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Chaos und Calcio

Oliver Samson26. August 2002

Jahrzehntelang galt die italienische Serie A als das "Lire-Paradies". Doch die Zeiten der finanziellen und sportlichen Hegemonie in Europa sind für den italienischen Fußball vorbei: Es droht der unmittelbare Kollaps.

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Libysche Tifosi fiebern dem italienischen Supercupfinale entgegenBild: AP
Es ist längst keine Geheimnis mehr, dass die fetten Jahre des europäischen Fußballs vorbei sind. Verglichen mit Italien erscheinen die Probleme der Bundesliga mit der Kirch-Krise aber überschaubar. Größenwahn, Misswirtschaft, und Prasserei fordern ihren Tribut: Dem AC Florenz, der stets von der eigenen Grandezza überzeugten "Fiorentina", wurde die Spielberechtigung nicht nur für die erste, sondern auch für die zweite und dritte Liga entzogen. Lazio Rom entging nur knapp dem Konkurs. Ein Vorsitzender der Lega Calcio, einem Zusammenschluss der Clubs der Serie A und B, wurde nach einer sechsmonatigen Farce erst im 15. Wahlgang gefunden. Das Transfervolumen ist verglichen mit einem Stichtag vor einem Jahr auf weniger als 10 Prozent eingebrochen. Die Profivereine haben einen Schuldenberg von über zwei Milliarden Euro angehäuft und das italienische Pokalfinale wird jetzt sogar in Libyen ausgetragen.

Aufstand der Kleinen

In der vorigen Woche wurde nach einer tumultartig verlaufenen Sitzung der Vereine nun auch noch der Start der Saison verschoben - zum ersten mal seit dem Zweiten Weltkrieg. Es geht dabei um die TV-Einnahmen der Vereine. Der staatliche Sender RAI ist nur noch bereit die Hälfte der bisher 90 Millionen Euro für die Free-TV-Rechte zu bezahlen. Der eigentliche Grund für die Verschiebung der Saison liegt aber im System des Bezahlfernsehens. Grob gesagt rechnen die Pay-TV Anbieter Tele+ und Stream einzeln mit den Clubs ab.

Gaddafi jr.
Mitglied im Aufsichtsrat von Juventus: Gaddafi jr.Bild: AP

Der Spardruck der Sender sollte nun auf die kleinen Vereine abgewälzt werden, aber die probten erfolgreich den Aufstand. Sie verlangen das Doppelte der bisher im Raum stehenden fünf Millionen Euro und drückten die Verschiebung der Saison um 14 Tage durch. "Ohne uns keine Serie A", sagte Luca Campedelli, der Präsident von Oliver Bierhoffs neuem Club Chievo Verona. Nun soll nachverhandelt werden.

Geld haben alle Clubs der Serie A bitter nötig. In der letzten Spielzeit flossen noch satte 546 Millionen Euro an Fernsehgeldern an die Clubs, aber schon die Ausgaben für die Spielergehälter schlugen mit 890 Millionen zu Buche. Wie es nun mit deutlich weniger Einnahmen weitergehen soll, weiß so recht niemand. Ivan Ruggeri, Präsident von Atalanta Bergamo, orakelt, "dass im Herbst fünf, sechs oder mehr Clubs zahlungsunfähig sind. Und ich frage mich, was dann passiert." Nur einige wenige Mannschaften können einigermaßen zuversichtlich in die Zukunft schauen: Juventus Turin mit der Fiat-Familie Agnelli im Hintergrund, AS Rom mit seinem milliardenschweren Präsidenten Franco Sensi, Inter Mailands Präsident Moratti wird seiner bisher verschleuderten halben Milliarde Euro noch einiges folgen lassen und dass Staats- und Vereinspräsident Silvio Berlusconi seinen AC Milan fallen lässt scheint undenkbar.

Gewinner Gaddafi

Der italienische Fußball scheint noch mehr als bisher zum Spielball der starken Männer zu werden. Einige Zeitungen vermuten, dass Rupert Murdoch und Silvio Berlusconi als die großen Gewinner der Krise hervorgehen könnten, indem sie sich zu guter Letzt die Medienmacht über den italienischen Fußball aufteilen. Ein anderer Gewinner steht jetzt schon fest: der libysche Diktator Muammar el Gaddafi. Er kaufte sich als zweitgrößter Aktionär bei Juventus Turin ein und möchte seinen Anteil noch erhöhen. Gleichzeitig verhandelt er über die Übernahme des Zweitligisten Triestina und das in Tripolis stattfindende Pokalfinale stellt einen weiteren Schritt aus der internationalen Isolation heraus dar. Anstößig findet dies in Italien niemand – schließlich verfügt der Gaddafi-Clan über reichlich Geld.