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Politik

Peinlicher Korruptionsfall für Orban

Zsolt Bogár
15. Dezember 2021

Das Parlament in Budapest hat die Immunität von Pal Völner, Ex-Staatssekretär und Ex-Vizeminister für Justiz, aufgehoben. Er war eine der Schlüsselfiguren des Pegasus-Skandals in Ungarn.

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Ungarn Pál Völner
Seit 14.12.2021 ohne Immunität: Der Fidesz-Abgeordnete Pal Völner, Ex-Staatssekretär und Ex-Vizeminister für JustizBild: Tamás Kovács/MTI/MTVA

So gut wie nie gerät in Viktor Orbans Ungarn jemand aus dem Umfeld des Premiers wegen Korruption in ernsthafte Schwierigkeiten. Doch nun ist genau das passiert: Am 14.12.2021 hat das Parlament in Budapest die Immunität des Abgeordneten Pal Völner aufgehoben. Bereits am 7.12.2021 war der Politiker aus der regierenden Partei Fidesz von seinem Amt als Staatssekretär und stellvertretender Minister für Justiz zurückgetreten, nachdem die Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, dass ein Verfahren wegen Korruptionsverdachts gegen ihn eingeleitet wurde.

Als Ministerialbeauftragter für Gerichtsvollzieher hatte Völner ein Zustimmungsrecht bei der Besetzung neuer Gerichtsvollzieher-Stellen. Dafür soll der Fidesz-Politiker regelmäßig Summen in Höhe von zwei bis fünf Millionen Forint (rund 5500 bis 13.800 Euro) von György Schadl, dem Vorsitzenden der Gerichtsvollzugskammer (MBVK), angenommen haben. Dafür vergab Völner ausgeschriebene Stellen an Kandidatinnen und Kandidaten, die zuvor von Schadl empfohlen worden waren.

Ungarn RTL Interview mit György Schadl vor seiner Verhaftung
György Schadl, damals noch Vorsitzender der Gerichtsvollzugskammer, beim letzten Interview vor seiner Verhaftung Bild: RTL Híradó

Insgesamt erhielt Völner für seine Dienste etwa 83 Millionen Forint (rund 230.000 Euro), während Schadl seinerseits mehr als 800 Millionen Forint (rund 2,2 Millionen Euro) Schmiergeld von den neuen Gerichtsvollziehern kassierte. Laut Staatsanwaltschaft flossen die Gelder unter anderem bei der Vergabe lukrativer Dienststellen, beispielsweise an Orten mit einer hohen Anzahl von Zwangsvollstreckungsfällen oder mit Fällen, bei denen es um hohe Summen ging. Völner und Schadl trafen sich regelmäßig zu Besprechungen in Restaurants oder in Parkhäusern, üblicherweise soll Schadl einmal im Monat Geld an Völner übergeben haben.

Gerichtsvollzieher sind in Ungarn ein selbständiges Organ der Zwangsvollstreckung und zugleich - ebenso wie in Deutschland - Beamte. Nach vielen Beschwerden über sie und ihre Aufsicht wurde 2015 eine umfassende Reform der ganzen Branche eingeleitet. Seitdem ist ein Jura-Abschluss Voraussetzung für den Berufseinstieg. Zuvor waren nur etwa 40 der landesweit 200 amtierenden Gerichtsvollzieher Juristen gewesen. Auch deren Aufsicht wurde vor sechs Jahren verbessert - zumindest auf dem Papier. In Wirklichkeit war es in den vergangenen Jahren wohl das Tandem Völner-Schadl, das im Gerichtsvollzug schaltete und waltete, wie es wollte. Der aktuelle Korruptionsfall dürfte nun den gesamten Berufszweig nachhaltig in Verruf bringen.

Ein Hintermann im Vordergrund

Schadl und seine Frau wurden Anfang November 2021 am Budapester Ferenc-Liszt-Flughafen verhaftet, von wo aus sie nach Dubai reisen wollten. Seitdem sitzt der ehemalige Vollzugskammerchef in Untersuchungshaft, so wie auch fünf weitere von insgesamt zwölf Verdächtigten in der Affäre. Nach Presseinformationen soll der Innere Sicherheitsdienst NVSZ, eine Polizei-Spezialeinheit zur Prävention von Straftaten und Korruption im Staatsapparat, bereits seit Anfang Herbst 2021 in der Sache ermittelt haben; mittlerweile sollen eindeutige Beweise gegen Völner vorliegen. Einer der anderen Verdächtigten soll gegen ihn ausgesagt haben.

