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Im Dienste von Islam und türkischer Nation

Andreas Gorzewski27. Februar 2014

Die türkische Islambehörde ist seit 1924 Teil der staatlichen Religionspolitik. Während sich die Behörde als Vorbild für andere Länder sieht, fordern Kritiker eine Trennung von Staat und Religion.

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Moschee in Istanbul (Foto: AFP)
Bild: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Die Gründer der Republik Türkei wollten einen modernen Nationalstaat schaffen. Dieser sollte anders als das Osmanische Reich nicht unter dem Einfluss islamischer Religionsgelehrter stehen. Deshalb schafften Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk und seine Mitstreiter das Kalifat ab und beschnitten die Macht der Religionsbürokratie. Doch sie kappten nicht alle Verbindungen zwischen Staat und Islam. Am 3. März 1924 gründeten sie die Religionsbehörde, die nach der Kurzform ihres türkischen Namens Diyanet genannt wird. Sie sorgt für Imame in den Moscheen, organisiert die Pilgerfahrt nach Mekka und legt den Islam aus.

Dienstleister und Kontrollorgan

Allerdings ist das Diyanet mehr als nur religiöser Dienstleister für Muslime. Vor allem in den Anfangsjahren war es zusätzlich ein Kontrollorgan. "Der Islam wurde in den Jahren der Republikgründung auch als Gefahr aufgefasst“, erklärt der Türkei-Experte Dirk Tröndle, der zum Diyanet geforscht hat. Der Islam sollte aus dem öffentlichen Bereich herausgehalten werden, beschreibt Tröndle im DW-Gespräch die ursprüngliche Aufgabe des Amtes.

Musliminnen in der Bibliothek einer religiösen Schule in Istanbul (Foto: Reuters)
Die Behörde liefert nach ihrem Selbstverständnis zuverlässige Informationen über die ReligionBild: ullstein bild - Reuters/MURAD SEZER

Das hat sich nach Ansicht des Soziologen und Politikwissenschaftlers Levent Tezcan mittlerweile geändert. Vor allem seit dem Militärputsch 1980 sei die Behörde Teil einer aktiven Religionspolitik. "Es waren gerade die Militärs, die die Religion als Gegengift gegen Kommunismus, Sozialismus, linke Ideologien in der Türkei eingesetzt haben", ergänzt Tezcan. Unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sei diese aktive Religionspolitik noch ausgebaut worden, erklärt der Dozent der Universität Tilburg in den Niederlanden. "Diyanet bestimmt, was die richtige Religion ist“, sagt Tezcan. Der Ministerpräsident sei weisungsbefugter Dienstherr des Behördenvorsitzenden. "Da können sie sich vorstellen, inwiefern eine solche Institution frei von der Politik operieren kann.“

Wissen über den Islam verbreiten

Diyanet-Vertreter bestreiten eine politische Einmischung in ihre Arbeit und betonen dagegen ihre islamische Zielsetzung. Der Abteilungsleiter für strategische Entwicklung, Necdet Subasi, nennt zwei Hauptaufgaben. Zunächst wolle die Behörde "zuverlässiges Wissen“ über den Islam vermitteln. Es sei in der heutigen Informationsflut nicht mehr leicht zu entscheiden, was islamisch sei und was nicht. "Wir wollen einen zuverlässigen Informationskanal dauerhaft anbieten und ausbauen“, betont Subasi. Darüber hinaus wolle das Diyanet die muslimische Religiosität auf der Basis dieses Wissens weiterentwickeln.

Eine solche Entwicklung lässt sich an der Haltung gegenüber Frauen ablesen. So begann ein groß angelegtes Projekt, frauenfeindliche Aussagen aus der islamischen Überlieferung zu streichen. Außerdem wurden einige muslimische Theologinnen zu Vize-Muftis ernannt. Damit sind sie die zweithöchsten Diyanet-Vertreter in einigen türkischen Provinzen. Für den Leiter der einflussreichen Strategieabteilung ist das Diyanet ein Erfolgsmodell und ein Vorbild. Eine vergleichbare Behörde gebe es in den anderen islamisch geprägten Staaten nicht.

Mehr als hunderttausend Religionsbeamte

Innenraum der Duisburger DITIB-Moschee (Foto: Getty Images)
In vielen deutschen Moscheen wie der Duisburger DITIB-Zentralmoschee arbeiten Diyanet-ImameBild: Getty Images

Heute beschäftigt das Amt in Ankara mehr als hunderttausend Imame, Korankurslehrer, Muftis und Muezzine. Es ist für 85.000 Moscheen im Land zuständig. Im Jahr 2013 war das Diyanet-Budget auf umgerechnet etwa 1,9 Milliarden Euro angewachsen. Das war deutlich mehr als die Etats von Gesundheits-, Außen- oder Innenministerium, wie türkische Medien vorrechneten. Auch im Ausland kümmert sich das Diyanet um türkische oder türkischstämmige Muslime. Etwa 1600 Imame arbeiten auf Kosten der türkischen Steuerzahler in Europa, Amerika oder Australien. Allein in den Moscheen der deutschen Schwesterorganisation Türkisch-Islamische Union (DITIB) sind 800 Imame beschäftigt.

Kritiker fordern Änderungen

Allerdings gibt es auch in der Türkei Widerspruch gegen die Behörde. Immer wieder fordern Kritiker die Abschaffung oder zumindest eine Reform des Diyanet. Ein Staat, der sich in seiner Verfassung zum Laizismus bekennt, dürfe religiöses Leben nicht über eine Behörde organisieren. Darüber hinaus beklagen Vertreter der 15-20 Millionen Aleviten in der Türkei, dass die Behörde nur den sunnitischen Islam repräsentiere und diesen auch den Aleviten aufdränge. Aleviten haben dagegen ihre eigenen religiösen Traditionen.

Subasi verteidigt dagegen die Einbindung in die Staatsstruktur. Ihm zufolge bevorzugten sowohl die Republikführung als auch die Bevölkerung die bis heutige gültige Regelung. "In der Tradition unseres türkischen Islam ist eine allzu starke Trennung von Staat und Religion undenkbar", betont der Leiter der einflussreichen Strategieabteilung.

Diyanet-Präsident Mehmet Görmez (Foto: dpa)
Diyanet-Präsident Mehmet Görmez verfügt über ein enormes BudgetBild: picture-alliance/dpa

Nach Einschätzung des Wissenschaftlers Levent Tezcan ist eine Diskussion über eine Abkoppelung des Diyanet vom Staat und dessen Regierung längst überfällig. Derzeit sei sie allerdings kaum zu erwarten. Premier Erdogan baue auf die Behörde für seine Politik. So habe er das Ziel verkündet, eine gläubige Jugend heranzuziehen. Dabei soll das Diyanet helfen. Im aktuellen Streit zwischen Erdogans Regierung und den Anhängern des Predigers Fethullah Gülen habe sich Diyanet-Präsident Mehmet Görmez auf die Seite der Regierung gestellt. "Meiner Ansicht nach ist der Zeitpunkt gekommen, dass die Türkei über dieses Religionsregime grundsätzlich nachdenken muss", mahnt Tezcan.