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Schlepper-Jagd an der EU-Front

Sven Pöhle18. Mai 2015

Zu Wasser, zu Lande, mit gefälschten Papieren oder ohne. Menschen illegal über Grenzen zu schaffen ist ein oft schmutziges, manchmal tödliches, aber stets lukratives Geschäft: Was weiß die Polizei - und was kann sie tun?

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Elendsflüchtlinge aus Afrika
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Monat für Monat nehmen mehr Flüchtlinge den Weg nach Europa auf sich. Hunderte versuchen fast täglich, in die "Festung Europa" zu gelangen. Oftmals unter lebensgefährlichen Umständen. Deutsche Ermittlungsbehörden sehen damit einhergehend einen klaren Trend: Das Geschäft von Schlepperbanden boomt.

Viele deutsche Politiker haben sich den Kampf gegen die Schlepper auf die Fahnen geschrieben. Man müsse dem "Schleuserunwesen ein Ende machen", sagt Bundespräsident Joachim Gauck. Man müsse "den Schlepperorganisationen das Handwerk legen", findet auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Sein Parteichef Sigmar Gabriel fordert gar einen internationalen Einsatz gegen die Schlepperbanden.

Infografik gestorbene Flüchtlinge im Mittelmeer pro 1000

Kriminelle Reisebüros

Aber wer sind eigentlich die "Schlepperbanden"? Wie operieren sie und wie lassen sie sich bekämpfen? "Die Schleusungsbewegungen im Mittelmeer erfolgen fast ausschließlich aus Profitstreben der Täter", sagt Polizeirat Markus Pfau. Der Bundespolizist hat ein Buch über Schleusungskriminalität und polizeiliche Interventionsstrategien verfasst. "Die Tätergruppierungen nehmen schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit der Migranten in Kauf - bis hin zum Tod."

Einige Schlepper begreifen sich offenbar als eine Art "Reiseunternehmer". Der EU-Grenzschutzagentur Frontex zufolge bieten einige Menschenschmuggler ihre Dienste beispielsweise im Internet an: Ein Facebook-Nutzer aus der Türkei wirbt unter dem Namen "Turkish Smuggler" für Reisen zu "jedem Land in Europa". Die Preise variieren dort zwischen 3000 und 7000 Euro, Kinder unter acht Jahren reisen kostenfrei. Teilweise würden Schlepper sogar Garantie-Modelle anbieten, sagt Markus Pfau. Wer durch die Polizei aufgegriffen und später abgeschoben werde, werde erneut eingeschleust - bis der Aufenthalt gesichert sei.

Von Schlepper zu Schlepper zu Schlepper

Das Bundeskriminalamt (BKA) erstellt regelmäßig Lagebilder zu dem Bereich der sogenannten Schleusungskriminalität. Nach Erkenntnis des BKA nutzt die überwältigende Mehrheit aller Flüchtlinge, rund 90 Prozent, die Dienste von Menschenschmugglern. Dabei gibt es allerdings nicht wie bei einem hierarchisch organisierten Mafia-Clan eine Art "Schlepper-Paten", der die Reise vom Heimat- bis zum Zielort organisiert, durchführt und dafür kassiert. Laut BKA sind es kleine, strukturierte Schleusernetzwerke, die auf eine klare Aufgabenteilung setzen und die Flüchtlinge etappenweise zu ihrem Ziel führen. Ähnlich wie bei einem Wirtschaftsunternehmen gebe es auch bei den Schleppern Subunternehmer, die sich um die einzelnen Teilschritte kümmern, sagt Markus Pfau. Das Risiko, juristisch zur Rechenschaft gezogen zu werden, reduziert sich so.

Die Gewinnmarge ist aber durchaus beachtlich. In der Spitze würden für die Schleusung einer einzelnen Person aus einem Herkunftsland nach Europa bis zu 30.000 US-Dollar gezahlt, so Pfau. Bei Booten mit bis zu 900 Flüchtlingen an Bord kommt man selbst bei einem deutlich geringeren Entgelt schnell auf Millionenbeträge. Die Geldströme sind für die Ermittler durch die Aufgabenteilung der Schleuser aber nur schwer zu verfolgen. Die Menschenschmuggler lassen sich zudem vornehmlich in bar bezahlen.

Erkenntnisse über die Schlepper können oftmals nur mühsam über die Aussagen von Flüchtlingen gewonnen werden. Die netzwerkartigen Strukturen der Schlepperbanden machten es aber schwierig, bei der Befragung Strukturen zu erkennen und diese dann konkret nachzuweisen, so Pfau. Und belastbar sind die Aussagen der Flüchtlinge nicht immer. Viele sind den Schleppern für ihre "Dienste" durchaus dankbar, schreibt der italienische Autor Giampaolo Musumeci in seinem Buch "Bekenntnisse eines Menschenhändlers". BKA und Bundespolizei berichten zudem übereinstimmend von einer "ethnischen Schleusung": Das heißt, Schlepper aus Eritrea helfen ihren Landsleuten, Schlepper aus Somalia den ihren. Bereits in Europa lebende Flüchtlinge unterstützten Verwandte und Freunde bei der Organisation oder auch der Durchführung ihrer Flucht. Ein Vertrauensverhältnis, das für die europäischen Ermittler oft gar nicht oder nur schwer zu durchbrechen ist.

Boote der italienischen Küstenwache bei einem Rettungseinsatz vor Lampedusa (Foto: Tullio M. Puglia/Getty Images)
Handlungsmöglichkeit erst im EU-Raum: Boote der italienischen Küstenwache bei einem Einsatz vor LampedusaBild: Getty Images/Tullio M. Puglia

Ursachen und Symptome

"Die Identifizierung und das Aufdecken von Schleuserbanden, die von der Verzweiflung und Hoffnung ihrer unschuldigen Opfer profitieren, ist kein Problem, das Europa alleine lösen könnte", teilte der Generalsekretär der internationalen Polizeiorganisation Interpol, Jürgen Stock, zuletzt in einer Pressemitteilung mit. "Eine enge polizeiliche Zusammenarbeit auf nationaler wie internationaler Ebene ist unverzichtbar", schreibt auch das BKA auf Anfrage der DW.

Doch gerade hier liegt ein gravierendes Problem. Denn es sind vornehmlich Schlepperbanden außerhalb des europäischen Zugriffsbereichs, die von den Flüchtlingsströmen profitieren. Beispielsweise in Libyen. "Der absolute Schwerpunkt der internationalen Polizeizusammenarbeit bei der Bekämpfung der Schleusungskriminalität ist innereuropäisch", sagt Markus Pfau. "Sobald sie über den europäischen Raum hinaus kommen, wird es selbst in Herkunfts- und Transitländern schwierig, wo sie funktionierende politische Systeme haben, aber wo beispielsweise keine Rechthilfeübereinkommen bestehen."

"Entscheidend für die weitere Entwicklung ist die politische und wirtschaftliche Festigung der Herkunftsstaaten", schreibt das BKA. Doch dafür sind andere zuständig. Vornehmlich die Politik.