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Die Rückkehr der Dokus

Philipp Jedicke12. März 2013

Dokumentarfilme hatten lange den Ruf, langweilig zu sein. Doch es zeichnet sich eine Trendwende ab: Filme wie "Pina" oder "More Than Honey" füllen die Kinos. Erlebt das Genre in Deutschland eine Renaissance?

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Szene aus dem Dokumentarfilm "More Than Honey" von Markus Imhoof (Foto: Senator Film)
Film - More than HoneyBild: Senator Film

Das hat sich wohl selbst der erfolgsverwöhnte deutsche Regisseur Wim Wenders nicht träumen lassen: Sein Dokumentarfilm "Pina - tanzt, sonst sind wir verloren" gehörte im Kinojahr 2011/2012 zu den erfolgreichsten deutschen Produktionen und stellte gleichzeitig unter nonfiktionalen Filmen eine Bestmarke auf, die wohl lange nicht mehr einzuholen sein wird: Über 500.000 Besucher sahen den Film über die Compagnie der deutschen Star-Choreografin Pina Bausch. Dabei ist "Pina" kein einfaches Werk - weder inhaltlich noch in seiner Darstellung. Für die nächste Überraschung sorgte kurz darauf das Künstlerporträt "Gerhard Richter Painting" mit knapp 100.000 Besuchern. In dem Film ist der Maler in seinem Kölner Atelier bei der Arbeit zu sehen, nicht mehr und nicht weniger.

Futter für den Kopf

"Die Leute haben keine Lust mehr auf die Alltagsware, die sie aus dem Fernsehen kennen. Sie sind auf der Suche nach Inhalten, nach Futter für den Kopf", so der Regisseur Thomas Riedelsheimer, zu dessen Filmografie unter anderem "Breathing Earth" über den japanischen Künstler Susumu Shingu und der Grimme-Preis-nominierte Film "Seelenvögel" gehören. Er sieht in den Kinoerfolgen der vergangenen Jahre mehr als nur ein Comeback des Dokumentarfilms, sondern eine neue Entwicklung: "Auf der Leinwand liefen wohl noch nie so viele Dokumentarfilme wie heute." Doch steckt hinter den Überraschungserfolgen im Kino tatsächlich ein Trend, eine Sehnsucht nach Authentizität in einem von Virtualität geprägten Alltag?

Szene aus dem Film "Pina" von Wim Wenders (Foto: Donata Wenders)
Szene aus dem Dokumentarfilm "Pina" von Wim WendersBild: Donata Wenders

Wenn dem so ist, dann verschläft das Fernsehen diese Tendenz laut Riedelsheimer, denn hier hat sich die Lage des Dokumentarischen wohl eher verschlechtert: "Die Sender ziehen sich immer weiter aus dem Bereich zurück. Viele Sendeplätze für den langen Dokumentarfilm sind sang- und klanglos verschwunden, so hat zum Beispiel das ZDF keinen einzigen mehr dafür."

Muskelspiel der ARD

Dieser Vorwurf seitens der Dokumentarfilmer ist für die Programmverantwortlichen in den öffentlich-rechtlichen Sendern nichts Neues. Dabei hat sich die ARD pünktlich zur Berlinale mit der Broschüre "Top of the Docs" gebrüstet, die mit vielen Daten und Fakten belegen sollte, wie sehr man sich um die nonfiktionalen Formate bemüht. Laut den freien Dokumentarfilmern handelt es sich dabei jedoch um eine Milchmädchenrechnung, denn die ARD rechnet in 9092 Stunden Sendezeit alles mit ein, was in irgendeiner Form dokumentarischen Charakter hat. Also auch Reportagen, Magazinbeiträge und die in den letzten Jahren so erfolgreich gewordenen Dokudramen wie "Friedrich - ein deutscher König" oder "Vom Traum zum Terror - München 1972".

Thomas Riedelsheimer (Foto: T. Riedelsheimer/Filmpunkt)
Filmemacher Thomas RiedelsheimerBild: T. Riedelsheimer/Filmpunkt

Der klassische ambitionierte Dokumentarfilm hingegen scheint in Anbetracht von Sendezeiten wie 23.15 Uhr (Beispiel Westdeutscher Rundfunk) tatsächlich keinen guten Stand im Fernsehen zu haben. Hier wünscht sich die AG Dok, der Berufsverband fernsehunabhängiger Autoren, Regisseure und Produzenten, mehr Mut in der Programmierung und plädiert seit vielen Jahren für einen Primetime-Sendeplatz. Denn aus ihrer Sicht sind Dokumentarfilmer mit ihren Produktionen besonders auf die große Reichweite des Fernsehens angewiesen, mögliche Kinoerfolge hin oder her.

Vergleichsweise bessere Zeiten

Rolf Bergmann, Redakteur für Dokumentation und Zeitgeschehen im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), relativiert: "Die Unkenrufe sind übertrieben, besonders wenn man die Situation mit den 80ern und 90ern vergleicht. Es entstehen Jahr für Jahr lange Dokumentarfilme in einer großen Zahl. Dazu kümmern sich die ARD-Sender um den dokumentarischen Nachwuchs und arbeiten mit den Filmschulen zusammen." Tatsächlich sind die öffentlich-rechtlichen Sender starke Koproduktionspartner und ermöglichen viele Dokumentarfilmprojekte erst durch ihre Mitarbeit. Darunter sind hin und wieder auch gewagte, neuartige Formate, wie die 24-stündige Echtzeit-Reportage "24 Stunden Berlin" vom RBB und dem deutsch-französischen Sender ARTE, die 2009 gesendet wurde: "So etwas gab es vorher noch nie", so Bergmann.

Bleibt das Problem mit den späten Sendezeiten. Bergmann dazu: "Hätten wir frühere Sendezeiten, hätten wir auch höheren Quotendruck. Am späten Abend ist dieser viel geringer. In Zeiten des Internet kann sich ein gut gemachter, packender Dokumentarfilm auch unabhängig von Sendezeiten und der Quote seinen Weg bahnen." So soll in Zukunft auch die Nutzung der ARD-Mediathek detaillierter ausgewertet werden und ein größeres Gewicht bei der Ermittlung der Gesamt-Quote erhalten.

Rolf Bergmann (Foto: privat)
Rolf Bergmann, Redakteur Dokumentation und Zeitgeschehen im RBBBild: Privat

Keine Zeit zu verlieren

Trotz einiger Kassenschlager im Kino sind also keine goldenen Zeiten für den Dokumentarfilm angebrochen. Doch angesichts sinkender Produktionskosten und einer höheren Akzeptanz seitens des Publikums stehen die Chancen dazu heute besser denn je. Nach "Pina" im Jahr 2012 waren 2013 mit "Töte zuerst" und "Open Heart" gleich zwei Filme mit deutscher Beteiligung für den Oscar nominiert. Einer von vielen Faktoren, die vielleicht dafür sorgen werden, dass die Risikobereitschaft der Programmverantwortlichen im Fernsehen in Zukunft steigen wird.

Das wünscht sich auch die Regisseurin Doris Dörrie in ihrem Text "Hunger nach dem Echten" in besagter ARD-Broschüre. Sie sieht in den Kinoerfolgen einen Beleg für das gesteigerte Interesse des Publikums an Dokumentarfilmen: "Im Kino ist dieser Beweis schon erbracht. Und im Fernsehen sollte man nicht so lange warten."