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GesellschaftGlobal

Dating-Apps: Fluch oder Segen?

19. August 2023

Swipe links, swipe rechts: Online-Dating hat sich mit der Einführung von Tinder vor elf Jahren stark verändert - und ist mittlerweile Mainstream. Doch viele Nutzende sind frustriert, manche machen die Apps sogar krank.

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Eine Frau blickt auf ihr Handy
Ähnlich wie andere soziale Netzwerke können Dating-Apps der mentalen Gesundheit schadenBild: IMAGO/xPeopleimagesx

Debütanntinnenbälle, von der Familie arrangierte Treffen, Zeitungsannoncen, Blind Dates: Schon immer haben Menschen versucht, dem Glück bei der Partnersuche ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Doch das Internet - und vor allem das Smartphone - hat die Art und Weise revolutioniert, wie wir sexuelle und romantische Kontakte suchen. 

Laut der Berliner Psychologin und Dating-Expertin Pia Kabitzsch ist Online-Dating heute in vielen Ländern und besonders für die jüngere Generation nicht mehr wegzudenken. "Eine Umfrage von 2023 hat ergeben, dass 77 Prozent der 16- bis 29-jährigen und 66 Prozent der 30 bis 49-jährigen schon online gedatet haben. Und: Die meisten Paare lernen sich heute auch tatsächlich online kennen." 

Brasilianierin Giovana Idalgo Zanforlin und ihre Partnerin
Giovana Idalgo Zanforlin und ihre Partnerin Juliana lernten sich online kennenBild: Privat

So wie die 31-jährige Brasilianerin Giovana Idalgo Zanforlin und ihre Partnerin Juliana. Idalgo Zanforlin erzählt: "Online-Dating ist zwar oft oberflächlich, aber es ist auch ziemlich praktisch. Man muss nicht irgendwohingehen, um jemanden kennenzulernen. Und man weiß direkt, welche sexuelle Orientierung die andere Person hat."

Der Algorithmus entscheidet über die (erste) Partnerauswahl

Online-Dating bei gängigen Anbietern wie Tinder, Bumble oder Grindr funktioniert meist so: Nutzende erstellen ein Profil mit Fotos und einigen Angaben über sich selbst und schreiben dazu, was sie suchen. Ein Algorithmus führt sie dann unter anderem anhand von Wohnort, Vorlieben und Interessen zusammen.

Mit dieser Art des Online-Datings bekannt geworden ist 2012 vor allem der weltweite Marktführer Tinder. Die Profile, die die App ihren Userinnen und User zuspielt, können diese nach links (Person gefällt nicht) oder nach rechts swipen (Person gefällt). Wenn man selbst ebenfalls von der Person nach rechts geswiped (gewischt) wurde, hat man ein Match und kann beginnen, miteinander zu chatten.

Symbolbild von mehreren Profilen auf der Dating-App Tinder
Bei Tinder können jeden Tag unzählige Profile durchgeschaut werdenBild: Taidgh Barron/dpa/picture alliance

Personen durchforsten also eine vorsortierte Auswahl anderer Nutzender - und entscheiden meist innerhalb weniger Sekunden, ob sie diese attraktiv finden. Dabei bedeutet ein Match in der Realität oft nicht, dass man tatsächlich ins Gespräch kommt - oder dass dieses nicht nach dem Austausch einiger Belanglosigkeiten im Sande verläuft. 

"Man verkauft sich selbst wie im Geschäft"

Besonders tiefgründig und verbindlich klingt das nicht. Auch Alfonso Rosales Garcia, der vor zwei Jahren von Spanien nach Berlin zog und die Dating-App Hinge nutzt, kritisiert die Oberflächlichkeit von Online Dating: "Es ist komisch, manchmal kommt man sich vor, als müsse man sich wie in einem Geschäft verkaufen." Der 29-jährige Physiotherapeut weist auch auf ein Paradoxon von Dating-Apps hin: Nämlich, dass sie ja ihre Kundinnen und Kunden allzu schnell wieder verlieren, wenn sie zu gut funktionieren. Für ihn ist klar: "Die Anbieter wollen Geschäfte mit dem Dating-Leben der Menschen machen. Wäre das anders, würden sie zum Beispiel nicht anbieten, Nutzenden gegen Geld mehr Sichtbarkeit zu verschaffen."