Ungarn Pál Völner mit Varga Judit im Parlament in Budapest
Pal Völner und Ungarns Justizministerin Judit Varga im Parlament in Budapest am 29.04.2021Bild: Balogh Zoltán/MTI/MTVA

Der 59jährige Pal Völner war nicht nur Staatssekretär, sondern auch einer der wichtigen, aber kaum sichtbaren Hintermänner von Orbans Partei Fidesz: Als Direktabgeordneter und Fidesz-Vorsitzender im nordungarischen Verwaltungsbezirk Komarom-Esztergom agierte er als verlängerter Arm seiner Partei. Als Schüler hatte er das berühmte Benediktinergymnasium in Pannonhalma nahe der nordwestungarischen Großstadt Györ besucht. Ende der 1980er Jahre studierte Völner dann Jura in Budapest - wie Viktor Orban und andere Mitbegründer von Fidesz. Er gehörte damals jedoch nicht zum engeren Umfeld des heutigen Premiers und dessen Mitstreitern, obwohl er mit diesen bekannt war.

Die Pegasus-Affäre

Nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur 1989/90 war Völner lange Zeit als Rechtsanwalt tätig. Erst 2004 wurde er Fidesz-Mitglied, erst mit dem Wahlsieg der Orban-Partei 2010 ergatterte er ein Direktmandat als Parlamentsabgeordneter und wurde zugleich Staatssekretär im Ministerium für Nationale Entwicklung. In der Öffentlichkeit galt Völner bis vor Kurzem eher als zuverlässiger Fachpolitiker denn als Parteisoldat. Er war nicht allzu oft Thema in den Medien, bis sein Name im Rahmen der Pegasus-Affäre auftauchte.

Ungarn Budapest | Pressekonferenz | Emmanuel Macron und Viktor Orban
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Ungarns Premier Viktor Orban in Budapest am 13.12.2021Bild: Stephane Lemouton/Pool/abaca/picture alliance

Als Staatssekretär für Justiz war Völner auch für die Genehmigung von geheimen Abhöraktionen zuständig, die von den nationalen Sicherheitsdiensten beantragt wurden, unter anderem mit der in Israel entwickelten Smarthone-Spionagesoftware Pegasus, die nominell der weltweiten Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität dienen soll. In Ungarn wurde sie jedoch auch zum Ausspähen von Journalisten und Aktivisten verwendet - Personen, die nicht in Terrorismus und organisierte Kriminalität verstrickt waren, sondern zum Thema Korruption recherchierten.

Kann Orban die Situation retten?

"Der Fall Völner ist sehr unangenehm für die Orban-Regierung", sagt Andras Biro-Nagy, Direktor von Policy Solutions, einer politischen Denkfabrik mit Sitz in Budapest und Brüssel, der DW. Das wichtigste Thema des gemeinsamen Kandidaten der vereinten Opposition für das Amt des Ministerpräsidenten, Peter Marki-Zay, sei der Kampf gegen Korruption. Völners Fall untermauert die Behauptung des Oppositionspolitikers, dass die Regierungspartei ein hochgradig institutionalisiertes Korruptionsnetzwerk ausgebaut hat, das den ungarischen Staat mittlerweile fest im Griff hat. Premier Orban dagegen will nach Ansicht des Direktors von Policy Solutions beweisen, dass sein Parteifreund Völner ein Einzelgänger ist - und sein Verhalten kein allgemeines, systematisches Problem von Fidesz.

Der ungarische Oppositionspolitiker Peter Marki-Zay bei einer Rede
Peter Marki-Zay, gemeinsamer Kandidat der vereinten Opposition für das Amt der Ministerpräsidenten UngarnsBild: Laszlo Balogh/AP/picture alliance

Die Tatsache, dass gegen Völner ermittelt wird, dürfte allerdings selbst vielen Orban-Kritikern ungewöhnlich erscheinen, meint Biro-Nagy. Wann immer in den vergangenen Jahren Journalisten zu Korruption im Umfeld des Premiers und seiner Partei recherchierten oder oppositionelle Abgeordnete wie Akos Hadhazy Regierungskorruption enthüllten, erklärte die Staatsanwaltschaft, dass es keine Anhaltspunkte gebe, aufgrund derer sie Ermittlungen beginnen könne.

Macron will Rechtsstaatsmechanismus anwenden

Derweil bleibt völlig unklar, warum es überhaupt möglich war, dass in Ungarn, wo die öffentliche Agenda weitgehend von Viktor Orban bestimmt wird, nur wenige Monate vor der im Frühjahr 2022 anstehenden Parlamentswahl ein so spektakulärer Korruptionsfall publik werden konnte. Orbans Büroleiter Gergely Gulyas betont, der Fall Völner zeige, dass Ungarn ein Rechtsstaat sei und alle gegenteiligen Vorwürfe ins Leere liefen. Politikbeobachter Biro-Nagy meint, die Regierung in Budapest könne das Ganze als Argument gegenüber der Europäischen Kommission nutzen. Die besteht bei der Vergabe von EU-Mitteln auf rechtsstaatlichen Kriterien, die sie in Ungarn gefährdet sieht.

Doch ob der Fall Völner der Europäischen Kommission ausreicht, um Ungarn wieder als Rechtsstaat zu sehen, ist fraglich. Bei seinem Besuch in Budapest am 13.12.2021 erklärte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, Frankreich werde während seiner am 1.01.2022 beginnenden sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft auf jeden Fall den Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn initiieren.