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Bunte Götter - Die Farben der Antike

Petra Lambeck
2. Februar 2020

Die Statuen der Römer und Griechen waren bunt - und das ist schon lange bekannt. Im 20. Jahrhundert wurde dieses Wissen weitgehend verdrängt. Es passte schlichtweg nicht zu der Vorstellung der "edlen" Antike.

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Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt am Main | Ausstellung Bunte Götter
Bild: Liebieghaus Skulpturensammlung/Norbert Miguletz

Eigentlich sind sie eine Erfindung, die farblosen Statuen der Antike. Man kann sie heutzutage in Museen bewundern - in dem Sinne sind sie real. Aber dass sie so weiß sind, liegt nicht daran, dass sie mit Hinblick auf ein antikes Ideal von Reinheit und Abstraktion geschaffen wurden. Die Farbe ist im Laufe der Jahrhunderte schlichtweg verschwunden. 

"Dieses sonderbare Konzept der farblosen Skulpturen stammt aus der Renaissance", formuliert es der Archäologe Vinzenz Brinkmann. "In Rom gab es damals eine erhöhte Bautätigkeit, eine Skulptur nach der anderen wurde gefunden. Und die hatten eben keine Farben mehr." Man wusste es also zunächst nicht besser. Zugleich aber passte diese Schlichtheit gut in die Zeit. "Es ist eine Phase, in der man versucht, das griechische Ideal wiederzubeleben, um sich mit einem freien Denken gegen kirchliches Dogma zu positionieren", sagt Brinkmann. "Die farblosen Skulpturen wurden sozusagen als visuelles Merkmal für die Aufklärung genutzt."

Das funktionierte ganz gut, da die Figuren durch das Fehlen der Farbe ihre naturalistischen Elemente und damit ihre Sinnlichkeit und Nähe verloren. "Sie wurden sozusagen auf eine höhere Ebene überführt", so Brinkmann. Daran konnten auch Funde wie die Laokoon-Gruppe 1503 nichts ändern, die tatsächlich Farbspuren aufwies. "Man hat schon gezielt daran vorbeigeguckt. Häufig hieß es dann auch: Das sind spätere Zutaten von Barbaren, die an den Statuen herumgepinselt haben." 

Die Laokoon-Gruppe (Foto: Imago)
Heute im Vatikan zu bewundern: die Laokoon-Gruppe (entdeckt 1503) Bild: Imago

Neue Erkenntnisse im 18. Jahrhundert 

Diese Sicht auf die antiken Statuen wird dann im 18. Jahrhundert mit den Ausgrabungen von Pompeji widerlegt. Die Funde, die man damals machte, wiesen zahlreiche, nicht mehr zu leugnende Farbreste auf. Pompeji wurde im Jahr 79 nach Christus durch einen Vulkanausbruch zerstört. Die Lava, die sich über die Stadt ergossen hatte, schützte die Funde über Jahrhunderte hinweg vor der Witterung. So blieb die Farbe erhalten. "Das war die erste große Irritation", so Brinkmann.

Im 19. Jahrhundert dann folgen die großen Ausgrabungen auf der Akropolis in Griechenland. "Da wurden die Skulpturen gefunden, die die Perser bei ihrem Sturm auf die Akropolis 480 vor Christus zerstört hatten", erzählt der Archäologe Brinkmann. "Als die Athener in die Stadt zurückkehrten, richteten sie diese umgeworfenen Skulpturen nicht wieder auf, sondern setzten sie in der Erde des Heiligtums bei. Und diese Erde schützt. Und als 1886/87 die Archäologen diese Erde wieder öffneten - nach zweieinhalbtausend Jahren - waren die Farben zum Teil frisch und blendend schön." Ende des 19. Jahrhunderts also war klar: Die Antike war nicht weiß, sondern bunt.

Stadtansicht Athen mit Akropolis
Die Akropolis in Athen - heute ein beliebtes TouristenzielBild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Erneute Wende im 20. Jahrhundert 

Mit dem Faschismus im 20. Jahrhundert wendete sich das Blatt wieder. Die bunte Antike passte nicht zur Diktatur-Ästhetik eines Mussolini, Franco, Hitler oder Stalin. Sie sei schlichtweg zu sinnlich gewesen, meint Vinzenz Brinkmann. "Man muss bedenken, wie stark der Verlust der Farbe die Sinnlichkeit nimmt. Das, was an der antiken Statue sexy ist, wird abstrakt durch den Verlust der Farbe."

Vinzenz Brinkmann steht zwischen einer Bronzestatue und einer farbigen Marmorstatue in der Ausstellung "Bunte Götter" im Liebieghaus (Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung/Norbert Miguletz)
Mittendrin: Archäologe Vinzenz Brinkmann Bild: Liebieghaus Skulpturensammlung/Norbert Miguletz

Anschaulich wird dieser Effekt anhand der Rekonstruktion des sogenannten "Treu-Kopfes" (siehe Artikelbild), die derzeit im Frankfurter Liebieghaus im Rahmen der Ausstellung "Bunte Götter - Golden Edition" zu sehen ist. Dieser römische Marmorkopf weckte Endes des 19. Jahrhunderts das Interesse des Dresdner Archäologen Georg Treu. Er war der Direktor der Dresdner Skulpturensammlung und forschte zum Thema Farbigkeit in der Antike (Polychromie). Für ihn war der Marmorkopf der Beweis dafür, dass die antiken Skulpturen auch eine Hautfarbe hatten. Im 20. Jahrhundert aber wollte man davon nichts wissen. Der Kopf wurde kurzerhand als Fälschung deklariert und verschwand im Keller des Britischen Museums. "Man hat also einfach die Faktenlage verdreht, um sich ein Bild nicht machen zu müssen, das man sich nicht machen möchte", so die Einschätzung Brinkmanns. 
Polychromie-Forschung seit den 1980er Jahren 

Vinzenz Brinkmann beschäfigt sich seit 40 Jahren mit dem Thema Polychromie, also der Farbigkeit der antiken Skulpturen. Er war noch im Studium, erzählt er, als einer seiner Professoren ihn dazu anregte, sich bei einem Aufenthalt in Athen mal um die "unfertigen Oberflächen" zu kümmern. "Ich habe mir dann eine Lampe gebastelt und habe angefangen, mir die Oberflächen mit UV- und Streiflicht anzugucken und innerhalb von Tagen war klar: Das ist eine totale Leerstelle in der Forschung. Da ist Jahrzehnte nichts gemacht worden." Innerhalb von wenigen Jahren etablierte sich ein großes Forschungsprojekt, das sich - mit Hilfe verschiedenster Techniken - darum kümmert, die Oberflächen antiker Skulpturen zu untersuchen, um herauszufinden, wie sie einst im Originalzustand ausgesehen haben könnten. Ergebnisse davon sind noch bis August in der Frankfurter Ausstellung zu sehen. 

Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann ist studierter Archäologe und Leiter der Abteilungen Antike und Asien der Liebieghaus Skulpturensammlung. In der Ausstellung "Bunte Götter - Goldene Edition" sind bis zum 30. August 2020 mehr als 100 Objekte zu sehen, darunter 60 Rekonstruktionen. Die Ausstellung ist eine Fortsetzung der Münchner Ausstellung "Bunte Götter" aus dem Jahr 2003, die in 30 Städten weltweit zu sehen war. Auch die jetzige Schau soll auf Reisen gehen, unter anderem nach Neapel, New York und Sydney.