1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Macher

Alexander Kudascheff, Brüssel

Er ist der Mann hinter der EU-Erweiterung: EU-Kommissar Günter Verheugen erlebte in Kopenhagen die Krönung seiner politischen Laufbahn - den Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit zehn neuen Mitgliedern.

https://p.dw.com/p/2zAD
Günter VerheugenBild: AP

Die Europäische Kommission wird insgesamt wenig geschätzt. Das beginnt mit dem Präsidenten, dem Italiener Romano Prodi, der allgemein als völlig überfordert gilt. Er gibt sowohl in Brüssel als auch im Kreis der Staats- und Regierungschefs eine unglückliche Figur ab - und wird meistens nur belächelt. Oder es wird ihm öffentlich ins Wort gefallen und widersprochen, wie Frankreichs Präsident Jacques Chirac es das eine oder andere Mal getan hat.

Aber auch andere Kommissare agieren wenig erfolgreich, ohne Fortune, ohne Aufsehen zu erregen: Sei es der Belgier Philippe Busquin, der Brite Neil Kinnock, die Griechin Anna Diamantopoulou, die Luxemburgerin Viviane Reding. Andere agieren, erregen Aufsehen, aber laufen oft mit dem Kopf gegen die Wand, wie der Franzose Pascal Lamy, der Holländer Frits Bolkestein und selbst der Italiener Mario Monti, einst Super-Mario gerufen.

Mit Bravour gemeistert

Einer allerdings erledigt seinen Job und seine Aufgaben mit Bravour und wird sich in die Geschichtsbücher eintragen, das steht fest: Günter Verheugen, der deutsche Kommissar, zuständig für die EU-Erweiterung. Und er erlebte in Kopenhagen die Krönung seiner politischen Laufbahn: Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit zehn neuen Mitgliedern auf einen Schlag. Das hat es in der Geschichte der EU noch nie gegeben - und das wird es auch nie mehr geben. Und dahinter stehen mit Rumänien und Bulgarien zwei weitere ernsthafte und mit der Türkei ein umstrittener Kandidat.

Der Mann hinter der Erweiterung, der Mann der Wiedervereinigung des alten Kontinents, der Mann, der die 33 Kapitel der Verhandlungen abarbeitete, der Mann, der zehn Ländern beibrachte, was der aquis communitaire ist, die rund 80.000 Verordnungen, die die europäische Union ausmachen - dieser Mann ist Günter Verheugen. Er ist auf dem Zenit seiner politischen Laufbahn, ganz oben, unumstritten, erfolgreich. Ein Mann für die Geschichtsbücher und ein Mann, der mit sich im Reinen ist. Niemals in den vielen Jahren seiner politischen Betätigung habe er so überzeugt für etwas gearbeitet wie hier in Brüssel, hat er einmal gestanden.

Einst liberale Nachwuchshoffnung

Dabei hat es lange gedauert bis Verheugen soweit war. Er galt als Wunderkind des früheren Bundesaußenministers Hans Dietrich Genscher, als intellektueller Kopf seiner Partei, der FDP, die er in den Zeiten der sozialliberalen Regierungskoalition in Deutschland inhaltlich prägte. Er galt damals als die liberale Nachwuchshoffnung. Dann wechselten Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff 1982 den Koalitionspartner und trugen die Regierung unter Helmut Kohl mit. Verheugen verließ die FDP, ging zur SPD.

Er wurde Bundestagsabgeordneter, später Bundesgeschäftsführer der SPD. Er war Chefredakteur des Parteiorgans Vorwärts und schließlich, als nach langen 16 Jahren die SPD im Bund wieder an die Macht kam - wurde er weder Verteidigungs- noch Außenminister, sondern nur Staatsminister im Auswärtigen Amt unter Joschka Fischer - zuständig für Europa. Da hieß es wieder sich unterzuordnen - einem machtbewussten Grünen. Immerhin: Er führte während der Anlaufschwierigkeiten der neuen rot-grünen Regierung 1998 wenigstens die Europapolitik in geordneten Bahnen - bis hin zum Berliner Gipfel 1999, auf dem der Haushalt der EU für die nächsten sieben Jahre verhandelt und verabschiedet wurde.

Politisches Meisterstück

Dann stürzte die Kommission Santer und es mußten zwei neue deutsche Kommissare gefunden wurden. Günter Verheugen wechselte nach Brüssel und machte als Erweiterungskommissar - dem wohl wichtigsten Posten der Kommission - Furore. Nicht durch Interviews und Großsprechereien, sondern durch eine außergewöhnlich konzentrierte Arbeit. Die Erweiterung der EU um zehn Kandidatenländer mit einem so genannten "big bang" verlief bei allen Einzelproblemen viel ruhiger als erwartet, geräuschloser als vermutet.

Die technische, die administrative Abwicklung wurde nicht zugunsten der Wünsche der großen Politik vernachlässigt. Nein, es war ein politisches Meisterstück, das Verheugen ablieferte. Dabei zeigte er sogar Mut, als er in einem Sommerinterview zu Recht feststellte, man dürfe die Erweiterung der EU nicht wie den EURO hinter dem Rücken der Bürger einführen. Er bekam publizistische und politische Prügel - aber er fiel nicht um, auch wenn Kommissionspräsident Prodi ihn rüffelte und sich vergräzt zeigte. Verheugen hatte schon genügend Selbstbewußtsein, die Krise auszusitzen, ohne einzuknicken.

Bald Kommissionspräsident oder EU-Außenminister?

Nun ist Verheugen für alles im Gespräch. Es steht fest: Kanzler Schröder wird ihn für die nächste Kommission nominieren - und war bereit, dafür sogar seinem Lieblingsgrünen, Außenminister Joschka Fischer, dessen Lieblingswunsch zu verwehren, erster Außenminister der EU zu werden. Schließlich kann nur ein Deutscher etwas werden - es wird Verheugen, aus Anerkennung für die gute Politik in den letzten fünf Jahren.Und Verheugen, der am liebsten mit einem wirtschaftspolitischen Mandat arbeiten würde, kann alles werden: Kommissionspräsident oder Außenminister der EU, wenn die Deutschen wollen - und Frankreich es unterstützt. Und die Zeit der Reibereien Verheugens mit Paris sind auch Vergangenheit. Die Bilanz von Verheugen in Brüssel: Er konnte zeigen, was er konnte - und das war mehr als ihm viele zugetraut haben. Nur ein Problem wird ihn noch länger beschäftigen, nämlich die Türkeifrage. Soll er für oder gegen einen Beitritt, genauer Beitrittsverhandlungen stimmen? Wie soll sein Bericht ausfallen? Positiv oder nur eingeschränkt positiv? Verheugen ahnt, beide Antworten können falsch sein. Aber die Frage "Ja oder Nein zur Türkei" muß beantwortet werden. Und die Verantwortung dafür, daß die Frage gestellt wird, trägt seit Helsinki auch Günter Verheugen.