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"Es entsteht ein totalitärer Staat"

Eugen Theise / Markian Ostaptschuk16. Januar 2014

Mit neuen Gesetzen schränkt die Führung in Kiew die Bürgerrechte ein. Oleksandr Suschko, Koordinator der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit mit der EU, zeigt sich im DW-Interview bestürzt.

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Kiewer Gespräche zum Oleksandr Suschko, Leiter des Kiewer Instituts für Euro-Atlantische Zusammenarbeit (Foto: Volodymyr Osadchyy)
Bild: Osadchyy ©vo_ua

Vollkommen überraschend hat am Donnerstag (16.01.2014) das ukrainische Parlament ein umfangreiches Gesetzespaket verabschiedet. Die Gesetze wurden ohne jede Beratung in Ausschüssen und mit nur einer Lesung beschlossen. Per Handzeichen stimmte die Regierungsmehrheit einfach darüber ab, die Opposition protestierte vergeblich. Präsident Viktor Janukowitsch unterzeichnete die Gesetze am Freitagabend (17.01.2014), wie auf der Website des Präsidialamtes mitgeteilt wurde.

Mit den neuen Gesetzen soll die Verbreitung von "Verleumdungen" - speziell im Internet - unter Strafe gestellt werden. Damit könnten beispielsweise Journalisten und Blogger mundtot gemacht werden, wenn sie Vorwürfe gegen Staatsbeamte und Politiker erheben. Auch das Recht auf friedliche Demonstrationen wird eingeschränkt. Analog zu umstrittenen Gesetzen in Russland könnten auch in der Ukraine demnächst Nichtregierungsorganisationen als "ausländische Agenten" betrachtet werden, wenn sie von ausländischen Stiftungen Gelder für ihre Projekte erhalten. Es fehlt nur noch die Unterschrift des Präsidenten unter das Gesetzespaket.

Oleksandr Suschko, Leiter des Kiewer Instituts für Euro-Atlantische Zusammenarbeit, ist Koordinator der ukrainischen Plattform der Zivilgesellschaft im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der EU. Diese Plattform vereint Dutzende ukrainische NGOs. Sie alle sind Partner der EU bei der demokratischen Transformation in der Ukraine.

Deutsche Welle: Herr Suschko, alle ukrainischen NGOs, die in der Östlichen Partnerschaft mit der EU zusammenarbeiten, könnten nun zu "ausländischen Agenten" werden. Die EU unterstützt die Zivilgesellschaft in der Ukraine und möchte gern mehr Finanzmittel für Projekte bereitstellen. Missachtet die ukrainische Staatsmacht die EU als strategischen Partner?

Oleksandr Suschko: Die Staatsmacht lässt sich nur von einer Überlegung leiten: Wie kann man ein gesellschaftliches und politisches Umfeld schaffen, damit sie langfristig die Macht behalten kann. Sie interessiert es nicht, was die Europäische Union über sie denkt. Das kann man bewerten, wie man will: als "Dreistigkeit" oder sonst was. Das spielt aber keine Rolle. Weil die EU der Staatsmacht nicht dabei behilflich sein kann, ihr einziges Ziel zu erreichen, für eine längere Zeit an der Macht zu bleiben, hat die Meinung der EU keine Bedeutung.

Welche Unterstützung würden Sie von der EU in dieser Situation erwarten?

Es ist wichtig, dass die EU auf höchster Ebene sofort reagiert. Man will zum Beispiel verbieten, dass mehr als fünf Autos in einer Kolonne als Zeichen des Protests fahren. Man will NGOs als "ausländische Agenten" bezeichnen. Mit dem Gesetzespaket wird der rechtliche Rahmen in der Ukraine radikal verändert: alle wichtigen Gesetze, die dem Land bislang eine gewisse Demokratie und etwas Pluralismus gewährleisteten. Das betrifft den freien Austausch von Informationen im Internet. Mit diesem Verfahren kann man rechtmäßig jede Webseite schließen. Das betrifft auch Informationen in sozialen Netzwerken, die der Staatsmacht missfallen. All diese Dinge sind bald verboten. Jede soziale Aktivität, die der Staatsmacht schaden könnte, wird nun in der Ukraine gesetzlich untersagt und kriminalisiert.

Wird die Ukraine zu einem "Polizeistaat"?

Inzwischen wird der rechtliche Rahmen für einen solchen Staat geschaffen. Mehr noch: Das ist sogar der rechtliche Rahmen eines totalitären Staates. Denn nach dem Gesetz kann man bald alles Mögliche als "Verleumdung" betrachten: jede Kritik am Amtsmissbrauch von Beamten. Jeden Aufruf zu gesellschaftlichen Veränderungen könnte man als "Extremismus" bezeichnen. Ebenso Aufrufe, die Staatsmacht auf gesetzlichem Wege auszutauschen. Jede Veröffentlichung im Internet, jede regelmäßige Verbreitung von Informationen wird mit der Arbeit von Nachrichtenagenturen gleichgesetzt und bedarf einer Zulassung. Mit dieser Gesetzesbestimmung kann der Zugriff auf Blogs und allem Möglichen blockiert werden.

Wie kann man Ihrer Meinung nach dieses repressive Gesetz stoppen?

Zunächst einmal muss man verlangen, dass dieses inakzeptable, illegale Gesetz nicht dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt wird. Es wurde widerrechtlich verabschiedet, weil das Verfahren nicht korrekt war. Wenn es doch dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt wird, muss man verlangen, dass dieser es nicht unterzeichnet. Und wenn er es unterzeichnet, wird das Land ganz anders aussehen. Die Öffentlichkeit muss auf dieses Gesetz reagieren.