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Erziehermangel in Deutschland

Gabriele Knetsch 2. Mai 2014

Mehr kulturelle Vielfalt im deutschen Bildungsbereich - das wünschen sich Eltern nach dem neuen Integrationsbarometer. Da in Deutschland akuter Erziehermangel herrscht, sind Fachkräfte aus EU-Krisenstaaten willkommen.

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Kinder tanzen bei einer Musikstunde durch die Kindertagesstätte Nazareth in Hannover (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ein privater Hort in München. Drei Erzieher sind langzeitkrank, zwei davon wegen Burn-Out. Ersatz lässt auf sich warten. "Der Erziehermarkt ist leergefegt", klagt die Hortleiterin. Die Hortkinder müssen sich alle paar Wochen an neue Gesichter gewöhnen. Florence kommt aus Frankreich, frisch angeworben wurden Eleni aus Griechenland und der Russe Ivan. Beide mit offiziellem Erzieherabschluss - aber Zeit für Eingewöhnung gibt es nicht. Zwischenzeitlich ist überhaupt keine deutsche Muttersprachlerin mehr im Hort. Ein Extrembeispiel aus einer Großstadt, die der Erziehermangel besonders stark trifft? Vielleicht. Aber eines, das symptomatisch ist.

In Deutschland herrscht akuter Erziehermangel, denn seit dem 1. August 2013 haben alle Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für ihr Kind unter drei Jahren. Das setzte die Städte unter Zugzwang. Sie haben ihr Angebot in den Kindergärten und der Kindertagespflege enorm ausgebaut, so dass es laut Bundesfamilienministerium inzwischen über 800.000 Plätze gibt. Doch nun fehlen die Erzieher. Bundesweit sollen rund 15.000 bis 30.000 Stellen vakant sein, schätzen Experten.

Headhunter auf der Suche nach Erziehern

"Wir laden inzwischen Bewerberinnen ein, die noch vor ein paar Jahren keine Chance gehabt hätten", meint Joachim Feichtel von der Arbeiterwohlfahrt in Bayern. Die Stadt München schaltet bundesweit sogar Annoncen, um Fachkräfte für Krippen, Kindergärten und Horte anzuwerben und beschäftigt dafür eigens eine Referentin. Die reiche Kommune kann sich solch teure Werbemaßnahmen leisten, Träger wie Arbeiterwohlfahrt oder Diakonie müssen auf dem Arbeitsmarkt anders fündig werden. Quereinsteigerinnen werden gesucht. Mütter mit Berufserfahrungen - und: Erzieher aus dem Ausland. In vielen süd- und osteuropäischen Staaten sind die Fachkräfte arbeitslos und kommen deshalb gerne nach Deutschland.

Ein kleines Mädchen isst auf einer Bank eine Möhre aus einer Lunchbox (Foto: Adam Berry/Getty Images)
Kinder unter drei Jahren haben in Deutschland Anspruch auf einen KrippenplatzBild: Getty Images

So bildet München in seinen städtischen Einrichtungen immer mehr Spanierinnen zu Erzieherinnen aus. Ingolstadt besetzt rund ein Viertel der Stellen vor allem mit Erziehern aus Osteuropa. Die Bachelorabsolventin für Frühpädagogik Sylwia Brach hat eine Agentur gegründet, die Erzieher in Osteuropa anwirbt und an Träger und Kommunen vermittelt. Agenturen wie ihre gibt es inzwischen deutschlandweit. Als Erzieherin mit Uniabschluss ist Brach in Deutschland eine Ausnahme. Im europäischen Ausland ist ein universitärer Erzieherabschluss hingegen die Regel.

Ins kalte Wasser geschmissen

"Die Fachkräfte aus Osteuropa", meint Sylwia Brach, "sind theoretisch gut ausgebildet, dafür bringen sie weniger Praxis-Erfahrung mit." Umso wichtiger findet es die Frühpädagogin, dass die zugewanderten Erzieher gut eingearbeitet werden. Schließlich kommen viele direkt von der Universität und hatten gar nicht die Chance, länger in einer Kita zu arbeiten, weil sie in ihren Heimatländern arbeitslos waren. "In Deutschland werden sie oft ins kalte Wasser geschmissen."

Erzieherin Sylwia Brach mit zwei Kindern (Foto: privat)
Sylwia Brach wirbt mit ihrer Agentur Fachkräfte aus Osteuropa anBild: privat

Die Erzieherin Irina O. (Name geändert) kam vor einem halben Jahr aus Polen nach München. Doch bei ihrer ersten Arbeitsstelle hat sie schnell wieder gekündigt: "Die Stimmung war schlecht, ich sollte ganz viel arbeiten", sagt sie. Inzwischen fühlt sie sich wohl in einer Kindertagesstätte für Kinder zwischen null und sechs Jahren, das Team ist international. Nur an ihren Deutschkenntnissen muss die Polin noch feilen.

Kinder profitieren von Mehrsprachigkeit

Krippen und Kindergärten haben in Deutschland einen klaren Bildungsauftrag, dazu gehört auch die Förderung sprachlicher Kompetenz. Insbesondere Kinder aus Migrantenfamilien sollen in den Kitas eine Chance bekommen, die deutsche Sprache zu lernen. In deutschen Großstädten wie München hat inzwischen gut die Hälfte aller Kinder einen Migrationshintergrund. Aus diesem Grund, fordert Fabienne Becker-Stoll vom Staatsinstitut für Frühpädagogik, sei es unumgänglich, dass in jedem Team mindestens eine Erzieherin mit deutscher Muttersprache arbeite.

Viele Arbeitgeber stellen ausländische Erzieher überhaupt erst auf Dauer ein, wenn sie gute Sprachkenntnisse nachweisen können. Sind diese vorhanden, betrachten Bildungsexperten die Erzieher aus dem Ausland aber grundsätzlich als Bereicherung - gerade auch deswegen, weil Erwachsene mit Migrationshintergrund besser mit Kindern kommunizieren können, deren Eltern aus der Türkei oder aus Osteuropa kommen. Und noch einen Vorteil haben die Erzieher aus dem Ausland, meint Fabienne Becker-Stoll, sie sind oft besser ausgebildet als die deutschen: "In vielen außerdeutschen Ländern haben Erzieher eine Hochschulreife und damit eigentlich die höhere Voraussetzung."

Die Bildungsexpertin Fabienne Becker-Stoll (Foto: privat)
Fabienne Becker-Stoll fordert, dass in jedem Team eine Erzieherin mit deutscher Muttersprache arbeitetBild: privat