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PolitikEuropa

Klage aus Ungarn und Polen dürfte scheitern

2. Dezember 2021

In seinem Gutachten hat sich ein hochrangiger Jurist des Europäischen Gerichtshofes dafür ausgesprochen, die Klage Ungarns und Polens abzuweisen. Das letzte Wort ist nicht gesprochen, aber es wird eng.

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Luxemburg Gebäude des Europäischen Gerichtshofs
Gebäude des Europäischen Gerichtshofs in LuxemburgBild: Arne Immanuel Bänsch/dpa/picture alliance

Ungarns und Polens Klage gegen den neuen Rechtsstaatsmechanismus sollen abgewiesen werden, jedenfalls wenn es nach Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona geht. In seinem heute veröffentlichten Gutachten macht er Polen und Ungarn einen Strich durch die Rechnung. Ihren Klagen gegen den sogenannten "Rechtsstaatsmechanismus" empfiehlt er, nicht stattzugeben. Unter dem sperrigen Begriff versteht man, dass die EU Fördergelder an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien knüpfen kann.

Der Mechanismus ist seit Beginn des Jahres 2020 in Kraft. Es gilt auch für das millionenschwere Corona-Wiederaufbaupaket, aus dem Polen 23,9 Milliarden und Ungarn 7,2 Milliarden Euro Corona-Hilfen bekommen sollen. Gegen den Mechanismus haben Polen und Ungarn geklagt.

Mit dem heutigen Gutachten ist die Sache zwar nicht entschieden, könnte aber Signalwirkung haben. Am Ende des Verfahrens könnte der Weg geebnet sein, Polen und Ungarn den Geldhahn zuzudrehen. Denn der spanische Generalanwalt weist die Argumente Polens und Ungarns auf ganzer Linie zurück.

Im Einzelnen führt Sánchez-Bordona aus, dass die EU-Institutionen für den Mechanismus die richtige Rechtsgrundlage gewählt haben, da es sich bei diesem, um eine Haushaltsvorschrift handle. Denn die Regelung würde nicht bei allen Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit greifen, "sondern nur bei jenen, die in unmittelbaren Zusammenhang mit der Haushaltsführung der Union stünden."  Polen und Ungarn hatten bei den Verhandlungen vorgetragen, es würde sich vor allem um einen gegen sie gerichteten "Sanktionsmechanismus" handeln.

Infografik Wie Kann die EU Rechtsstaatlichkeit schützen? DE

Auch das Vorbringen, dass die Rechtsstaatlichkeit in der EU nur mit dem sogenannten Artikel-7-Verfahren geschützt werden dürfe, lässt der Generalanwalt nicht gelten. Der Europäische Gerichtshof habe in der Vergangenheit entschieden, "dass die Verletzung von Werten der Union Konsequenzen habe, auch ohne Rückgriff auf Artikel 7 EUV," heißt es in der Presseaussendung. Unter dem Artikel-7-Verfahren versteht man einen Mechanismus zum Schutz von EU-Werten, unter anderem dem der Rechtsstaatlichkeit. Am Ende dieses Verfahrens kann die Aussetzung von Stimmrechten bei EU-Gesetzgebung stehen. Sowohl gegen Polen als auch gegen Ungarn laufen solche Verfahren.

Insbesondere ist der Generalanwalt der Meinung, der Rechtsstaatsmechanismus "genüge den Mindestanforderungen an Klarheit, Genauigkeit und Vorhersehbarkeit, die der Grundsatz der Rechtssicherheit aufstelle." Im Klartext heißt das: Die Mitgliedsstaaten wüssten, was sie zu tun haben.

Im Parlament steigt der Druck auf EU-Kommission

Im EU-Parlament kommt das Gutachten gut an. Moritz Körner, FDP-Mitglied und deren innenpolitischer Sprecher, begrüßt es als "eine gute Nachricht für den Schutz der Grundwerte und der Finanzwerte der EU." Die Zeit für Ausreden sei nun vorbei, findet Körner und fordert von der EU-Kommissionspräsidentin: "Von der Leyen muss die Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus endlich zulassen."

Auch der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund fordert die Kommission auf Twitter zum Handeln auf und verbucht das Urteil als einen Erfolg des EU Parlaments.

 

Brüssel schreibt Briefe

Hintergrund der Freude im EU-Parlament ist auch ein institutioneller Streit. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte zu erkennen gegeben, mit der Anwendung des Mechanismus bis zur EuGH-Entscheidung warten zu wollen. Das halte die Kommission aber nicht davon ab, bereits Informationen für künftige Verfahren zu sammeln, sagte von der Leyen nach dem letzten EU-Gipfel. Dies reichte dem EU-Parlament scheinbar nicht und es reichte Ende Oktober Klage gegen die EU-Kommission ein - wegen Untätigkeit

Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg
EU-Kommissionspräsident von der Leyen im EU-Parlament im November 2021.Bild: Christian Hartmann/AP/picture alliance

Man nehme das Gutachten zur Kenntnis, heißt es in der täglichen Pressekonferenz der EU-Kommission. Generell beobachte man den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in der gesamten EU. Mit Blick auf Polen und Ungarn habe man vor gut zwei Wochen informelle Briefe geschickt, um mehr Informationen für die seit Beginn des Jahres laufende Untersuchung  zu erhalten. Polen und Ungarn hätten nun zwei Monate Zeit, um die Briefe zu beantworten. Auf der Grundlage der Antwort würde die EU-Kommission entscheiden, wie sie weiter verfahre, so Kommissionssprecher Balazs Ujvari. Die EU-Kommission rüstet sich also für die nächsten Schritte.

Ungarn hofft auf "gesunden Menschenverstand"

In Polen und Ungarn zeigt man sich entrüstet über das unverbindliche Gutachten. Es sei ein "Verbrechen gegen die Rechtsstaatlichkeit", schreibt der stellvertretende polnische Justizminister Sebastian Kaleta auf Twitter. Für Marcin Romanowski, ebenfalls stellvertretender Justizminister handelt es sich bei dem Gutachten um "ein Werkzeug der Zentralisierung der EU",  wie er heute im "Radio Maryja" sagte. Gleiches befürchtet er auch für das künftige Urteil. Die ungarische Regierung bezeichnet die Ausführungen des Generalanwaltes als "falsch" und setzt nun laut der ungarischen Justizministerin Judit Varga darauf, "dass sich der Gerichtshof ausschließlich auf juristische Argumente und gesunden Menschenverstand stützen wird."

Lange werden Sie sich nicht mehr gedulden müssen. Das EuGH-Urteil wird bereits in einigen Wochen erwartet. Vielleicht ja sogar noch bevor die Antwortfrist für die Brüsseler Briefe Mitte Januar 2022 verstrichen ist.

Bartosz Dudek und Dora Diseri haben zu dem Artikel beigetragen.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel