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Männersache Kindergarten

Greta Hamann6. Oktober 2013

Ob Kindergarten oder Grundschule: Frauen dominieren in Deutschland die frühkindliche Erziehung. Das will die Politik ändern. Allerdings sind Männer, die Erzieher werden wollen, in Deutschland weiter eine Ausnahme.

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Kinder aus der Abenteuerkindertagesstätte "Regenbogen" in Mücheln-Stöbnitz (Sachsen-Anhalt) mit ihrem Erzieher - Foto: Waltraud Grubitzsch (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ein nach wie vor ungewöhnliches Bild: ein Mann, wie ein Baum, mitten in einem deutschen Kindergarten. Karsten Röttjer ist 1,90 Meter groß und wird umringt von kleinen Mädchen und Jungen. Heute steht Turnen auf dem Stundenplan. Wild wuseln die Kinder um ihren Erzieher herum. Turnen finden sie sowieso schon aufregend, aber mit ihrem neuen Erzieher Karsten Röttjer macht es noch mehr Spaß als sonst. "Ich merke, dass manche Kinder total auf mich fixiert sind. Mit mir als Mann toben sie auch viel mehr als mit den Frauen", sagt der studierte Sozialarbeiter.

Karsten Röttjer, Kindergärtner aus Köln im Portrait - Foto: Greta Hamann (DW)
Kindergärtner Röttjer: "Mit mir toben sie viel mehr als mit den Frauen"Bild: DW/G. Hamann

Der 40-Jährige arbeitet seit fünf Wochen in einer Kindertagesstätte in Köln-Süd. Noch ist die Miniaturwelt aus kleinen Stühlen, Tischen und einer Spüle, die ihm gerade bis zu den Knien reicht, für ihn gewöhnungsbedürftig. Doch die Arbeit mit den Kindern macht ihm Spaß.

Eine einzige Bewerbung hat Karsten Röttjer nach Abschluss seines Studiums geschrieben. Sofort bekam er eine Zusage. Das zeigt: Männliche Erzieher werden in Deutschland händeringend gesucht. Zurzeit liegt der Anteil von Männern in Kindergärten deutschlandweit bei nur drei Prozent. Bis das von der EU vorgelegte Ziel von 20 Prozent erreicht ist, muss also noch viel passieren.

13 Millionen Euro für mehr Männer

Aus diesem Grund rief das Bundesfamilienministerium die Initiative "Mehr Männer in Kitas" ins Leben. 13 Millionen Euro geben Regierung und der Europäische Sozialfonds dafür aus. Das Geld fließt unter anderem in Werbung - zum Beispiel in Hamburg: In der norddeutschen Millionenstadt hängen zahllose Plakate in U-Bahnen und anderswo, die junge Männer davon überzeugen sollen, den Beruf des Erziehers zu ergreifen. Von der "Vielfalt Mann" wird auf den Postern geschwärmt: "Musiker, Zauberer, Streitschlichter, Philosoph, Torwart, Bäcker - Sei alles, werde Erzieher!", so die Werbebotschaft.

Plakataktion von Vielfalt Mann in Hamburger U-Bahn - Foto: Vielfalt Mann
Plakataktion von "Vielfalt Mann" in Hamburger U-Bahn: "Musiker, Zauberer, Torwart, Bäcker"Bild: Vielfalt Mann

"Wir müssen das Image des Berufs ändern", sagt Pablo Andreae, der in Köln für eines der insgesamt 16 in Deutschland geförderten Projekte arbeitet. Andreae setzt mit der Caritas in Köln auf berufsorientierende Maßnahmen. Zum Beispiel wirbt er auf Messen oder beim sogenannten "Boys' Day" für die Arbeit als Erzieher.

Einen Imagewandel hält auch Holger Brandes für nötig. Der Professor für Entwicklungspsychologie an der Evangelischen Hochschule Dresden sagt: "Das größte Problem sind die Stereotypen. Erzieher ist für Viele kein Männerberuf und wird nicht als Profession angesehen."

Pädophilie-Vorwürfe schrecken viele Männer ab

Doch auch das für Erzieher noch sehr geringe Gehalt und Vorurteile gegenüber Männern, die mit kleinen Kindern arbeiten wollen, sind Gründe, aus denen Männer sich gegen den Beruf entscheiden. Björn Bräunig aus Krefeld hat diese Erfahrung gemacht. Der 33-jährige Vater von drei Kindern absolviert zurzeit eine Ausbildung zum Erzieher. Schon öfter wurde er mit dem Vorurteil konfrontiert, Kindergärtner seien pädophil. Die Unterstellung käme zwar nie direkt, aber sie schwinge doch immer mit, so Bräunig: "Diese Vorurteile machen mich echt sauer. Aber ich ruhe mich nicht auf dem Ärger aus, sondern versuche, mit gutem Beispiel voranzugehen."

Björn Bräunig, männlicher Erzieher, umgeben von Kindern in einer Kita - Foto: privat
Angehender Erzieher Bräunig in einer Kita: Mit Vorurteilen konfrontiertBild: privat

Manche Kritiker bezweifeln, dass Männer in der Kindererziehung überhaupt benötigt werden. Andere wiederum argumentieren, der hohe Anteil von Frauen in deutschen Kindergärten und Grundschulen führe dazu, dass Jungen sich weniger gut entwickeln als Mädchen. Grundlegend untersucht ist das Thema noch nicht. Die Zahl der wissenschaftlichen Studien zu den Auswirkungen des geringen Männeranteils in der frühkindlichen Erziehung in Deutschland ist bislang gering.

Männer bringen Vielfalt in die Erziehung

Holger Brandes will diese Wissenslücke schließen. Der Psychologieprofessor erforscht im Auftrag des Familienministeriums zurzeit den Einfluss des Geschlechts des Erziehers auf die Kinder. "Männliche Erzieher bringen mehr Vielfalt in die Erziehung. Und von dieser Vielfalt profitieren die Kinder", sagte Brandes der Deutschen Welle. Es gehe nicht um stereotype Rollenvorbilder, sondern einfach darum, dass die Männer anwesend seien.

Wer sieht, wie viel Spaß die Kölner Mädchen und Jungen mit ihrem Kindergärtner Karsten Röttjer haben, braucht gar keine wissenschaftliche Belege mehr dafür. "Ich trete anders auf als eine Frau - und irgendwie wollen die Kinder viel mehr mit mir kuscheln als mit den weiblichen Erzieherinnen", hat Röttjer beobachtet. "Es kann aber auch sein, dass das einfach nur an meiner Körpergröße liegt", sagt der 1,90-Mann und lacht.