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Es mangelt an Steuerfahndern in Deutschland

26. März 2019

Wird der größte deutsche Steuerskandal unaufgeklärt verjähren, weil zu wenige Ermittler eingesetzt werden? Nicht nur bei den Cum-Ex-Untersuchungen fehlten Fahnder, warnt die Deutsche Steuer-Gewerkschaft.

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Bild: picture-alliance/Chromorange/Bilderbox

Laut Recherchen des Westdeutschen Rundfunks (WDR) und der Süddeutscher Zeitung (SZ) läuft den Ermittlern im Cum-Ex-Skandal die Zeit davon. Einige Fälle könnten demnach verjähren, bevor die Steuerfahndung Licht ins Dunkel, die Verantwortlichen vor Gericht und dem Fiskus - im besten Fall rund fünf Milliarden Euro - entgangene Steuern gebracht hat. Der Grund, so WDR und SZ: Das Land Nordrhein-Westfalen, in dem die meisten Cum-Ex-Prozesse in Nordrhein-Westfalen geführt werden, habe viel zu wenige Ermittler an die Aufklärung des größten deutschen Steuerskandals gesetzt. Die zuständigen NRW-Ministerien weisen die Vorwürfe zurück. Es gebe genügend Fahnder, und man könne Verjährungsfristen auch verlängern, heißt es. Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DStG), gab der DW dazu seine Einschätzungen.

Deutsche Welle: Herr Eigenthaler, halten Sie die Sorge für berechtigt, dass die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals scheitert?

Thomas Eigenthaler: Die Dinge, um die es hier geht, liegen viele Jahre zurück, und es handelt sich um komplexe und viele Sachverhalte. Deswegen ist es durchaus möglich, dass man viele Fälle nicht mehr zeitgerecht bearbeiten kann. Außerdem hat man zunächst jahrelang über die Rechtssituation der Cum-Ex-Geschäfte gestritten und sie zunächst nur als Steuerschlupflöcher behandelt, statt als Fälle von Steuerhinterziehung.

Thomas Eigenthaler
Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG)Bild: Friedhelm Windmueller

Ein weiteres Problem ist: Noch gibt es zu keinem Cum-Ex-Geschäft ein rechtskräftiges Urteil wegen Steuerhinterziehung. Es wurden bisher nur Vergleiche geschlossen, weil die Banken keine negative Berichterstattung in Kauf nehmen wollten und lieber in einem Deal hohe Summen gezahlt haben, als vor Gericht gestellt zu werden.

Wie viele Fahnder brauchte es, um einen Fall dieser Größenordnung aufzuarbeiten?

Solche Cum-Ex-Fälle passieren nicht jeden Tag, sodass wir die Fahnder aus dem laufenden Geschäftsbetrieb holen müssen. Und es kommt natürlich darauf an, wie viele Banken involviert sind, in welchem Ausmaß die Geschäfte betrieben wurden, über wie viele Jahre hinweg, und vor allem ist die Frage: Kooperiert die Bank mit dem Fiskus oder stellt sie sich stur? Das alles sind Dinge, die man nicht planen kann, die aber den Arbeitsaufwand in erheblichem Maße steuern.

Wie ist es generell um die Steuerfahndung in Deutschland bestellt?

Wir haben in Deutschland bundesweit etwa 4000 Steuerfahnder und man müsste ihre Zahl auch wegen anderer Fälle um etwa 25 Prozent erhöhen, also 1000 neue Stellen schaffen. Diejenigen Fahnder, die jetzt zu den Cum-Ex-Ermittlungen hinzugezogen wurden, fehlen an anderer Stelle - das ist wie auf einem Verschiebebahnhof. Wir können vielleicht irgendwann feststellen: Cum-Ex ist erledigt. Dafür sind dann aber andere Sachen liegen geblieben.

Warum gibt es nicht genügend Ermittler bei den Steuerbehörden?

Die deutsche Finanzverwaltung ist seit vielen Jahren unterbesetzt. Inzwischen fehlen bundesweit insgesamt 6000 Stellen. Wir tun uns schwer, junge Leute auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Wir beanstanden schon lange, dass die Bezahlung sehr mager ist. So werden Finanzbeamtinnen und Finanzbeamte zu Beginn ihrer Ausbildung immer noch so eingestuft wie vor 40 Jahren - das kann nicht gutgehen. Denn die Anforderungen werden immer größer, die Komplexität von Fällen wie Cum-Ex ist gewaltig, und wir haben auch immer neue Fälle im Fintech-Bereich, also bei den neuen Bezahlmethoden, wie etwa Paypal und Bitcoin. Die Digitalisierung macht die Lage also nicht einfacher sondern schwieriger.

Symbolbild Journalisten Beamten
Steuerfahnder in Deutschland haben derzeit jede Menge Arbeit (Archivbild)Bild: picture-alliance/ZB

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, mutmaßt, die knappe Personalsituation bei den Cum-Ex-Ermittlungen sei sowohl von NRW als auch vom Bundesfinanzministerium durchaus gewollt. Fiedler spricht von einem "politischen Signal". 

Das Bundesfinanzministerium hat mit der Stellenausstattung in den Ländern nichts zu tun. Da gibt es auch keine Vorgaben. Die Länder haben ihre Finanzämter über viele Jahre als Steinbruch für Sparvorschläge genutzt, und das rächt sich heute. Bei der Polizei steuert man inzwischen dagegen aber das Finanzamt hat natürlich keine so gute Lobby. Viele Bürgerinnen und Bürger sagen: "Je weniger Finanzamt, um so besser."

Es herrscht der Eindruck vor, dass man lieber auf die fehlerhaften Quittungen der "kleinen Steuerzahler" schaut, als sich an die Steuervergehen "der Großen" zu wagen.

Natürlich kann man nicht alles nur auf einen Fall setzen, wie etwa Cum-Ex, und andere Bereiche dafür untergehen lassen. Es gibt eben gut 25 Prozent zu wenig Personal. Und pro Fahnder kann man von einem Mehr an Steuern von etwa einer Million Euro ausgehen. Bei einem Betriebsprüfer, der sich um normale betriebliche Dinge kümmert, sprechen wir sogar von einem Betrag von 1,5 Millionen Euro pro Jahr. Auch hier haben wir große Defizite bei den Stellen. Selbst ein normaler Bearbeiter im Finanzamt, der nur Steuererklärungen bearbeitet, kommt auf zusätzliche Steuern von mehreren hunderttausend Euro im Jahr. All das geht dem Staat durch die Lappen. Das sind ordentliche Zahlen, vor allem wenn man bedenkt, dass das Gehalt und die Altersversorgung eines Finanzbeamten nur ein Bruchteil dessen beträgt, was er dem Fiskus steuerlich an Mehrergebnissen einholt.

Bonn Landgericht Außenansicht
Das Landgericht Bonn wäre für die meisten Cum-Ex-Verfahren zuständig - wenn die überhaupt vor Gericht landenBild: DW/I. Koval

Im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal sprechen Insider davon, dass es der Steuerfahndung am nötigen Expertenwissen fehle. Ist das so?

Das möchte ich bestreiten. Wir haben kein Defizit an Expertenwissen, die Rechtslage ist auch nicht so verworren, wie man meinen könnte. Es ist aber sehr schwierig, die Sachlage zu ermitteln, die Recherche ist die eigentlich komplizierte Angelegenheit. Wie gesagt: Es ist vor allem die Personalknappheit, die uns resignieren lässt. Wir haben den Eindruck, dass wir auf Fahrrädern Steuerhinterzieher jagen, die in Ferraris unterwegs sind. Das ist kein gutes Gefühl. Unsere Leute sind fleißig und motiviert, aber wir sind einfach viel zu wenige.

Thomas Eigenthaler ist Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DStG). Zuvor leitete der 60-Jährige das Finanzamt in Stuttgart.

Das Interview führte Jeannette Cwienk.

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen