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Politik

Isoliere sich wer kann!

Juri Rescheto
7. April 2020

Fast überall in Russland gelten Bewegungsbeschränkungen. Damit will der Staat die Corona-Ausbreitung eindämmen. Zuwiderhandlungen werden bestraft - und sei es beim Gassi-Gehen. Von Juri Rescheto, Moskau.

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Russland Moskau Coronavirus
Bild: picture-alliance/dpa/A. Geodakyan

Jesus und Platon sind jetzt Stars. Das Video mit den beiden flimmert seit dem vergangenen Wochenende in allen russischen Medien. Ihre Geschichte steht symbolisch für das Regime der sogenannten Selbstisolation in der russischen Hauptstadt und den Widerstand dagegen.

Die Moskauer Stadtverwaltung hatte vor Tagen schon angeordnet: Alle, die nicht zwingend ihre Wohnung verlassen müssen, bleiben zu Hause! Ein komplettes Ausgehverbot gilt allerdings nur für Corona-Infizierte, die zu Hause oder in Krankenhäusern behandelt werden und für Menschen, die innerhalb der letzten 14 Tage aus dem Ausland kamen oder älter als 65 Jahre sind.

100 Meter Gassi-gehen

Jesus Worobjow gehörte mutmaßlich weder zu der einen noch zu der anderen quarantänepflichtigen Gruppe. Zumindest nicht offiziell. Auch ist er deutlich jünger als 65. Er war lediglich mit seinem Hund Platon am Wochenende an den Patriarchenteichen im Zentrum Moskaus spazieren. Eigentlich nicht verboten. Denn es gibt drei Gründe, außer wenn man zwingend zur Arbeit muss, warum man seine Wohnung zurzeit verlassen darf: der Gang in den Lebensmittelladen, der Gang in die Apotheke oder der Gang mit dem Hund. Beim Gassi-Gehen dürfen sich Hund und Herrchen allerdings höchstens 100 Meter von der Haustür entfernen.

Russland Patriarchenteiche
Im Zentrum von Moskau: das Stadtviertel Patriarchenteiche Bild: Wikimedia Commons/A. Savin

Der idyllische Patriarchenteich innerhalb des wohlhabenden Moskauer Gartenrings ist deutlich breiter. Außerdem stehen neuerdings Metallgitter an den Zugängen zum Teich und es patrouillieren Polizisten ringsherum. Beides nicht zu übersehen. Jesus Worobjow und sein Hund Platon hatten beide Warnzeichen anscheinend aber ignoriert. Sie gelangten zum Teich und wurden von den Beamten gestoppt. Was danach passierte, unterscheidet sich in Details – je nach Darstellung – nicht aber im Ergebnis: Herr Worobjow wurde festgenommen, auf das nächste Polizeirevier gebracht. Sein Hund Platon musste allein den Weg nach Hause finden.

Der Moment der Festnahme wurde von Passanten gefilmt. Das Video verbreitete sich innerhalb weniger Minuten in den Weiten des Internets, begleitet von einer Lawine an Nutzer-Kommentaren. Die einen empörten sich über "Polizeiwillkür" in Russland, die anderen echauffierten sich über das "asoziale Verhalten" des Hundebesitzers und rochen Provokation. Die Richter des Bezirksgerichts Presnja, in dem Herrn Worobjoew der Prozess gemacht wurde, sprachen ihn schuldig. Er muss nun eine Geldstrafe wegen Ungehorsams zahlen.

Pläne für Ausgangsgenehmigungen per QR-Code

Ob Jesus Worobjow nun seine Strafe zahlt oder in Berufung geht, ist unklar. Klar ist, seine Geschichte hat viel aufgewirbelt und manchen Bürgern angst gemacht. Die sogenannte Selbstisolation ist bei den Russen ohnehin umstritten. Die einen – und das sind wohl die meisten, wenn man den offiziellen Statistiken glaubt – sind einsichtig und bleiben brav zu Hause. Bis zum 30. April. Solange gelten in Russland die von Präsident Wladimir Putin verhängte "Freizeit". Zahlreiche TV-Spots mit Fernseh- und Pop-Stars ermuntern sie darin. Anscheinend mit Erfolg.

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Hartes Durchgreifen: Polizeibeamte an einem Moskauer BahnhofBild: picture-alliance/dpa/V. Gerdo

Ursprünglich sollte jeder sogar jedes Mal eine elektronische Genehmigung von der Stadt per QR-Code zum Verlassen der Wohnung auf das Smartphone bekommen, um eben mal Brot zu kaufen oder den Müll zur Tonne zu bringen. Aber diese Pläne sind jetzt erst mal vom Tisch.

Die anderen fürchten um ihre Existenz, denn die von Putin gleichzeitig verordnete Fortzahlung der Gehälter werden viele Klein- und Mittelbetriebe sich nicht leisten können, in Schieflage geraten oder sogar Pleite gehen.

Das wird wohl einer der Gründe sein, warum die Moskauer Stadtverwaltung am vergangenen Wochenende völlig überraschend die Bewegungsbeschränkungen teilweise doch aufgehoben hat. Ab jetzt dürfen nämlich Schönheits- und Massagesalons sowie öffentliche Bäder öffnen, wenn sie eine Lizenz zur medizinischen Tätigkeit besitzen. Auch fahren in Moskau ganz normal U-Bahnen und Busse weiter. Wenn auch ziemlich leer.

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Starker Anstieg: Russland zählt mittlerweile mehr als 6000 Corona-InfektionenBild: picture-alliance/Photoshot/E. Sinitsyn

Not macht erfinderisch

Taxen und PKW dürfen nach wie vor ungehindert durch die Stadt fahren. Die Regierung schließt übrigens nicht aus, dass die verhängte Selbstisolationsregelung noch vor dem 30. April gelockert werden kann. Wenn sich die Lage bis dahin entspannt.

Bis dahin halten auch die russischen Kunden 1,5 Meter Distanz vor den Kassen und tragen überwiegend Schutzmasken draußen. Die haben sie entweder vor Wochen schon aus den mittlerweile ausverkauften Apothekenvorräten ergattert oder selbstgemacht. Not macht erfinderisch - in Russland ist das gerade ziemlich aktuell.

Jesus Worobjow trug übrigens bei seiner Festnahme keine Schutzmaske. Die ihn verhaftenden Polizisten schon.