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Digitalrat-Chefin dringt auf Reformen

16. Juli 2021

Der Föderalismus hemme die Digitalisierung von Deutschlands öffentlichem Sektor, sagt Merkels Digital-Beraterin Katrin Suder. Sie fordert weitreichende Reformen.

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Deutschland | Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre
Katrin Suder leitet seit 2018 den Digitalrat, der die Bundesregierung bei Digitalisierungs-Fragen berätBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Schulen mit veralteten Computern. Gesundheitsämter, die Faxe versenden. Bürgerämter, die kaum Dienstleistungen online anbieten. Die Coronavirus-Pandemie hat gezeigt, dass Deutschlands öffentlicher Sektor weiter digitalen Aufholbedarf hat — zur Verblüffung von Beobachtern rund um die Welt. Warum, fragen sie sich, schafft Europas reichstes Land es nicht, seine Verwaltung zu modernisieren?

Deutschlands Föderalismus trage daran eine Mitschuld, so eine hochrangige Digital-Beraterin der Bundesregierung. "Das System wurde entworfen, als es noch keine Plattformen gab. Keine Digitalisierung, keine IT", sagt Katrin Suder, die Vorsitzende des Digitalrats, im DW-Podcast Merkel's Last Dance. Das Interview wurde auf Englisch geführt.

Im deutschen Grundgesetz von 1949 sind weitreichende Kompetenzen für die 16 Bundesländer in Bereichen wie Bildung verankert. Diese Gewaltenteilung hemme heute jedoch teilweise die Modernisierung des öffentlichen Sektors, argumentiert Suder. Der Bund in Berlin solle deshalb mehr Einfluss bekommen. "Das ist natürlich eine Umverteilung von Macht, aber zum Besseren", sagt Suder.

Ein Pandemie-bedingtes Erwachen

Seit Jahren warnen Fachleute, dass Deutschland in der Digitalisierung hinterherhinkt. In einem EU-Bericht landete Deutschlands Verwaltung auf Platz 21 aller 27 EU-Mitgliedsstaaten plus Großbritannien, was das Angebot an öffentlichen Online-Leistungen betrifft. Als Corona-Kontaktbeschränkungen große Teile der Arbeitswelt und des öffentlichen Lebens ins Netz verlegten, erfuhren viele in Deutschland das am eigenen Leib.

Über Monate hinweg meldeten Gesundheitsämter Fallzahlen per Fax. Menschen mit langsamen Internetzugängen konnten nur schwer oder gar nicht von zu Hause aus arbeiten. Und in Schulen im ganzen Land fehlte Technologie, die für Distanz-Unterricht notwendig gewesen wäre. "Es ist ein riesiges Problem", sagt Suder über die Situation an den Schulen.

Die "Wurzel" des Problems liege darin, dass Bildung in Deutschland Ländersache sei. Dies habe das gesamte Land gehindert, Ressourcen zu bündeln und eine nationale E-Learning-Plattform zu entwickeln, die alle Bundesländer für ihre Zwecke anpassen können, sagt sie. Stattdessen sind im ganzen Land unterschiedliche E-Learning-Tools in Gebrauch, was zu großen Qualitätsunterschieden beim Unterricht führe. "Wir müssen Wege finden, das zu ändern", fordert Suder, "auch in unserer Verfassung."

Ist ein Digitalministerium die Lösung?

Und es bedürfe weiterer politischer Reformen, um den öffentlichen Sektor in Deutschland fit für das digitale Zeitalter zu machen, ist Suder überzeugt. Sie glaubt, dass ein eigenes Digitalministerium Teil der Lösung sein könnte. "Aber wir müssen super-vorsichtig sein, wie wir es aufstellen", warnt sie, "denn, wenn wir das falsch machen, schaffen wir einen Haufen neuer Probleme."

Wir brauchen Digital-Fachkräfte!

Das Ministerium solle mit eigenem Haushalt und Mitarbeitern ausgestattet sein, so Suder. Es solle Digital-Initiativen anderer Ministerien koordinieren und gleichzeitig die Federführung bei bestimmten Vorhaben übernehmen. In Zukunft könnte ein solches Ministerium zum Beispiel die Entwicklung der deutschen Datenstrategie verantworten; die Initiative wurde Anfang des Jahres vorgestellt und bisher im Kanzleramt erarbeitet.

"Aber ein neues Ministerium allein wird das Ruder nicht rumreißen", mahnt Suder. Deutschland müsse auch besser darin werden, digitale Fachleute für Regierungsjobs zu gewinnen, sagt sie. Und das Land müsse versuchen, mehr Menschen in der Verwaltung für den digitalen Wandel zu begeistern. "Wenn wir diesen Leuten ein bisschen die Einstellung vermitteln können, dass das auch Spaß machen kann, dann haben wir eine Chance", sagt Suder.

Kommentarbild Janosch Delcker
Janosch Delcker Chefkorrespondent für Technologie