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Technik

Chatbot treibt Betrüger in die Flucht

Anne Höhn
10. Dezember 2018

Chatbot Lenny wimmelt erfolgreich jeden Werbeanrufer ab. Der Bot imitiert einen liebenswerten älteren Mann, der den Anrufer in den Wahnsinn treibt. Kaum jemand merkt, dass dort eine Maschine kommuniziert.

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Älterer Herr bedient ein Smartphone
Bild: picture-alliance/imagebroker/T. Born

Anrufe von Spendeneintreibern, Werbeleuten und Scammern, also Betrügern, die versuchen, einem per Anruf Geld abzuknöpfen, sind nervig und vor allem für ältere Menschen gefährlich. Ein Chatbot namens Lenny schafft es, solche Anrufer in ein nervtötendes Gespräch zu verwickeln, bis sie schließlich aufgeben.

Lenny ist ein liebenswerter älterer Mann - etwas verwirrt vielleicht, aber freundlich, und völlig beratungsresistent. Lenny treibt jeden Werbeanrufer auf Englisch in den Wahnsinn. Und: Lenny ist ein Chatbot. Erfunden wurde er laut der Person, die sich auf der Website Reddit als sein Schöpfer vorstellt, schon 2009 in den USA.

Eigentlich, so der Erfinder, wollte er nur einem Freund helfen, der permanent unerwünschte Werbeanrufe bekam. Über die vergangenen Jahre hat sich Lenny zu einer Kultfigur entwickelt. Ziel war es, den Anrufer "so sehr wie möglich zu frustrieren".

Dazu spielt Lenny 16 Sätze mit australischem Akzent ab, die alle auf die Struktur eines Werbegesprächs abgestimmt sind. Im Grunde genommen ist Lenny ein interaktiver Anrufbeantworter. Der Bot wartet anderthalb Sekunden nach der Aussage des Anrufers, bis er die nächste Nachricht abspielt. So entsteht der Eindruck eines echten Gesprächs.

Seit Lenny 2011 veröffentlicht wurde, erfreut er sich großer Beliebtheit. Zahlreiche Mitschnitte von treuen Fans belegen seine Effektivität: Manche der Anrufer bleiben fast eine Stunde am Telefon, während sie versuchen, dem vermeintlichen alten Mann alles Mögliche zu verkaufen. 

Gerade ältere Menschen werden Opfer von solchen Anrufen. Unerwünschte Werbeanrufe ohne vorherige Einwilligung sind in Deutschland eigentlich verboten. Die Anrufer behaupten häufig, der Angerufene habe seine Einwilligung zu einem früheren Zeitpunkt gegeben – zum Beispiel durch die Teilnahme an einem Gewinnspiel. Tatsächlich stammen die Telefonnummern oft aus gestohlenen Datensätzen, die online kursieren.

Lenny ist simpel, aber effektiv

Die französische Sicherheitsforscherin Merve Sahin und ihre Kollegen Marc Relieu und Aurélien Francillon haben im vergangenen Jahr zu Lenny geforscht. Das Team analysierte 200 der auf YouTube hochgeladenen Mitschnitte von Gesprächen mit dem Chatbot und stellte fest, dass diese durchschnittlich knapp zehn Minuten lang sind. Drei Viertel der Anrufe sind nur wenige Minuten lang. In nur elf von 200 Fällen merkten die Anrufer, dass sie mit einer Maschine sprachen. Fünf dachten, dass etwas mit Lenny nicht stimmt und sieben gingen davon aus, dass er Alzheimer habe oder dement sei. Vier fragten, ob er ihnen einen Streich spiele. Einige verabschiedeten sich dennoch höflich oder erfanden einen Vorwand, warum sie nun auflegen müssten. 

Die Sätze von Lenny funktionieren erstaunlich gut, denn sie sind klug gebaut. Sie sind recht offen und deshalb für verschiedene Werbeanrufe geeignet, die ihrerseits alle einem ähnlichen Schema folgen. 

Zuerst erfolgt eine Begrüßung, dann eine Vorstellung der Person und des Business, eine sogenannte "warming up" Frage, die eine freundliche Atmosphäre schaffen soll, der Grund des Anrufes und der Angerufene wird identifiziert. 

Der Anrufer will sicher gehen, dass der Angerufene der Entscheidungsträger im Haushalt ist oder ein bestimmtes Interesse an einem Angebot hat. 

Bei betrügerischen Anrufen macht der Anrufer ein scheinbar unverfängliches Angebot und lässt sich am Ende, wenn er erfolgreich ist, Kreditkartendaten geben oder bringt den Angerufenen dazu, einen Geldbetrag zu spenden oder einem Kauf zuzustimmen. Lenny reagiert auf diese Struktur, indem er erst einmal eine grundsätzliche Bereitschaft für das Gespräch signalisiert. Seine vermeintliche Verwirrtheit suggeriert dem Anrufer, leichte Beute machen zu können. 

Immer schön freundlich bleiben 

Im Schnitt tätigt der Chatbot 27 Aussagen, bevor die Anrufer aufgeben. Das zeigt, schreibt Sahin, dass Lenny ein erfolgreicher Chatbot ist. 

Einige Anruf-Betrüger unterbrachen Lenny auf aggressive Weise, indem sie "Bitte hören Sie mir zu" oder "hören Sie auf damit!" riefen. Manche klatschten sogar in die Hände.

Die höflichsten Anrufer kamen von politischen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen, die unhöflichsten und aggressivsten von Scammern. 89 Prozent legten einfach auf und 10 Prozent benutzten Schimpfworte. Die Werbeanrufer waren ebenfalls eher höflich. 

Sahin und Kollegen kommen in ihrer Studie zu dem Schluss, dass Chatbots wie Lenny dazu beitragen können, "scam calls" für die Anrufer weniger profitabel zu machen, denn in der Zeit, in der Lenny die Leute zuquatscht, können sie niemanden anderen anrufen.

Dass das jetzt die Lösung gegen Scam- und Werbeanrufe ist, ist unwahrscheinlich, denn Werbeunternehmer können ihre Taktik ebenfalls anpassen und auf Bots setzen, oder ein System, die Bots zu identifizieren. Bis dahin bleiben hunderte Mitschnitte unterhaltsamer Konversationen.