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Politik

Aufruf zur Erneuerung der SPD

6. Dezember 2019

Man müsse wieder Partei der "Verteilungsgerechtigkeit" werden, so die neuen SPD-Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans. Viel Applaus dafür. Nun aber steht die spannende Groko-Debatte an. Sabine Kinkartz berichtet.

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SPD-Bundesparteitag - Saskia Esken Walter-Borjans
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Die SPD macht es spannend. Seit zehn Uhr läuft der Bundesparteitag in Berlin, aber die Diskussion über die große Koalition mit CDU und CSU soll laut Tagesordnung erst am Nachmittag stattfinden. Doch die Frage, ob die Sozialdemokraten das Regierungsbündnis bis zum regulären Ende im Herbst 2021 fortsetzen wollen, schwebt unübersehbar über allem.

Die Partei ist gespalten. In die Gegner des Regierungsbündnisses. Und in die Pragmatiker, zu denen die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer zählt. Sie warb zum Auftakt des Parteitags klar für einen Verbleib in der GroKo: "Wir machen das, zu was wir als Partei verpflichtet sind: Wir gestalten Politik." Sie lobte ausdrücklich die SPD-Minister und die Erfolge der SPD in der Bundesregierung. Darauf sei sie "mächtig stolz".

Wem werden die Delegierten folgen?

Wohin steuert die SPD? Um Deutschlands älteste Partei ist es schlecht bestellt. Seit 1998, als die Sozialdemokraten mit mehr als 40 Prozent die Bundestagswahl gewannen, ging es bergab. Inzwischen dümpelt die Partei zwischen 13 und 15 Prozent. Viele Genossen, wie sich die Sozialdemokraten untereinander nennen, machen für den Niedergang ihrer Partei die große Koalition verantwortlich. Seit 2005 regiert die SPD bereits zum dritten Mal mit CDU und CSU.

Die Parteien seien inzwischen kaum noch voneinander zu unterscheiden und die SPD habe dadurch ihre Attraktivität verloren, kritisiert Saskia Esken, die im Team mit Norbert Walter-Borjans für den SPD-Vorsitz nominiert ist. "Für junge Menschen spielt es sicher eine große Rolle, weil die uns nicht anders kennen als als Juniorpartner von Angela Merkel, und das ist schon sehr problematisch, denn da ist man in der Wahrnehmung ohne eigene Ambitionen", so Esken gegenüber der DW.

Mit radikalen Forderungen zum Sieg

Im Wahlkampf um den SPD-Vorsitz haben die bislang weitgehend unbekannte 58-jährige Bundestagsabgeordnete und der 67-jährige frühere nordrhein-westfälische Finanzminister keinen Hehl daraus gemacht, dass sie von der GroKo nichts halten. Esken forderte mehrfach einen Ausstieg aus dem Regierungsbündnis. Man kann davon ausgehen, dass die beiden linken Politiker gerade wegen dieser Forderung von der Basis gewählt wurden.

Berlin | SPD-Bundesparteitag
600 Delegierte sind auf dem SPD-Parteitag in BerlinBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Seit das Duo den SPD-Mitgliederentscheid zum Parteivorsitz für sich entschieden hat, rudern Esken und Walter-Borjans verbal allerdings deutlich zurück. "Der Ausstieg aus der großen Koalition ist kein Selbstzweck, es wird aber auch niemand erwarten können, dass man heute oder morgen eine Entscheidung trifft, dass man ohne Wenn und Aber in einer Koalition bleibt, in der eine Menge Fragen offen sind und geklärt werden müssen", betont Norbert Walter-Borjans. "Es geht nach den Inhalten und nicht nach der Frage, ob ja oder nein."

Mehr Klimaschutz und mehr Mindestlohn

Mit der Union müsse darüber gesprochen werden, "wie geht es eigentlich weiter mit dem Klimaschutz, es muss weitergehen mit der Frage massiver Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, und es muss weitergehen mit arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen, also einen Mindestlohn von zwölf Euro anzustreben und in diese Richtung weiterzuarbeiten", erläutert Walter-Borjans.

Berlin Bundestag Scholz und Merkel
Steht die große Koalition vor einer weiteren Hängepartie?Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die Parteilinke reibt sich verwundert die Augen und schlägt entsetzt Alarm. "Jetzt geht es tatsächlich darum, diesen neuen Kurs hinzukriegen um wieder mehr Glaubwürdigkeit zu bekommen, und das kriegt man nicht, indem man jetzt schon wieder einen Haken schlägt und sagt, ach, Entschuldigung, war alles nicht so gemeint", warnt die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, die selbst für den Parteivorsitz kandidiert hatte. "Ich werde mit meiner Stimme auf jeden Fall dafür eintreten, aus der großen Koalition auszutreten."

Die Linke will die Revolution nicht absagen

Zusammen mit dem linken Parteiflügel will Mattheis auf dem Bundesparteitag eine Abstimmung über den GroKo-Ausstieg beantragen. "Der SPD-Parteitag muss über die große Koalition entscheiden, und zwar auf der Grundlage der Bilanz, die die GroKo vorgelegt hat", stellte sie klar.

Hilde Mattheis, stellvertretende SPD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg
Streitbare Parteilinke: Hilde MattheisBild: picture-alliance/dpa/S.Gollnow

Droht auf dem Parteitag eine Machtprobe zwischen den Parteilinken und der neuen SPD-Führung? Das wäre eigentlich paradox, weil Esken und Walter-Borjans doch selbst zur Parteilinken gehören. Hier zeigt sich die tiefe Spaltung der SPD: in die Vertreter der reinen sozialdemokratischen Lehre und in die Pragmatiker, die in der politischen Realität des Berliner Regierungsbetriebs zuhause sind und kein Interesse an einem schnellen Ende der Koalition haben.

Kompromiss statt reiner Lehre

In diesem Umfeld haben Esken und Walter-Borjans den Leitantrag, also die Empfehlungen für den Bundesparteitag, erarbeitet. "Es ist ein guter Kompromiss, aber sie werden nachvollziehen können, dass es nicht die reine Lehre dessen sein kann, wovon wir überzeugt sind", sagt Saskia Esken zum Leitantrag. "Aber es geht in die richtige Richtung, und deswegen sind wir sehr zufrieden damit."

Deutschland SPD-Führungstagung in Berlin l Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans
Die SPD-Führung diskutiert den Leitantrag in der SPD-Zentrale. Ganz rechts Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz, der selbst gerne SPD-Vorsitzender geworden wäre Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Spannend wird nun die Frage, wie sich der Bundesparteitag positionieren wird. Er ist das höchste Entscheidungsgremium der SPD. Rund 600 Delegierte aus ganz Deutschland sind dafür nach Berlin angereist. Am Nachmittag sollen die Delegierten die neuen Vorsitzenden auch rechtlich ins Amt wählen. Das gilt nach dem Votum der Mitglieder aber als Formsache. Anschließend steht die Aussprache über den künftigen Kurs der Partei auf der Tagesordnung. Da könnte es turbulent werden.

Welche Rolle spielt der Juso-Chef?

Viel wird von Kevin Kühnert abhängen, dem politisch erfahrenen Chef der SPD-Jugendorganisation, der Jusos. Er hat im Wahlkampf Stimmung für Esken und Walter-Borjans gemacht und gilt nun als der starke Mann hinter dem Duo. Der 30-jährige ist ein erklärter Gegner der großen Koalition. 2018 hatte er vergeblich versucht, sie zu verhindern. "Die Menschen suchen danach, dass mal wieder Konfliktfragen in die eine oder in die andere Richtung entschieden werden, und man weiß, woran man ist. Das gewährleistet keine große Koalition", so Kühnert gegenüber der DW.

Doch selbst der Juso-Chef tritt beim Thema Ausstieg inzwischen auf die Bremse. "Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand", sagte er in einem Zeitungsinterview. Entscheidungen müssten vom Ende her durchdacht werden und das sollten die SPD-Delegierten berücksichtigen. Eine Äußerung, die umgehend so hohe Wellen schlug, dass sich Kühnert bemüht fühlte, im Nachrichtenportal Twitter eine Videobotschaft zu posten: "Der Parteitag hat - wie jeder Parteitag - das Recht, das Ding zu beenden oder einen Weg zum Ende einzuleiten, wenn er das für richtig hält. Ich maße mir überhaupt nicht an, den Delegierten dazu irgendwelche Empfehlungen zu geben oder gar sie zu warnen." Langweilig, so viel steht fest, wird der SPD-Parteitag ganz sicher nicht.