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HandelEuropa

China: Betrug bei fortschrittlichem Biodiesel?

23. August 2023

Die europäischen Biokraftstoff-Produzenten stehen erheblich unter Druck. Denn China flutet den Markt für fortschrittlichen Biokraftstoff und die Preise sind im Sinkflug. Aber geht es dabei mit rechten Dingen zu?

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Biotechnologieunternehmen Verbio: Bus mit Aufkleber Stroh im Tank
Fortschrittliche Biokraftstoffe aus Abfall- und Reststoffen wie Stroh oder Frittenfett, sollen die Treibhausgas-Emissionen im Verkehr senkenBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

E-Mobilität ist das eine - daneben sollen Biokraftstoffe in Europa helfen, den Verkehr weniger klimaschädlich zu machen. Besonders gefördert werden vor allem Biokraftstoffe aus bestimmten Abfällen und Reststoffen wie Altspeiseöl oder Stroh, die nicht anderweitig verwendet werden. Das hat die Nachfrage nach diesen sogenannten "fortschrittlichen Biokraftstoffen" befeuert. Und auch das Angebot hat sich rasant vergrößert.

Insbesondere aus China wurde wesentlich mehr fortschrittlicher Biodiesel importiert. "Die Importe aus China haben sich im ersten Halbjahr 2023 ungefähr verdoppelt im Vergleich zum Vorjahr", sagt Elmar Baumann vom Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie.

Der Verdacht

Das auf eine größere Nachfrage hin das Angebot ebenfalls steigt, ist prinzipiell nicht weiter erstaunlich. Im Fall von fortschrittlichem Biokraftstoff allerdings schon. Die Herstellung sei nur in speziellen Anlagen möglich, erklärt Claus Sauter von der deutschen Verbio AG, einem der größten Biodiesel-Produzenten Europas.

Verbio brauche für die Konzeption und den Bau einer solchen Anlage rund drei Jahre. Somit sei es schon verdächtigt, dass "wie aus dem nichts" plötzlich riesige Mengen aus China nach Europa kommen würden. Ebenfalls merkwürdig findet er: "Die Ware ist top und super billig. Die Chinesen bieten dieses Zeug zum halben Preis an, obwohl allein die Frachtkosten 20 Prozent des Produktpreises ausmachen. Das kann nicht sein", so der Vorstandsvorsitzende von Verbio.   

Auch Baumann ist misstrauisch. "Wir haben starke Zweifel, dass die Rohstoffe, die angeblich in China gesammelt werden, tatsächlich in der Produktion von fortschrittlichem Biokraftstoff landen", so Baumann. Wahrscheinlich werde auch einfach Kraftstoff aus Palmöl umdeklariert, mutmaßt der Chef des Branchenverbandes.

Pommes werden in heissem Öl frittiert
"Fortschrittliche Biokraftstoffe" werden aus Pflanzenabfällen wie Stroh, Altholz oder Restholz gemacht. Aber auch aus Altöl, Fetten und tierischen Abfällen. Stark verunreinigte Materialien sind nicht leicht weiter zu verarbeiten. Bild: Andreas Poertner/CHROMORANGE/picture alliance

Den Verkehr weniger klimaschädlich machen

Hintergrund der Entwicklung ist, dass es in Europa Zielvorgaben für den Treibhausgasausstoß im Verkehrssektor bis 2030 gibt. In Deutschland ist die Mineralölwirtschaft seit 2015 gesetzlich dazu verpflichtet, die Treibhausgasemissionen ihrer Kraftstoffe kontinuierlich zu senken. Dafür mischen die Konzerne Biokraftstoffe wie Biodiesel unter die fossilen Kraftstoffe. So enthält Diesel in Europa in der Regel bis zu sieben Prozent Bio-Additive. Im Jahr 2023 müssen Mineralölunternehmen acht Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen und gleichzeitig einen Anteil an fortschrittlichen Biokraftstoffen von 0,3 Prozent  erreichen. Wird der Anteil dieser fortschrittlichen Biokraftstoffe übertroffen, werden die Konzerne belohnt. Bis 2030 steigt die Treibhausgasminderungsquote auf 25 Prozent.

