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Die Not der französischen Roma

Elizabeth Bryant (kk)30. August 2015

Mehrere hundert Roma kämpfen in Paris für den Erhalt ihres Viertels. Die Lebensumstände sind schwierig. Die Stadtverwaltung will das Quartier auflösen. Für die Betroffenen würde das noch größere Not bedeuten.

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Bild: DW/E. Bryant

In Rumänien konnte Joszef Farkas seine Steuern nicht zahlen. Die Behörden beschlagnahmten sein Haus, und so landete er mit seiner Familie auf der Straße.

Inzwischen hat der 27-jährige Rom eine weite Reise hinter sich. Er lebt in Paris – und könnte dort bald wieder obdachlos werden. Denn die lokalen Behörden wollen seine neue Heimat La Samaritain, den ältesten Slum Frankreichs, in Kürze abreißen. Aktivisten berichten, Mitte vergangener Woche hätten die Zwangsräumung begonnen.

"Die Leute hier wollen ein anderes Leben", sagt Farkas über seine Mitbewohner in La Samaritain. Die meisten sind wie er Roma aus Westrumänien. "Sie wollen zu Frankreich gehören, sie wollen arbeiten, einen Platz zum Leben haben, zur Schule gehen. Sie wollen nicht vertrieben werden."

Unter einer Autobahnbrücke gelegen, scheint die schmutzige Siedlung kein Ort zu sein , um den sich zu kämpfen lohnt. Hinter den provisorischen Hütten laufen Ratten durch die Müllhaufen. Doch für die rund 300 hier lebenden Roma ist es der einzige Ort, den sie haben.

Roma und ihre Unterstützer auf einem Treffen (Foto: Elizabeth Bryant/DW)
Gemeinsam für Menschenwürde: Roma und ihre UnterstützerBild: DW/E. Bryant

Initiative zum Erhalt des Viertels

Zusammen mit anderen hat Farkas eine Petition erstellt die den Slum vor dem Abriss bewahren soll. Bislang wurde sie von 37. 000 Menschen unterzeichnet. Vor einigen Tagen luden die Roma und ihre Unterstützer zu einem Treffen in La Samaritaine ein, auf dem sie um ihr Anliegen warben.

"Wenn der Bürgermeister sie tatsächlich von hier vertreibt, müssen sie auf der Straße leben", sagt die Architektin Fiona Meadows, die sich zusammen mit weiteren Unterstützern für eine andere Lösung einsetzt. "Dann werden die Vertriebenen einen neuen Slum eröffnen, und nichts wird sich ändern. Sie werden weiterhin in Armut leben."

Die Gruppe, zu der verschiedenen NGO´s, Aktivisten und eine Architektur-Schule gehören, will die Unterkünfte von la Samaritain verbessern, Toiletten bauen und den Müll entsorgen. Wenn sie eine feste Adresse haben, erklären die Unterstützer, könnten die Roma-Kinder zur Schule gehen und ihre Eltern eine Arbeit finden. Wenn das Viertel weiter bestehen könnte, erklären andere, könnten es sogar ein Modell zur Integration für andere Roma in Frankreich werden. La Samaritain wäre eine lokale Lösung für ein gesamteuropäisches Problem.

"Das einzige, was wir wollen, ist, sie für zwei, drei Jahre bei dem Projekt zu unterstützen so dass sie Geld verdienen und normale Europäer werden können.Und natürlich, dass sie aus diesem Elendsviertel rauskommen", sagt Meadow.

Frankreich, Slum Samaritain bei Paris
Zähe Tage - Szene aus La SamaritainBild: DW/E. Bryant

Unterstützung durch die Kirche

Auch der Bischof von Saint Denise, zu der La Courneuve gehört, hat sich den Unterstützern angeschlossen. "Nur weil es keine nachhaltigen Lösungen gibt, die die Menschenwürde wahren, vertreibt man die Roma aus La Samaritain. Was soll das?", schrieb Monsignore Pascal Delannoy vor einigen Tagen in einer öffentlichen Stellungnahme. "Was bringt es, ihre ohnehin schon schwierigen Lebensumstände weiter zu verschlechtern?"

Für seine harte Politik gegenüber den 20.000 im Land lebenden Roma ist Frankreich weithin kritisiert worden. Auch die Europäische Union hielt mit Kritik nicht hinterm Berg. Die französischen Behörden haben wiederholt Roma-Lager aufgelöst und tausende Menschen deportiert. Obwohl die Roma EU-Bürger sind, können die EU-Länder solche Vertreibungen rechtfertigen, wenn die Betroffenen als Belastung des Wohlfahrtssystems angesehen werden.

Für viele Franzosen sind Roma jene Bettler, die sie täglich auf der Straße sehen – Menschen mit zu vielen Kindern und keiner Arbeit. Die negativen Stereotypen verfestigten sich vor wenigen Tagen als ein Rom drei Mitbewohner seines Lagers und einen Polizisten erschoss.

Ein Junge in la Samaritain (Foto: Elizabeth Bryant/DW
Schwierige Jugend - Ein Junge in la SamaritainBild: DW/E. Bryant

Das Rechtsbewusstsein stärken

"Meiner Ansicht nach besteht die Lösung darin, dass die Roma sich ihrer Rechte bewusst werden", sagt die französische Aktivistin Evelyne Perrin. "Denn genau die kennen die Roma nicht."

Doch bislang lässt sich Gilles Poux, der kommunistische Bürgermeister von La Courneuve, nicht dazu bewegen, den Abriss des Viertels noch einmal zu überdenken. Das Viertel sei unhygienisch und unsicher, erklärt er. Der Staat müsse eine Lösung finden, nicht die lokalen Behörden, erklärt er. Ein Interviewanfrage lehnte Poux ab. Doch in einer Erklärung vor wenigen Wochen teilt er mit, die Entscheidung sei ihm "sehr schwer" gefallen.

Im Rathaus hat La Samaritain nur einen Unterstützer: Stadtrater Mehdi Bouteghmes. Er besucht das Viertel, um sich mit den Einwohnern zu unterhalten.

"Die Menschen hier sollten besser behandelt werden", erklärt er. "Sie sollten unter besseren Umständen leben als jenen, die wir ihnen anbieten." Bouteghmes will Bürgermeister Poux auf das Problem ansprechen.