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Politik

"Ich hatte Angst vor Folter"

Yulia Vishnevetskaya | Markian Ostaptschuk
2. März 2017

Seit Ende Februar ist der russische Aktivist und Kreml-Kritiker Ildar Dadin wieder frei. Er machte mit Einzelprotesten auf sich aufmerksam. Im DW-Interview spricht er über seinen Leidensweg im Straflager.

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Russland Ildar Dadin nach der Freilassung aus dem Gefängnis
Bild: DW/Y. Wyschnewezkaya

Deutsche Welle: Journalisten haben oft darüber berichtet, wie es Ihnen in den ersten drei Tagen der Haft im September 2016 ergangen ist. Sie wurden geschlagen, an Handschellen aufgehängt und mit dem Kopf in die Toilette gesteckt. Ihnen wurde mit Vergewaltigung gedroht. Sie sagen, die Folter habe sie "gebrochen".

Ildar Dadin: Ich war danach einverstanden, alle Forderungen der Gefängnisleitung zu erfüllen. Ich habe aufgehört, für meine Rechte zu kämpfen. Ich habe mich über nichts mehr beschwert und alle Maßregelungen blind unterschrieben.

Was für Maßregelungen?

Auf deren Grundlage wurden meine strengen Haftbedingungen verlängert. Zum Beispiel wurde mir vorgeworfen, Schimpfwörter zu verwenden, mich mit der Gefängnisleitung anzulegen, Nahrung zu verweigern oder erst vier Minuten nach der Klingel aufzustehen. All dies ist gelogen. Aber ich habe alles unterschrieben. Wenn man in eine Strafzelle gebracht wird, erfährt man gar nicht, dass es sich um eine Maßregelung handelt. Es heißt, man gehe zur Gefängnisleitung. Man hat keine Möglichkeiten, sich vorzubereiten oder zu verteidigen. Wenn man weiß, wie gefoltert wird, will man keinen Streit. Wenn einem vor einer Videokamera all die Lügen vorgetragen werden, ist man mit allem einverstanden. Es heißt dann: Noch Fragen? Darauf muss man munter antworten: Keine Fragen! Einmal habe ich sehr vorsichtig gesagt, ich wolle mich auf Artikel 51 der russischen Verfassung (Anm. d. Red.: Niemand ist verpflichtet, gegen sich selbst auszusagen) berufen, und keine Maßregelung unterschreiben. Danach wurde ich in den Gefängnishof geführt, wo ich zwei Stunden in Kälte und Dunkelheit ausharren musste. Ich hatte Angst, dass die Folter wieder beginnt, und habe dann alles unterschrieben.

Was hatte das für Folgen?

Während meiner Haft ist es mir nicht gelungen, "aufzusteigen" und in eine normale Baracke zu kommen, wo andere Gefangene untergebracht sind. Ich war insgesamt 45 Tage - drei Mal jeweils 15 Tage - in Einzelhaft in einer Strafzelle. Danach wurden mir strenge Haftbedingungen auferlegt und ich kam in eine Zelle, die sich von einer Strafzelle nur darin unterscheidet, dass man einen Nachttisch für persönliche Dinge hat und dort nicht höchstens 15 Tage, sondern sechs Monate festgehalten werden kann. Außerdem hatte ich dort Mitinsassen.

Ildar Dadin Russland
Am 26. Februar konnte Ildar Dadin das Straflager Rubzowsk in der sibirischen Altai-Region verlassenBild: picture alliance/dpa/A.Tsvaigert/TASS

Was haben Sie den ganzen Tag gemacht?

In der Strafzelle bin ich im Kreis gelaufen und habe die Runden gezählt. Auch habe ich die sechs Blätter auswendig gelernt, die an der Wand hingen: Besonderheiten der Haftbedingungen in Strafzellen. Zweimal am Tag wurde über die Lautsprecher mit monotoner kratziger Stimme laut die Hausordnung verlesen, meist der Teil, der die Pflichten der Gefangenen betrifft. Zwischen 7:30 und 8:00 Uhr war Reinemachen. Aber man darf nicht schnell putzen und sich hinstellen, bis die Zeit um ist. Man muss den Lappen nehmen und den Boden nochmal putzen. Anfangs habe ich gefragt, wie man denn wissen könne, wann die Zeit um sei. Denn im Gefängnis gibt es keine Uhren. Man sagte mir: Wenn Musik der russischen Band Ljube gespielt wird. Die Lieder mit patriotischem Einschlag erklingen morgens und abends während der Kontrollen. Mit der Musik vermischt habe ich Schläge und Schreie aus den benachbarten Zellen gehört.

Jedes Mal?

Nein, in der Regel, wenn neue Gefangene kamen. Das konnte man an den Haarschneidern hören. Normalerweise werden allen die Köpfe samstags rasiert. Wenn es nicht Samstag war, waren also neue Gefangene angekommen. Dies bedeutete auch, dass man sie am nächsten Tag schlagen wird.

Womit haben Sie sich in der Haft beschäftigt?

Wochentags wurde das Radio eingeschaltet. Bücher gab es in den ersten 40 Tagen keine. Dann kam ein Menschenrechtler zur Kontrolle und mir wurde angeboten, die Bibliothek zu nutzen.

Erzählen Sie von Ihren Mitinsassen.

Über den ersten hatte ich mich anfangs gefreut. Dann verstand ich, dass er verrückt ist. Ein normaler Mensch würde nicht ständig fluchen, wenn er nur noch ein oder zwei Monate zu sitzen hat. Warum sollte man gegen die Gefängnisregeln verstoßen, umso mehr, wenn man dafür regelmäßig vom Personal geschlagen wird? Er rollte das gesamte Toilettenpapier ab und warf es in den Mülleimer. Einmal hat er die Wände bei der Toilette mit Kot beschmiert. Er hielt ständig Selbstgespräche. Bis er einschlief, gab er seltsame Geräusche von sich, als würde ihn jemand schlagen. Er tut mir leid, vielleicht wurde er ständig geschlagen, ich weiß es nicht. Mein nächster Mitinsasse war wegen Vergewaltigung im Gefängnis. Anfangs hatten wir ein normales Verhältnis, doch dann kamen die Spannungen. Ich sagte, jeder solle nur seine eigenen Sachen benutzen. Aber er nahm immer wieder meine Sachen und beleidigte mich. Ich denke, dass die Gefängnisleitung absichtlich eine solche Situation und eine Schlägerei herbeiführen wollte. Ich hatte vergeblich darum gebeten, in eine andere Zelle verlegt zu werden. Am nächsten Tag haben wir uns geschlagen. Der dritte war ein Grieche. Mit ihm saß ich etwa einen Monat. Er war wegen Wirtschaftsverbrechen in Haft. Große Probleme hatten wir nicht. Ich glaube, dass er mir auf seine Weise Gutes wünschte. 

Der 34-jährige Ildar Dadin wurde Ende 2015 zu drei Jahren Haft in einem russischen Straflager verurteilt. Der Vorwurf: mehrfacher Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Seine Einzelproteste in Moskaus Straßen richteten sich unter anderem gegen den Krieg in der Ukraine. Dadin war die erste Person, die aufgrund eines umstrittenen neuen Artikels des Strafgesetzbuches (eingeführt 2014) zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde: Dieser verbietet je nach Auslegung auch friedlichen öffentlichen Protest. Dadins Verhaftung wurde international kritisiert. Auf Anordnung des Obersten Gerichts Russlands kam er nach 15 Monaten frei. 

Das Gespräch führte Yuliya Vishnevetskaya.