Dabei macht es einen Unterschied, woraus diese Biokraftstoffe produziert wurden. Wegen der Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion können Biokraftstoffe aus Raps, Soja oder Getreide nur begrenzt eingesetzt werden und werden dann einfach angerechnet. Das heißt, eine eingesparte Tonne CO2 zählt auch wie eine Tonne. Werden die Biokraftstoffe aber aus Abfall- und Reststoffen produziert, können sie doppelt angerechnet werden, sofern der Mindestanteil an fortschrittlichen Biokraftstoffen schon erfüllt ist. Das heißt, wird eine Tonne Treibhausgas eingespart, zählt sie rein rechnerisch als zwei Tonnen. So greifen die Mineralölkonzerne natürlich besonders gerne auf letztere Biokraftstoffe zurück.

Biokraftstoffe - Biodiesel. Durch ein Rapsfeld für Biosprit führt eine Straße
Den größten Anteil an Biokraftstoffen hatte mit 61 Prozent Biodiesel. Biodiesel aus Raps ist einfacher herzustellen als Biokraftstoff aus Abfall- und ReststoffenBild: Jochen Eckel/IMAGO

Europas Biodiesel-Branche unter Druck

Die Nachfrage nach fortschrittlichen Biokraftstoffen ist damit quasi garantiert. Paradiesische Zustände für europäische Produzenten, möchte man meinen. Dem ist aber nicht so. Denn die Produzenten von Biokraftstoffen stehen unter erheblichem Druck. Grund sind die stark gestiegenen Importe von fortschrittlichem Biokraftstoff (Biodiesel) aus China. Das so vergrößerte Angebot hat die Marktpreise stark fallen lassen - seit Anfang des Jahres um über 50 Prozent.

Der in der EU ansässige Handelsverband für Biokraftstoffe aus Abfällen, EWABA warnte Anfang Juni, dass dadurch einige europäische Hersteller vor dem Aus stünden. "Die Lage ist so ernst, dass derzeit elf Betriebe unserer Mitglieder die Produktion eingestellt haben und zehn weitere Betriebe deutlich unter ihrer normalen Produktion arbeiten und erwägen, die Produktion kurzfristig einzustellen", hieß es in einem Statement Anfang Juni. Dies entspreche fast der Hälfte aller Produktionsstätten in unserem Netzwerk. Auch Baumann berichtet von seinen Mitgliedern, dass viele Unternehmen in die roten Zahlen geraten seien.

Vor-Ort Kontrollen in China eingeschränkt

Wie aber kann es sein, dass China plötzlich so viel fortschrittliche Kraftstoffe produziert, obwohl das Verfahren aufwendig ist und langwierige Investitionen erfordert? Das Problem ist, "es lässt sich beim fertigen Biodiesel auch im Labor nicht mehr nachweisen, aus welchem Rohstoff er hergestellt worden ist: aus frischem Pflanzenöl, gebrauchtem Fritteusenfett oder stark verunreinigtem Fettabscheiderinhalt. Sie müssen sich auf die Papiere verlassen", erklärt Baumann. Deshalb sei man für die Kontrolle praktisch ausschließlich auf die sogenannte Nachhaltigkeitszertifizierung angewiesen, mit der die Hersteller ihre Produktion, die Herkunft der Rohstoffe und auch die Treibhausgasminderung dokumentieren.

Im Falle von fortschrittlichem Biodiesel müssten Auditoren eigentlich kontrollieren, dass der auf dem Nachhaltigkeitsnachweis genannte Abfallrohstoff tatsächlich eingesammelt und anschließend zu Biodiesel verarbeitet wurde. Diese Zertifizierungen basieren auf Checklisten von privaten Unternehmen, den sogenannten Zertifizierungssystemen . 

Die Zertifizierungsvorgaben der von der EU zugelassenen Systeme würden aber nicht vorschreiben, dass der Auditor prüft, ob eine Anlage überhaupt in der Lage ist, stark verunreinigte Rohstoffe zu verarbeiten. Solche Rohstoffe müssten aufwändig vorbehandelt werden, wozu es besondere Verfahren in der Biodieselanlage brauche, moniert Baumann. Außerdem müssten eigentlich die beauftragten Auditoren von Zeit zu Zeit von Mitarbeitern der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) begleitet und überprüft werden.

Biotechnologieunternehmen Verbio
Auch Verbio Vereinigte BioEnergie AG bekommt die Folgen der China Importe zu spüren. Verbio produziert Bioethanol, Biomethan und Biodiesel.Bild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Und hier liegt ein weiteres Problem. "Diese stichprobenartigen Kontrollen sind in China nicht zulässig, weil der chinesische Staat eine Einreise von ausländischen Behördenvertretern untersagt", beklagt Baumann. Ein Witness Audit, also eine unabhängige Kontrolle durch einen deutschen Beamten findet somit in China nicht statt. So stellen sich Branchenvertreter die Frage: Ist der fortschrittliche Biokraftstoff aus China wirklich aus Abfall- und Reststoffen gemacht?

Verdacht: Biokraftstoff aus Palmöl umdeklariert?

Während Biokraftstoffe aus Abfall- und Reststoffen sehr willkommen sind, fördert Deutschland seit 2023 den günstigeren Biokraftstoff aus Palmöl gar nicht mehr, weil in den führenden Exportländern für Palmöl, Indonesien und Malaysia, für die Plantagen Regenwald abgeholzt wird. Auch in der EU muss Biokraftstoff aus Palmöl bis 2030 vom Markt verschwinden.

Dazu erzählt Baumann vom Verband der Detuschen Biokraftstoffindustrie gegenüber der DW: Ein Geschäftsführer eines großen europäischen Biokraftstoff-Produzenten sei vor drei Monaten nach China gereist, auf eine Insel, wo Schiffe aus Indonesien einlaufen. Dort wäre ihm gesagt worden, hier käme auch Biodiesel aus Palmöl aus Indonesien an. Der würde einfach umdeklariert und dann als teurerer fortschrittlicher Biodiesel nach Europa verkauft werden.

Indonesien Palmöl-Plantage
In Indonesien, einem der größten Palmölproduzenten, muss Regenwald den Plantagen weichenBild: JANUAR/AFP/Getty Images

Erste Schritte eingeleitet

Die Warnungen aus der Branche vor dubiosen China-Importen erreichten bereits im März das Zertifizierungssystem, mit dem der Biokraftstoff aus China zertifiziert wurde. Auch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), die den Handel in Deutschland mit Biokraftstoff reguliert sowie das Umweltministerium und die EU-Kommission sind über den Verdacht informiert worden. Inzwischen hat die BLE bei der Staatsanwaltschaft Bonn einen Antrag auf Strafverfolgung gestellt.

Bisher liege jedoch weder der Bundesregierung noch der Europäischen Kommission eine Bestätigung der Verdachtsfälle vor, heißt es Ende Juni in der Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag zu dem Thema. Allerdings seien durch die BLE Sonderkontrollen bei drei Biodieselanlagen eines Unternehmens veranlasst worden, was bereits zum Entzug des erteilten Zertifikats geführt hätte.

Auch andere Branchen könnten unter mangelnden Kontrollen leiden

Dem Verband der Deutschen Biokraftstoffhersteller genügt das nicht. Er fordert, den Import fortschrittlicher Biokraftstoffe aus China so lange nicht mehr besonders zu fördern, bis China deutsche BLE-Kontrolleure ins Land lasse. "Angesichts der Mängel bei der Zertifizierungspraxis und fehlender unabhängiger Kontrollen in China muss die Bundesregierung kurzfristig die Doppelanrechnung für solche Biokraftstoffe aussetzen", so VDB-Chef Baumann.

Das Thema der problematischen Kontrollen betrifft nicht nur die Biokraftstoffbranche. Verbio-Chef Sauter warnt, dass es künftig immer mehr Produkte geben werde, die umweltfreundlich hergestellt werden sollen, wie Stahl, Aluminium oder Wasserstoff. "Jedes dieser Produkte hat einen fossilen Bruder", so Sauter. Er warnt davor, dass künftig aus China schiffsweise angeblich grüner Wasserstoff nach Europa kommen könnte, der in Wirklichkeit vielleicht aus russischem Gas hergestellt worden sei, aber als grün deklariert werde. Solche grünen Fake-Produkte aus China, würden der hiesigen Industrie aber "das Licht ausblasen" und die Abhängigkeit von China erhöhen, sagt Sauter. 

Die EU-Kommission hat jetzt erst einmal sechs Monate Zeit, um auf die Vorwürfe zu reagieren. "Das geht aus unserer Sicht an der notwendigen Reaktionsgeschwindigkeit vorbei", sagt Verbandschef Baumann. "Während der Tanker Europa ein halbes Jahr lang seinen fehlerhaften Kurs hält, wartet die Industrie händeringend darauf, dass Bundesregierung und EU-Kommission umgehend Gegenmaßnahmen ergreifen, um die eigene Wirtschaft vor dem betrügerischem Wettbewerb zu schützen."

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion