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Vertriebene von gestern und heute

Heiner Kiesel20. Juni 2016

Beim diesjährigen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung stehen die Parallelen zu aktuellen Flüchtlingsbewegungen und der Umgang mit den Schicksalen im Vordergrund. Nur einer sieht das anders.

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Vertriebenenpräsident Bernd Fabritius Copyright: DW/H. Kiesel
Vertriebenenpräsident Bernd Fabritius erinnert an Stalins GräueltatenBild: DW/H. Kiesel

Vielleicht liegt es an seiner blaugrauen Uniform, das Hechyar Mohammad so gerade, fast steif durch deen gläsern überdachten Innenhof des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin stakst. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass er, gleich nach dem Bundesinnenminister und dem Bundestagspräsidenten dafür sorgen soll, die Aktualität von Flucht und Vertreibung in die heutige zentrale Gedenkveranstaltung zu diesem Thema zu tragen. Etwa 300 geladene Gäste werden ihm zuhören und an seinem Schicksal teilnehmen – Ministerpräsidenten, Bundestags- und Landtagsabgeordnete.

Jetzt setzt er sich erst mal zwischen die anderen Redner in der ersten Reihe. Die Luft steht stickig im Raum. Eine halbe Stunde wird er sein Redemanuskript noch auf den Oberschenkeln festhalten. Der Termin ist hochoffiziell: Der Gedenktag für Flucht und Vertreibung wird dieses Jahr zum zweiten Mal überhaupt begangen. Er fällt zusammen mit dem Weltflüchtlingstag und geht auf einen Beschluss der Bundesregierung aus dem Jahre 2014 zurück. Es soll damit insbesondere auf das Schicksal deutscher Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg erinnert werden. Die Einrichtung dieses Gedenktages war kontrovers diskutiert worden. Einige Kritiker befürchteten eine Relativierung des Holocaust im öffentlichen Gedenken.

De Maizière: Jeder fünfte Deutsche hat Vorfahren, die vertrieben wurden

Für Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist das Gedenken Ausdruck dafür, dass das Vertriebenenschicksal Teil vieler Familiengeschichten ist. "Jeder fünfte Deutsche hat Vorfahren aus Pommern, Schlesien, Ostpreußen oder der Bukowina." Die Vertriebenen hätten, so der CDU-Politiker, maßgeblich zum Aufbau des Landes beigetragen. De Maizière zieht aber auch Parallelen zu den Flüchtlingsbewegungen der Gegenwart. "Wer von den Schicksalen der Vertriebenen weiß, bekommt ein Gespür dafür, was unserem Land verloren gegangen ist und für das, was Flüchtlinge dieser Tage erleben." Deswegen sei es wichtig, bei den Flüchtlingen, die zu uns kommen auch auf Religiosität, Mentalität und Lebensgefühl zu achten, so der Minister.

Deutschland Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung Copyright: DW/H. Kiesel
Flüchtlingsaktivisten machen ihrem Ärger über die Bundesregierung LuftBild: DW/H. Kiesel

Nach einem kurzen Intermezzo von sechs regierungskritischen Flüchtlingsaktivisten, die de Maizière vorwerfen, mit fragwürdigen Statistiken Stimmung gegen Migranten zu machen, befasst sich Bundestagspräsident Norbert Lammert mit den Geflohen von damals und heute. Den Gedenktag sieht er als Möglichkeit, aus der Geschichte der Flucht zu lernen. "Wir reden nicht von der Vergangenheit", sagt Lammert. Im Zeitraum der aktuellen Gedenkstunde, so Lammert, würden irgendwo auf der Welt 1.500 Menschen vertrieben. Der Gedenktag sei dafür da, sich zu vergewissern, was uns moralisch und rechtlich wichtig ist.

Lammert erinnert bei dieser Gelegenheit die Partnerstaaten in der EU daran, dass sie der UN-Flüchtlingskonvention längst beigetreten seien. "Man merkt nicht immer, dass sie sich daran erinnern, dass sie diese Verpflichtung eingegangen sind, wenn sie sich darüber streiten, ob es hier überhaupt um eine Gemeinschaftsaufgabe gehe." Mit Blick auf die Diskussionen in Deutschland über die Flüchtlinge fordert der Bundestagspräsident Integrationswillen sowohl bei den Alteingesessenen als auch bei den neu Kommenden ein. "Da fehlt es auf beiden Seiten gelegentlich an dieser Vorraussetzung."

Thomas de Maizière Copyright: picture-alliance/dpa/R. Jensen
Thomas de Maizière begrüßt die Gäste der GedenkveranstaltungBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Mohammad möchte wieder nach Hause

Nach dieser Vorrede konnte Hechyar Mohammad als positives Beispiel ans Rednerpult treten. Er ist Kurde und 2012 aus dem Nordosten Syriens geflohen. Er war politisch aktiv, Gewerkschaftsmitglied und hatte Angst um sein Leben. Seit zweieinhalb Jahren ist er mit seiner Frau und den drei Kindern in Deutschland . Seine älteste Tochter habe es auf das Gymnasium geschafft, berichtet er seinen Zuhörern stolz. "Sie kann jetzt schon besser deutsch als ihre Eltern."

Mohammad trägt die Uniform des Technischen Hilfswerkes, denn in der THW-Ortsgruppe des niedersächsischen Sarstedt engagiert er sich in der Flüchtlingshilfe. Er hofft darauf, dass er bald wieder als Landwirt arbeiten kann. Aber vor allem würde er gerne wieder in seine Heimat zurückkehren und beim Wiederaufbau helfen. Dafür bekommt er Applaus, es ist der kräftigste bei dieser Gedenkveranstaltung.

Hechyar Mohammad Copyright: DW/H. Kiesel
Flüchtlingshelfer beim THW: Hechyar MohammadBild: DW/H. Kiesel

Es wäre ein runder Abschluss gewesen, aber von den Rednern der Gedenkveranstaltung fehlte noch Bernd Fabritius. Der rumänischstämmige CSU-Abgeordnete ist der Präsident des Bundes der Vertriebenen. Er rückt den Fokus der Gedenkstunde wieder auf die deutschen Vertriebenen zurück. Er erinnert an den Befehl 7161 des Machthabers Josef Stalin, der Verschleppung und Zwangsarbeit für Deutschstämmige im sowjetischen Einflussgebiet verfügte und die vielen Menschen, die in den russischen Arbeitslagern gestorben sind. Aber auch Fabritius kommt nicht an der Betrachtung der Gegenwart vor dem Hintergrund der Geschichte vorbei. Dabei geht es ihm aber weniger um den respektvollen Umgang mit Flüchtlingen im Inland, sondern um die generelle Ächtung der Verfolgung ethnischer Gruppen. "Wir wollen niemals vergessen, dass Identität und Menschenrechte nicht verhandelbare Werte und unteilbar sind, dass jede Vertreibung und ethnische Säuberung, egal wo, egal wann und egal durch wen immer ein Verbrechen ist."