kinder hat und trotzdem als Integrationshelferin an die Türen von Roma-Familien klopft und ihnen erklärt, wie sie ihre Kinder für den Kindergarten anmelden und mit den Behörden reden. Zusammen mit ein paar anderen Stadtteilmüttern sitzt sie am Tisch im Elternzentrum. Vor ihnen stehen Teller mit Schafskäseröllchen und kleinen Bouletten. Sie alle sind ehemalige Sozialhilfeempfängerinnen, oft alleinerziehende Mütter, die jetzt anderen bei der Integration helfen.

Die Frauen würden Verantwortung übernehmen, sich selbst ermächtigen, lobt Gauck und lächelt. "Ihr Ja zum Leben, das ist etwas, was mir besonders gut gefällt." Vielen gefalle es nicht, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, sagt Gauck. "Manche sind sogar so idiotisch, dass sie uralte Konzepte von Rassismus und Nationalismus wieder zum Leben erwecken wollen." Deshalb bedürfe es einer wachen, aufnahmebereiten Gesellschaft, um dies zu verhindern. Dazu würden auch die Stadtteilmütter mit ihrer Arbeit beitragen, da sie auch ein Stück weit zeigten, "was es bedeutet, eine vielfältige Gesellschaft zu sein."

Gauck (l.) mit jungem Aktivisten (Foto: Getty Images)
Gauck (l.) im Gespräch mit einem jungen AktivistenBild: Getty Images

"Ich bin stolz auf euch"

Eine von ihnen, eine junge Sekretärin aus Burkina Faso, lehnt sich vor: Das Arbeitsamt gebe den Stadtteilmüttern lediglich Einjahresverträge. "Die wollen uns immer woanders hinschicken." Ein Journalist schüttelt den Kopf: "Die ist ausgebildete Sekretärin und findet hier nur eine Arbeit als Integrationshelferin?" Auch würden Kita-Plätze fehlen, erklärt Maria Macher, die Koordinatorin der Stadtteilmütter: Die Arbeit der Integrationshelferinnen sei so erfolgreich, dass es nicht genug Plätze in den Kindergärten gäbe, weil so viele Mütter jetzt ihre Kinder zur Kita anmeldeten. Das findet Gauck phantastisch: "Ich bin stolz auf euch!"

Zurück in Kreuzberg bei den Aktivisten im Café: Kurz nachdem der Präsident verkündet hat, dass er die Arbeit forsetzten will, zuckt Betül Ulusoy mit den Schultern: "Solche Treffen sind doch alle gleich!" Die junge Muslimin engagiert sich für religiöse Toleranz, sie habe schon an etlichen Diskussionsveranstaltungen wie der mit dem Präsidenten teilgenommen: Es werde viel gelobt, positive Beispiele aufgezählt, aber die Probleme, sagt sie, würden kaum benannt. Ulusoy trägt ein Kopftuch: Sie werde nicht als "wirkliche" Deutsche wahrgenommen, hatte sie dem Präsidenten gesagt und ihm von einem Freund, einem Bahai, erzählt, der nicht in einen Bus steigen durfte, weil der Fahrer ihn als Ausländer beschimpfte. Dann muss sie weiter. Der Präsident möchte noch ein Abschlussfoto mit den Teilnehmerinnen. Danach kauft er sich noch einen Döner in einem kleinen Imbiss. Draußen drängt sich die Presse an die Scheibe und filmt, ein türkischer Journalist erklärt, dass es sich nicht um einen Döner, sondern um Köfte, Hackfleischbällchen, handle. Aber da sie türkisch seien, könne man das wohl auch als symbolische Handlung deuten. Er grinst.

Dann rauscht die Präsidentenkolonne davon, die Polizisten räumen die Barrikaden weg. Ein Fernsehjournalist fragt eine der Diskussionsteilnehmerinnen, was sie von dem Besuch gehalten habe. Es habe sie gefreut, dass Gauck ein Zeichen habe setzten wollen. Was sie danach sagt, geht im Lärm unter: Die Demonstranten haben den Platz erreicht, umringen die Kamera und wedeln mit ihren feuchten Plakaten.