So wie Alfonso sind auch viele andere frustriert von einigen Aspekten des Online-Datings. Das erlebt auch Pia Kabitzsch so. Doch die Autorin des Beststellers "It's a date!" findet es falsch, die Fehler nur bei den Apps zu suchen: "Wie User die Apps nutzen und was sie aus den neuen Bekanntschaften machen, haben sie selbst in der Hand. Und genau hier liegen häufig auch die Gründe für die Frustration: Die User klicken sich z.B. im Akkordtempo durch die Profile und beschweren sich dann über die Oberflächlichkeit. Sie ghosten (wortloser Kontaktabbruch - Anm.d.Red.) andere und empfinden Dating Apps dann als unverbindlich." 

Indien: Mit Online-Dating auf der Suche nach dem Glück

Abgesehen davon haben Dating-Apps weitere Schattenseiten. So gibt es - ähnlich wie es für andere soziale Netzwerke wie Instagram oder TikTok bekannt ist - ein gewisses Suchtpotenzial. Manche Menschen können mit dem Swipen in Dating-Apps angesichts der scheinbar unendlichen Möglichkeiten auch nach Stunden nicht aufhören - jedes neue Match oder auch nur die Aussicht darauf bedeutet für das Hirn einen Dopamin-Kick. 

Dating-Apps können psychische Probleme verstärken 

Wird die Auswahl zu groß, kann das auch ermüden und überfordern. Man spricht in der Psychologie auch vom "Choice-Overload-Effekt". Ähnlich wie Menschen sich im Großstadt-Alltag manchmal kaum noch gegenseitig wahrnehmen und schätzen, sinkt dann auf Dating-Apps die Aufmerksamkeit und Geduld für den nächsten Kontakt.

Symbolbild - Person nutzt Handy im Bett: Dating-App und Online Dating
Ähnlich wie andere soziale Netzwerke können Dating-Apps der mentalen Gesundheit schadenBild: IMAGO/xDimaberlinx

Auch mehrere Studien deuten darauf hin, dass Dating-Apps unter Umständen eher stressen, unzufrieden machen, und sogar psychische Probleme noch verschärfen können. So hat etwa Elias Aboujaoude, Professor für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften an der Standford University, anhand der Aussagen von mehr als 1300 Befragten untersucht, wie zufrieden sie mit Tinder sind.

Auf dem medizinischen Blog der Stanford University erklärte er im Juli: "Online-Dating scheint für Menschen, die mit psychischen Problemen konfrontiert sind, ein ineffektiver Bewältigungsmechanismus zu sein." Als jemand, der sich seit 15 Jahren mit problematischer Internetnutzung beschäftigt habe, ziehe er Parallelen zu anderen sozialen Medien, welche Erkrankungen wie Depressionen, Angstzustände und geringes Selbstwertgefühl verschlimmern könnten.

Um solchen Negativfolgen entgegenzuwirken, haben sich einige Anbieter von Dating-Apps bereits Maßnahmen überlegt. Bei OKCupid etwa müssen Userinnen und User einen recht detaillierten Fragebogen ausfüllen, so dass die App mehr Persönlichkeitsmerkmale miteinbeziehen kann. Bei Once gibt es statt stundenlangem Wischen nur einen Vorschlag pro Tag.

Symbolbild: Dating-Apps auf einem Handy
Der Markt für Dating-Apps wie Tinder oder Lovoo ist groß gewordenBild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Klasse statt Masse

Auch Userinnen und User selbst können etwas tun, um Frust und ein ungesundes Nutzungsverhalten zu vermeiden. Psychologin Kabitzsch rät, sich bewusst zu machen, was man eigentlich genau sucht und will. Nutzende sollten sich zudem Zeit nehmen, andere Profile in Ruhe anzuschauen, und nicht zu vergessen, dass hinter jedem Profil ein Mensch mit Gefühlen stecke. Werde man selbst "geghostet" oder erhalte nur wenige Likes, helfe es, sich bewusst zu machen: "Das, was 'abgelehnt' wird, ist nicht man selbst als Person, sondern nur der klitzekleine Anteil, den man online über sich preisgegeben hat."

Auch den Suchtfaktor von Dating-Apps kennt die Expertin: "Ich habe sogar schon mal meine Haltestelle verpasst, weil ich so tief im 'Tinder-Game' war." Sie rät deshalb, sich regelmäßig Auszeiten von Tinder & Co zu nehmen - allerspätestens dann, wenn Online-Dating zur Belastung werde.

Die vielen Türen, die Online-Dating uns eröffnet, können überwältigend sein, im positiven wie im negativen Sinn. Ein bewusster Umgang mit den Apps kann letztendlich entscheidend dafür sein, ob wir uns in Richtung Zweisamkeit swipen oder nur unsere Zeit vergeuden.

Dieser Artikel wurde am 22.08.2023 geändert.

DW Fact Checking-Team | Ines Eisele
Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis