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Die letzte Chance der Pygmäen im Kongo

Sandra Petersmann22. Oktober 2003

Im Kongo herrscht Bürgerkrieg. Zu den Opfern zählt die kleine Gruppe der Pygmäen. Ihre einzige Hoffnung: Anpassung in Lichtgeschwindigkeit.

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Das Leben im Wald gehört der Vergangenheit anBild: DW

"Ein Volk, das nicht singt und nicht tanzt, ist kein Volk. Es hat keine Geschichte und keine Botschaft", flüstert Joseph Itongwa von der Pygmäenorganisation Shirika la Bambuti. Seine Augen verfolgen jede Bewegung der kleinwüchsigen Männer und Frauen. Die Röcke der Tänzer sind aus Blättern, Gräsern, Baumrinde, Federn und Fell, und sie rascheln bei jedem Schritt. Joseph selber hat das Leben im Regenwald nie richtig kennengelernt. Katholische Missionare haben für seine Schulbildung gesorgt.

Krieg um Rohstoffe

In der Demokratischen Republik Kongo herrscht Krieg. Mehr als drei Millionen Menschen wurden seit 1998 getötet. Das Problem des Kongo ist: Das Land ist reich an Rohstoffen. Um an diese Rohstoffe zu kommen sind aus den Nachbarländern Ruanda und Uganda Truppen in den Kongo einmarschiert. Sie bilden ständig wechselnde Allianzen mit einheimischen Rebellenorganisation, Stammesmilizen, flüchtigen Völkermörderbanden und Räuberhorden. Zu den Opfern gehört auch die kleine Volksgruppe der Pygmäen, die schon im alten Zaire unter Staatschef Joseph Mobutu eine Außenseiterrolle hatten.

Pygmäensprecher im Kongo
Pygmäensprecher Joseph ItongwaBild: DW

Joseph Itongwa erinnert sich: "Die Pygmäen sind aus ihrem angestammten Lebensraum im Wald vertrieben worden. Erst, weil Naturparks eingerichtet worden sind, in denen wir nicht leben durften. Später kam dann der Krieg. Und die Soldaten und marodierenden Banden haben auch unser letztes Versteck gefunden. Sie haben alles genommen. Sie haben unsere Frauen vergewaltigt. Sie haben uns geschlachtet. Wir mussten den Wald verlassen."

Pygmäen im Hexenkessel des Krieges

Afrika - Pygmäen
Im Wald haben Pygmäen keine ZukunftBild: dpa

In der Demokratischen Republik Kongo leben rund 600.000 Pygmäen. Itongwa spricht für die Mbuti-Pygmäen in der Provinz Nord-Kivu im Osten des riesigen Landes, direkt an der Grenze zu Ruanda. Gemeinsam mit den beiden Nachbarprovinzen Süd-Kivu und Ituri ist die fruchtbare Region die große Folterkammer des Krieges. Nirgendwo sonst hat es mehr Massaker gegeben, nirgendwo sonst leben so viele Menschen als Flüchtlinge.

Jedes dritte Kind stirbt vor seinem dritten Geburtstag. "Schauen Sie sich um", sagt Pygmäen-Sprecher Joseph Itongwa, "in Goma geht es allen schlecht, und jetzt kommen auch noch die Waldmenschen, um sich hier niederzulassen." Goma ist die Hauptstadt von Nord-Kivu. "Die Pygmäen kämpfen überall mit den gleichen Vorurteilen und Problemen." Es fehlt an Medizin und Wasser. "Wir werden abgelehnt, weil man uns für primitiv hält. Unsere Kinder gehen nicht zur Schule."

Die Unterdrückung ist eine tägliche Realität. "Wir sind so unwichtig, dass wir bei Hilfsmaßnahmen einfach vergessen werden. Zum Beispiel beim Ausbruch des Nyiragongo. Wir nehmen auch nicht am neuen innerkongolesischen Friedensdialog teil. Wir sind überhaupt nicht gefragt worden."

Trotz Frieden - der Krieg geht weiter

In den Ostprovinzen der Demokratischen Republik Kongo ist von den Friedensbemühungen und von der neuen Regierung der nationalen Einheit in der Hauptstadt Kinshasa nicht viel zu spüren. Rebellengruppen und marodierende Banden machen das Gebiet weiter unsicher. Für die kleinwüchsigen Jäger und Sammler bedeutet das: Sie müssen sich in Lichtgeschwindigkeit anpassen, müssen lernen, wie sie Ackerbau betreiben und ihre Kinder zur Schule schicken.

Afrika Pygmäen
Pygmäen werden trotz Anpassung Immer noch benachteiligtBild: AP

Aber solange die Pygmäenfamilien das Schulgeld nicht zahlen können, bleiben die Kinder zu Hause. Zu Hause, das sind Rundhütten aus Ästen, Blättern und Plastikplanen am äußersten Stadtrand von Goma. Seit ein paar Monaten kommt zumindest etwas Hilfe vom Deutschen Roten Kreuz. Die Mitarbeiter haben in acht Siedlungen Hacken und Saatgut verteilt und landwirtschaftlichen Unterricht organisiert.

Überlebenshilfe für rund 2000 Menschen, die zwangsläufig das Ende einer Kultur besiegelt, sagt der Afrika-Experte Dietrich Fischer vom Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes nachdenklich. "Natürlich ist es so, dass die Pygmäen ihre Kultur verlieren. Nur es besteht für sie keinerlei Möglichkeit, zur alten Lebensweise zurückzukehren. Deswegen ist es so wichtig, dass man Schritt für Schritt ihnen Möglichkeiten schafft, um zu überleben, denn eine Alternative haben sie nicht."