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"Deutsche bringen die Sache auf den Punkt"

Louisa Schaefer
15. Mai 2019

Die Etikette-Expertin Linda Kaiser erklärt im DW-Gespräch, warum Direktheit in Deutschland als höflich gilt - und sie gibt Tipps, wie man sich in einer internationalen Runde verhalten sollte.

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Betriebsmeeting
Bild: picture-alliance

DW: Frau Kaiser, in unserer Reihe "Meet the Germans" versuchen wir immer wieder deutsche Eigenschaften einem internationalen Publikum zu erklären. Dieses Mal geht es um Manieren…

Ja, wobei Manieren eher ein britisches Thema ist.

Warum? 

Weil die Briten, so wie sie sich den Deutschen präsentieren, besonders besonnen, höflich, zurückhaltend, freundlich und sehr diszipliniert sind. Und dann haben sie natürlich auch noch die Beziehung zum Königshaus. Da werden Etikette und Manieren eben noch besonders gelebt. 

Aber Sie implizieren damit, dass die Deutschen nicht so viel mit Manieren am Hut haben. Würden Sie das wirklich sagen?Es ist hier einfach anders [lacht]. Seit 100 Jahren haben wir kein Königshaus, keine Monarchie, keinen offiziellen Adel mehr in Deutschland. Darum sind Manieren eine gesellschaftliche Angelegenheit geworden und Gesellschaft bewegt oder entwickelt sich ja schneller als Tradition. Daher sind Manieren doch schon auch ein deutsches Thema, aber eben ohne eine herausragende Persönlichkeit wie eine Königin als Vorbild. 

Linda Kaiser
Manieren-Expertin Linda KaiserBild: Giulio Coscia Fotografie

Gibt es bestimmte Manieren, die typisch deutsch sind? 

Spezifisch für die Deutschen sind sicherlich so Sachen wie Pünktlichkeit oder direkte Kritik äußern zu können. Also menschliche Wesenszüge, die dann für viele verbindlich sind, und die viele Deutsche anwenden können, obwohl man das auch nicht so pauschal sagen kann. 

Sie haben die besondere Höflichkeit der Briten erwähnt. Halten Sie die Deutschen für höflich? 

Mann hält Blumenstrauß und guckt auf die Armbanduhr
Pünktlichkeit und nette Gesten sind klassische Beispiele für deutsche Manieren Bild: picture-alliance/dpa/U.Sapountsis

Ja. Jeder Mensch ist auf seine Art und Weise höflich. Das kann man von der Landeszugehörigkeit gar nicht so abhängig machen, denn Höflichkeit hilft uns, einfach besser in einer Gruppe klar zu kommen, besser mit dem anderen klar zu kommen. Deswegen bemühen wir uns, in welcher Form auch immer, uns bestmöglich darzustellen und, wenn man es denn wirklich verinnerlicht hat, auch den anderen gut dastehen zu lassen. 
Was würden Sie Menschen raten, die nach Deutschland kommen: Wie können sie sich am besten verhalten? 

Das, was ich eigentlich jedem in jedem Land empfehle: offen zu sein, aufmerksam zu sein, zuzuhören und das eigene Verständnis von guten Manieren in die Gesellschaft einzubringen. Und dann funktioniert es, egal wo man ist, mit dem Miteinander. Man sollte vielleicht auch noch folgendes unterscheiden: Wir sprechen jetzt von Manieren. Manieren sind eigentlich das Handwerkszeug. Das "Wie mache ich was?". Noch wichtiger sind eigentlich die Umgangsformen, auf die sich auch Adolph Freiherr Knigge (1752 bis 1796, Anm. d. Red.) bezieht, und die er in seinem Werk 1788 "Über den Umgang mit Menschen" beschrieben hat, nämlich der Umgang miteinander, also quasi die Idee dahinter. Wie trete ich dem anderen gegenüber? Wie nehme ich ihn auf? Und die Manieren sind quasi das Handwerkszeug, also wie setze ich diesen guten Gedanken und diese gute Absicht auch tatsächlich in Taten um? 

Haben Sie ein paar Beispiele? 

Nehmen wir mal das ganz klassische Beispiel Tischkultur. Wir setzen uns zusammen an einen Tisch, um gemeinsam zu essen und eine gute Zeit miteinander zu verbringen. Das ist der Hauptanspruch. Der zweite Aspekt, der aber untergeordnet ist, ist, dass man Nahrung zu sich nimmt, um zu überleben. Jetzt haben wir diesen guten Gedanken "Wir setzen uns zusammen, um gemeinschaftlich etwas zu tun und uns dabei kennenzulernen und auszutauschen", und das muss ja irgendwie umgesetzt werden. Dafür gibt es jetzt Manieren, sprich: Wir haben eine bestimmte Verabredung, wie wir mit Messer und Gabel essen, dass wir den Teller nicht ablecken, dass wir das Glas am Stiel anfassen, dass wir nicht so viel auf den Teller auflegen, sondern nur das, was wir auch tatsächlich essen möchten, damit für alle ungefähr eine gleiche Basis da ist und man nicht vom Wesentlichen abgelenkt wird. Und dafür sind dann Manieren gut. 

