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Politik

Coronaeltern: Zwischen Druck und Burn-Out

6. April 2021

Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 gingen die Berichte der "Coronaeltern" über den Spagat zwischen Job und Kindern viral. Ein Jahr später ist die Lage noch immer angespannt - vor allem Mütter leiden.

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Coronavirus home office Mutter Kind Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/KEYSTONE/C. Beutler

Als die Journalistin und Mutter Mareice Kaiser vor rund einem Jahr auf Twitter fragte, was "eigentlich Eltern machen, die nicht mehr können", traf sie das Lebensgefühl vieler Menschen. Unter dem Hashtag #Coronaeltern machten sie ihrem Ärger im Netz Luft und berichteten, wie es ihnen zwischen Home-Office und Home-Schooling erging. Der harte erste Lockdown lief zu der Zeit schon mehrere Wochen, Kitas und Schulen waren zu. Auch Spiel- und Sportplätze waren geschlossen, Freunde treffen weitestgehend verboten.

Die Tage in den heimischen vier Wänden wurden zur Herausforderung, trotz Sportvideos auf Youtube und der Sendung mit der Maus in Dauerschleife. Viele Chefs verlangten tagsüber weiterhin den vollen Arbeitseinsatz, die Lehrkräfte am Abend die eingescannten Arbeitsblätter der Kinder. Auch in anderen Ländern berichten Eltern unter #coronaparents vom improvisiertem Home-Schooling, Eiscreme zum Frühstück und durchgeweinten Nächten.

Zukunftsängste und Burn-Out

Rund ein Jahr später ist von Entspannung immer noch keine Rede, im Gegenteil. Deutschland befindet sich laut dem Robert-Koch-Institut mitten in der dritten Coronawelle. Der deutschlandweite 7-Tage-Inzidenzwert auf 100.000 Einwohner liegt Stand Anfang April bei rund 130. Schulen und Kitas sind zwar nach mehreren Monaten Lockdown wieder weitestgehend geöffnet, doch von Alltag kann immer noch keine Rede sein.

Die Kita-Öffnungszeiten sind eingeschränkt, Unterrichtsstunden stark zurückgefahren. Mal findet der Unterricht an einzelnen Tagen statt, mal täglich - aber dafür nur wenige Stunden. Viele Eltern fragen sich zudem, was wohl nach den Osterferien passieren wird. Bundesländer wie Berlin haben bereits bekannt gegeben, dass sie dann nur noch Notbetreuung anbieten werden.

Doch auch ohne offiziellen Lockdown und Notbetrieb wächst der Druck auf die Eltern, ihre Kinder zu Hause zu lassen. "Und da ist sie, die Nachricht, das Kind nach Möglichkeit nicht in die Kita zu schicken", schreibt eine Nutzerin auf Twitter. "Das Kind, das jeden Tag glücklich von der schönen Zeit in der Waldkita erzählt. Und uns wieder dazu zwingt, Entscheidungen treffen zu müssen."

Eine andere Mutter klagt über mangelnde Unterstützung der Eltern. "Ich bin ausgebrannt, es würde mich nicht wundern, wenn die Eltern jetzt einer nach dem anderen umkippen." Eine weitere berichtet fast zynisch: "Und tadaa, die erste heulende Mutter am Telefon, weil sie nicht weiß, wie sie ihr Kind betreuen soll, wenn die Kitas wieder in den Notbetrieb gehen."

Vor allem Mütter betroffen

Dass es vor allem die Mütter sind, die im Netz klagen, ist kein Zufall. Auch zahlreiche Studien zeigen, dass Frauen im Schnitt deutlich stärker durch die Corona-Einschränkungen belastet werden als Männer. Zwar haben auch Väter ihren Anteil an der Care-Arbeit - also Kindererziehung und Haushalt - erhöht, doch nicht im gleichen Ausmaß. Soziologin Jutta Allmendinger spricht auch von einer "Retraditionalisierung" der Geschlechterrollen, die die Emanzipation der Frauen um Jahrzehnte zurück werfen soll.

Auch das Nationale Bildungspanel vom Oktober 2020 belegt, dass die Kinderbetreuung häufiger Sache der Mütter ist. "Häufig haben berufstätige Mütter die Betreuung ihrer Kinder alleine übernommen, während viele Väter ihre Kinder nur ergänzend betreut haben. Wie andere Studien zeigen, dürfte die Vereinbarkeit dieser beider Aufgaben vor allem mit Kitakindern schwer zu bewältigen sein", heißt es in dem Bericht. 

Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung von Juni 2020 sprachen Frauen häufiger als Männer von einer hohen Belastung. Rund ein Viertel der Mütter mit Kindern unter 16 Jahren fühlt sich mindestens einmal die Woche niedergeschlagen. Die Techniker Krankenkasse fand in einer Befragung Ende 2020 heraus, dass über die Hälfte der Mütter gestresster sind als vor der Krise. Bei den Männern war der Anteil mit rund 40 Prozent etwas geringer.

"Nur noch am Anschlag" 

Die Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks, Anne Schilling, findet in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vom Februar 2021 deutlich drastischere Worte. Schon immer seien die Frauen, die eine Kur in Anspruch nähmen, erschöpft. "Die aber, die jetzt zu uns kommen, sind nur noch am Anschlag", "ausgebrannt und überfordert", sagt sie. Besonders die Perspektivlosigkeit mache Sorgen.

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"Am Anschlag": Das Müttergenesungswerk registriert deutlich steigende Nachfrage nach Kuren Bild: ROBIN UTRECHT/picture alliance

"Sie leiden darunter, dass nichts mehr planbar ist: Kitas geschlossen, Wechselunterricht, dann wieder nicht. Das ist nicht nur anstrengend, sondern setzt den Frauen auch immer zu. Es geht ja schließlich auch um was: Die eigene Berufstätigkeit, die Bildung ihrer Kinder, um die ganze Familie", sagt Schilling. Ihr fehlten vor allem die Appelle an die Väter, sich stärker zu beteiligen und dafür auch Arbeitsstunden zu reduzieren.

Auch in den sozialen Medien werden Lösungsvorschläge für gestresste "Coronaeltern" diskutiert: Mehr Testmöglichkeiten für Kinder, mehr Kindkrankheitstage oder auch einen ganz harten Lockdown, der auch Reisen und Geschäfte umfasst, um danach wieder mehr Freiheiten zu haben. Manch eine rettet sich auch in den Humor, wie ihn auch Journalistin Teresa Bücker beweist. Sie schlägt Politikern eine "Care-Patenschaft" für zwei Kleinkinder vor, um die sich auch wirklich kümmern müssten. "Praxiserfahrung, so wichtig."

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft