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Edith Stein: Zeugin geistiger Freiheit

28. Januar 2016

Sie folgte ihrem Gewissen bis in den Tod: Edith Stein. Pater Eberhard von Gemmingen SJ spricht im Beitrag der katholischen Kirche über die Karmelitin, die mit ihrem Leben und Sterben ihre geistige Freiheit bezeugte.

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Porträt Edith Stein
Bild: picture-alliance/dpa

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Frauen konnten Jahrhunderte lang ihr Leben nicht frei gestalten. Sie waren komplett von Männern abhängig. Männer nahmen sich Frauen, Eltern verheirateten ihre Töchter. Der eigentliche Mensch war der Mann, die Frau hatte zu gehorchen. Auch die Bibel schien diese Ansicht für immer zu vertreten, denn es heißt: Die Frau solle ihrem Manne untertan sein. Nur wenige Herrscherinnen oder auch einige Kurtisanen erfreuten sich einer gewissen Selbständigkeit. Im Lauf der letzten Jahrhunderte errangen Frauen mehr und mehr die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu bestimmen. Sie nahmen und nehmen teil an der Befreiungsgeschichte der Menschheit. Lange widersetzte sich auch die Kirche dieser Geschichte. Doch es gibt in ihr auch Zeuginnen, die eben aus dem christlichen Glauben beitrugen zur Befreiungsgeschichte der Menschen und besonders der Frauen

Freiheit aus Gewissensüberzeugung

Eine Zeugin dieser Befreiung war im 20. Jahrhundert Edith Stein. Sie gewann ihre Freiheit aus selbständigem Denken und aus dem frei machenden Glauben an Jesus Christus. Die junge Edith Stein aus jüdischem Haus in Schlesien studierte Philosophie, suchte dabei ihren eigenen Denkweg, begegnete nach manchen geistigen Wanderungen der großen Mystikerin Teresa von Ávila und wurde Christin. Sie unterrichtete dann Religion in Speyer und wurde Professorin in Münster. Von dort schrieb sie Papst Pius XII., er solle doch gegen Hitler Stellung beziehen. Um angesichts der Nazibedrohung als geborene Jüdin dem akademischen Institut nicht durch ihre Anwesenheit zu schaden, schied sie dort aus dem Dienst aus und trat als Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz in den Karmel von Köln ein. Um auch dieses Kloster vor den Nazis zu schützen, siedelte sie in die Niederlande über. Doch auch hierhin reichte der antizionistische Arm Hitlers. Edith Stein wurde 1942 zusammen mit ihrer Schwester Rosa ins KZ Auschwitz deportiert und dort ins Gas getrieben.

Edith Stein ist eine Zeugin geistiger Freiheit aus Gewissensüberzeugung. So ist sie ein Symbol der Moderne. Durch Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, waren Menschen an die Lebensform und Religion ihrer Familie gebunden. Man musste sich anpassen, durfte nicht ausscheren. Edith Stein scherte aus. Auch wenn sie an ihrem Judentum hing, war sie doch von dem Juden Jesus von Nazareth mehr überzeugt und wurde seinetwegen Christin. Ihre eigene Mutter hielt den Übertritt zur katholischen Kirche für einen Abfall von der angestammten Religion, für Apostasie. Diese Auffassung schmerzte die Tochter ebenso wie die Mutter. Sie aber folgte ihrem Gewissen und bezeugte so ihre geistige Freiheit.

Für die Leiden ihres Volkes

Edith Stein sah ihre Bestimmung darin, in ihrem Herzen die Leiden ihres Volkes anzunehmen, um sie Gott als Sühne für die Sünden der Nazis anzubieten. Sie schrieb 1938: „Ich muss immer wieder an Königin Esther denken, die gerade darum aus ihrem Volk genommen wurde, um für das Volk vor dem König zu stehen. Ich bin eine sehr arme und ohnmächtige kleine Esther. Aber der König, der mich erwählt hat, ist unendlich groß und barmherzig.“1Sie blieb ihrem jüdischen Volk im Herzen verbunden, aber auch ihrem Gewissen treu. Wegen ihrer herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung hätte sie vielleicht vor der Vernichtung gerettet werden können. Doch Edith Stein hatte bereits in ihrem Testament 1939 geschrieben: „Schon jetzt nehme ich den Tod, den Gott mir zugedacht hat, in vollkommener Unterwerfung unter seinen heiligsten Willen mit Freuden entgegen. Ich bitte den Herrn, dass er mein Leben und Sterben annehmen möchte zu seiner Ehre und Verherrlichung … damit der Herr von den Seinen aufgenommen werde und sein Reich komme in Herrlichkeit, für die Rettung Deutschlands und den Frieden der Welt, schließlich für meine Angehörigen“2. Edith Stein fühlte sich immer als Angehörige ihres Volkes. Eine ihrer letzten Äußerungen zu ihrer Schwester war: „Komm, wir gehen für unser Volk“3.

Edith Stein ist eine Zeugin des echten Feminismus, der geistigen Freiheit und Unabhängigkeit. Diese innere Freiheit führte sie letztlich in den Tod und so zur Auferstehung.

1Edith Steins Werke, hrsg. von L. Gelber und Romaeus Leuven, Bd. 9: Selbstbildnis in Briefen, Freiburg i. Brsg. 1977, Brief vom 31. Oktober 1938, S. 121.
2Edith-Stein-Gesamtausgabe, hrsg. von M. A. Neyer und H.-B. Gerl-Falkovitz, Bd. 1: Aus dem Leben einer jüdischen Familie und weitere autobiographische Beiträge, Freiburg i. Brsg. 2002, Testament, S. 375.
3Andreas Uwe Müller, Maria Amata Neyer: Edith Stein – das Leben einer ungewöhnlichen Frau, Düsseldorf 2002, S. 279.

Pater Eberhard von Gemmingen Radio Vatikan
Bild: picture-alliance/dpa

Pater Eberhard von Gemmingen SJ ist 1936 in Bad Rappenau geboren. Nachdem er 1957 in den Jesuitenorden eingetreten ist, studierte er 1959 Philosophie in Pullach bei München und Theologie in Innsbruck und Tübingen. 1968 erfolgte seine Priesterweihe. Pater Eberhard von Gemmingen SJ war Mitglied der ökumenischen Laienbewegung action 365, bischöflicher Beauftragter beim ZDF und Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan. Seit 2010 ist er Fundraiser der deutschen Jesuiten.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte und Alfred Herrmann