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Das umgedrehte Klassenzimmer

Stefanie Hoppe4. Mai 2012

Der "Inverted Classroom" stellt veraltete Unterrichtsmethoden in langweiligen Vorlesungen auf den Kopf: Multimedial, individuell und zielorientiert lernen - an jedem Ort der Welt, in eigenem Tempo.

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Ritva Schmitt, Anglistikstudentin an der Universität Marburg Fotos zum Beitrag Das "fliegende Klassenzimmer" an der Uni. !!!!!!!!!!!!Die Fotos dürfen NUR im Zusammenhang mit dem Beitrag veröffentlicht werden. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Die Bildrechte liegen bei: Stefanie Hoppe. zugeliefert von Svenja Üing E-Mail: svenja.ueing@yahoo.de
Das fliegende Klassenzimmer Ritva SchmittBild: Stefanie Hoppe

Ritva Schmitt sitzt am Fenster ihrer lichtdurchfluteten WG-Küche. Von hier aus hat sie einen traumhaften Blick auf das Marburger Schloss. Die 21-jährige angehende Lehrerin studiert Politik, Wirtschaft und Englisch an der Philipps-Universität Marburg. Auf dem Schoß hält sie ihr Notebook, der Bildschirm zeigt die Internetseite "The Virtual Linguistics Campus".

"Die Seite kann man sich ein bisschen vorstellen wie facebook", sagt die Studentin. "Nur geht es hier eben um akademische Inhalte." Neben sich eine Tasse Tee loggt sich Ritva Schmitt mit einem Passwort ein. "Und jetzt kann ich hier Dateien öffnen, das sind zum Beispiel kleine Videos, die man sich auch auf youtube ankucken kann."

 Multimediaraum statt Hörsaal

Die Videos auf der Plattform entstehen ein paar Straßen weiter. Das Gebäude des Marburger Fachbereichs Anglistik ist schon etwas in die Jahre gekommen. Hinter einer der Türen allerdings verbirgt sich modernste Technik: Scheinwerfer, Stative und Kameras. Es ist das Arbeitszimmer von Jürgen Handke. Vor einer Multimediatafel, dem sogenannten interaktiven whiteboard, hält der Professor hier seine Vorlesungen. Sein einziger Zuschauer ist die Videokamera.

Jürgen Handke, Anglistikprofessor an der Universität Marburg (Foto: Stefanie Hoppe)
Vorlesung multimedial - und cut! Jürgen Handke in seinem ArbeitszimmerBild: Stefanie Hoppe

Anschließend stellt er die Vorlesung ins Netz. "Denn dort steckt das Wissen der Menschheit", betont Handke. Seit vielen Jahren setzt er sich für die Verbreitung des aus Nordamerika stammenden "Inverted Classroom" in Deutschland ein. Vorteil der Unterrichtsmethode sei, "dass sich jeder Lernende nach seinem eigenen Tempo die Inhalte dort beliebig oft, zu jedem Zeitpunkt und von jedem Ort der Welt aneignen kann."

Kurzweiliges Klicken statt langatmiges Lesen

So wie Ritva Schmitt in ihrer WG-Küche. "Das Gute ist, dass man hier, anders als in der Vorlesung, auf 'stop‘ drücken kann. Wenn mal was zu schnell ging, kann man auch nochmal zurückspulen."

In diesem Semester belegt sie Handkes Seminar "Varieties of English". Hier lernen die Studierenden, wodurch sich die Dialekte im Englischen voneinander unterscheiden. Das Thema der aktuellen Online-Session lautet "Methoden der Dialektforschung". Ritva Schmitt klickt auf verschiedene Links und daraufhin öffnen sich Fenster mit Texten, Landkarten und Fotos. "Jetzt kann ich mich durchklicken. Hier wird zum Beispiel beschrieben, wie Dialektforschung betrieben wird. Und hier kann ich mir Regionen angucken, in denen es verschiedene Dialekte gibt – Großbritannien und andere Staaten."

Mehr Zeit für das Wesentliche: Üben und Diskutieren

Normalerweise wird der neue Stoff in Vorlesungen und Seminaren vor Ort vermittelt. Doch nicht selten starten die Veranstaltungen chaotisch. Bis allen klar ist, worum es geht, ist das halbe Semester oft schon vorbei. Anders beim "Inverted Classroom", bei dem sich die Studenten neues Wissen online aneignen.

Dennoch kann auf das persönliche Erscheinen im Vorlesungssaal oder Seminarraum auch hier nicht ganz verzichtet werden: Denn das gemeinsame Üben sei immens wichtig, betont Anglistik-Professor Handke. Die Inhalte, die sich die Studenten im Netz aneignen, werden deshalb in einer Präsenzveranstaltung an der Uni vertieft. Das ist Phase zwei des "umgekehrten Klassenzimmers".

Jürgen Handke, Anglistikprofessor an der Universität Marburg (Foto: Stefanie Hoppe)
Bearbeiten, hochladen - DiskussionsgrundlageBild: Stefanie Hoppe

Ganz ohne direkten Kontakt zum Professor geht es also nicht. "Der hat allerdings eine völlig neue Funktion", sagt Handke und ist ganz offensichtlich begeistert: "Er ist der Begleiter, denn er begleitet die Studierenden beim Üben und Diskutieren. Und die Diskussionen – die sind viel lebhafter als sonst!"