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Politik

"Das versteht doch niemand!"

Birgit Maaß
23. September 2019

Der Brexit dominiert den Parteitag der britischen Labour-Partei. Für einen klaren Kurs will sie sich aber nach wie vor nicht entscheiden. Damit folgt die Partei ihrem Chef Jeremy Corbyn. Birgit Maaß aus Brighton.

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Großbritannien Brighton Labour Parteitag | Jeremy Corbyn
Nachdenklich auf dem Labour-Parteitag: Jeremy CorbynBild: Getty Images/D. Kitwood

Wie steht die britische Labour-Partei zum Brexit? Diese Frage war noch nie einfach zu beantworten. Er sei nur zu sieben Prozent von der EU überzeugt, hatte Parteichef Jeremy Corbyn vor dem Referendum 2016 gesagt. Seitdem sind mehr als drei Jahre vergangen, aber auch wer heute in einem Satz beantworten soll, wie Labour zum Brexit steht, der wird schnell an seine Grenzen stoßen.

Auf dem Parteitag im englischen Seebad Brighton hat die Partei nun beschlossen, sich weiterhin nicht festzulegen. Im Falle eines Wahlsieges - wegen der festgefahrenen Situation im Parlament gelten Wahlen noch in diesem Jahr als wahrscheinlich - möchte Corbyn allerdings einen neuen, eigenen Brexit-Deal mit der EU verhandeln und diesen dann in einer erneuten Volksabstimmung zur Wahl stellen. Ob sich Labour bei dieser erneuten Abstimmung aber für "Remain", also den Verbleib in der EU einsetzen wird, oder aber für den Brexit, will sich die Partei erst noch offen halten.

Corbyns Mittelweg

Corbyn versucht mit seinem Kurs einen Mittelweg, will weder die Wähler im Norden Englands verprellen, die für den Brexit gestimmt haben, noch die jungen, kosmopolitischen pro-europäischen Wähler in den Ballungsgebieten verlieren. Man könnte wohlwollend sagen, er versucht, das Land zu einen. Aber seine Partei stellt er dabei gehörig auf die Probe.

Großbritanien | Labour Parteitag in Brighton
Mehr "Yes" als "No": Die meisten Labour-Anhänger sind für einen Verbleib Großbritanniens in der EUBild: DW/B. Maass

Fast verzweifelt hatten viele an der Parteibasis versucht, die Führungsspitze umzustimmen. Vor dem Eingang des Konferenzzentrums stehen Mitglieder der pro-europäischen sozialistischen Bewegung "Another Europe Is Possible" und verteilen Schilder mit der Botschaft "Labour can stop Brexit" und "Remainer Corbynista". Sie wollen, dass sich Labour klar als pro-europäische Partei positioniert. Beim Klimawandel, bei wichtigen Themen wie der Steuerhinterziehung müsse man gemeinsam vorgehen, meint Tom Gilbert - gerade junge Wähler würden sich das wünschen.

Sein Mitstreiter Ed Maltby ergänzt, es gebe keinen akzeptablen Brexit. Corbyns Position hält er für unehrlich: Er gaukle den Leuten vor, er könne einen "guten" Brexit mit der EU verhandeln, wo doch klar sei, dass jede Form von Brexit dem Land schade, sei es durch Einbußen in der Wirtschaft oder durch Probleme an der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland. "Der Brexit ist ein Projekt der extremen Rechten, er steht für alles, was wir bekämpfen müssen", meint er.

Großbritanien | Labour Parteitag in Brighton
Labour kann den Brexit noch stoppen, meint der Aktivist Ed Maltby vor dem Konferenzzentrum in BrightonBild: DW/B. Maass

Bis in die Führungsspitze zieht sich die Brexit-Kontroverse. Emily Thornberry, in Corbyns Schattenkabinett für Außenpolitik zuständig, erhält bei ihrer Rede dann den meisten Applaus, wenn sie darüber spricht, wie wichtig es sei, dass Großbritannien in der EU verbleibe: Sie persönlich würde sich auf jeden Fall für "Remain" einsetzen. Genau das haben auch schon der Corbyn-Vertraute John McDonnell und Parteivize Tom Watson kundgetan. Aber Thornberry ist auch vorsichtig, bezeichnet Corbyn als ihren Freund und fordert die Partei auf, sich geschlossen hinter ihn zu stellen - Labour-Kenner munkeln, sie warte nur auf ihre Gelegenheit, Corbyn zu beerben.

David Lammy, populärer Labour-Abgeordneter im britischen Unterhaus, ist offensiver als seine Parteikollegin. Auf die Frage, was er von Corbyns Brexit-Position halte, lacht er nur: "Wie sollen wir das denn bloß im Wahlkampf den Leuten erklären? Das versteht doch niemand." Labour sei eine internationalistische Partei, dürfe niemals auf der gleichen Seite stehen wie Nigel Farage und seine Brexit-Partei.

Großbritanien | Labour Parteitag in Brighton
Auch der Parlamentsabgeordnete David Lammy möchte nicht, dass sein Land die Europäische Union verlässtBild: DW/B. Maass

Tatsächlich zeigen Umfragen, dass heute nur zehn Prozent aller Labour-Wähler glauben, die Entscheidung im Referendum für den Brexit sei richtig gewesen, und die überwiegende Mehrheit wünscht sich heute, Großbritannien möge Mitglied der EU bleiben. Auch die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten ist für den Verbleib in der Europäischen Union. Abgeordnete wie Lisa Nandy, deren Wahlkreis im Norden Englands deutlich für den Brexit ist, sind in der Minderheit. Nandy findet Corbyns Position ehrlich. Viele Wähler wollten, dass die Politiker einen Kompromiss finden.

Labour schwächelt

Doch die Position des Mittelweges durchzuhalten, dürfte schwierig werden für die Labour-Spitze - denn nicht nur in der eigenen Partei, sondern im ganzen Land haben sich die Meinungen immer weiter verhärtet. Bei den Wählern kommt Corbyns unklare Position jedenfalls nicht gut an: Mit nur 24 Prozent liegt Labour im Umfragen deutlich hinter den Tories, die bei 33 Prozent liegen, und verliert Wähler an die klar pro-europäischen Liberaldemokraten.

Und bis zum bis zum geplanten Austritt Großbritanniens am 31. Oktober sind es nur noch wenige Wochen. Irgendwann wird selbst Jeremy Corbyn nicht darum herumkommen, beim Brexit eine klare Position zu beziehen.