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Manchmal schmerzhaft: deutsche Direktheit

Bleiben wir beim Weinglas, das man am Stiel halten soll. In den USA zum Beispiel macht man das nicht, wenn man anstößt. Warum wird ausgerechnet das als höflich angesehen? 

Man kann zumindest für den deutschsprachigen europäischen Raum eigentlich fast alle Regeln auf irgendeine sachliche Bedeutung oder Erklärungen zurückführen. Man greift das Glas am Stiel, um das Getränk darin nicht durch die Hände zu erwärmen und keine Fingerabdrücke am Glaskörper zu hinterlassen. Das hat also sowohl einen ästhetischen als auch praktischen Grund. Wenn die Amerikaner das nicht tun, bringt das, glaube ich, niemanden um. Es gibt für viele Dinge verschiedene Lösungsmöglichkeiten. 

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Was schlagen Sie Menschen vor, die in Deutschland zusammenkommen, aber verschiedene Nationalitäten haben? Meine Erfahrung ist, dass die Deutschen sehr gerne Hände schütteln. Das macht man in den USA natürlich auch, aber nicht bei jeder Gelegenheit. Das würde man auch nicht in Japan machen. An welche Regeln hält man sich? 

In so einer Situation orientiert man sich immer am Gastgeber. Haben wir jetzt einen deutschen Gastgeber, gelten die deutschen Regeln. Das würde bedeuten, man würde sich die Hand geben. Wenn Sie aber einen vorausschauenden, offenen, höflichen Gastgeber haben, dann geht der Gastgeber auf jeden individuell so zu, wie es ihm gut tut. Das heißt, er würde dem Japaner nicht das Händeschütteln aufdrängen. Er würde den Franzosen mit Küsschen links und rechts begrüßen und er würde dem Amerikaner, der ihm gegenüber steht, natürlich die Hand schütteln. 

Sie haben vorhin etwas zur Direktheit gesagt: dass die Deutschen das Gefühl haben, sie können ihre Meinung äußern. Als gebürtige US-Amerikanerin erlebe ich persönlich die Deutschen manchmal als sehr direkt. Warum wird das hier in Deutschland als höflich angesehen oder akzeptiert? 

Weil es in Deutschland für Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit steht. Wir reden nicht um irgendetwas herum, sondern bringen die Sache einfach auf den Punkt und das ist in Ordnung und höflich und allgemein akzeptiert. Das ist aber eine kulturelle Geschichte. Wir sind einfach so erzogen und aufgewachsen, darum reflektieren wir das gar nicht. Wenn wir aber dann mit Briten zu tun haben, ist das etwas ganz anderes und wenn wir uns in Großbritannien etablieren möchten, müssen wir eben auch die dortigen Manieren kennenlernen und anwenden. 

Das Wichtigste über Small Talk mit Deutschen

Wie verhalten sich die Deutschen im Internet oder den sozialen Medien, sind sie da auch so direkt? 

Dadurch, dass das Internet sehr international ist, fühlen sich viele Deutsche vielleicht dazu verleitet, vermeintliche Nachlässigkeiten einfach aus anderen Kulturen zu übernehmen. Zum Beispiel verzichtet man gerne im Internet auf die deutsche Rechtschreibung oder die Groß- und Kleinschreibung. Im Englischen wird ja alles klein geschrieben bis auf ein paar Ausnahmen. Das übernimmt man dann schon mal ganz gerne. Aber das ist sicherlich falsch und unhöflich, denn wir haben nun mal eine Sprache mit bestimmten Regeln und die sollten dann auch in den sozialen Medien oder im Internet, wenn man in dieser Sprache kommuniziert, eingehalten werden. Oder dass man sich im Internet schneller duzt. Deutschland ist eigentlich keine Duz-Kultur, aber wir beneiden immer die Engländer und Amerikaner, die sich vermeintlich duzen.  

Das Gespräch führte Louisa Schaefer.

Linda Kaiser gibt als stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen-Knigge-Gesellschaft Etikette-Seminare für Unternehmen und arbeitet als Stil- und Imageberaterin.

Noch mehr Inhalte über Deutsche und ihre Traditionen, ihre Alltagskultur und Sprache findest Du auf YouTube und unserer Seite www.dw.com/MeettheGermans_de.

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