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Haushalt in unsicheren Zeiten

Sabine Kinkartz, Berlin6. September 2016

Deutschland streitet über Merkels Flüchtlingspolitik. Die rechtspopulistische AfD ist auf dem Vormarsch. Davon bleibt auch ein Ritual wie die Haushaltsdebatte im Bundestag nicht unberührt.

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bei seiner Rede im Bundestag (Foto: Reuters/S. Loos)
Bild: Reuters/S. Loos

Der erste Tag der alljährlich zweimal stattfindenden Haushaltsdebatte ist eigentlich etwas für Experten. Der zuständige Finanzminister, seit 2009 ist das Wolfgang Schäuble, stellt dem Parlament den Bundeshaushalt vor. Er bringt ihn ein, so nennt man das. Anschließend streiten sich die Haushalts- und Finanzexperten der Fraktionen ein paar Stunden lang über das Werk im Allgemeinen. Die Regierung lobt ihren Entwurf, innerhalb einer Koalition werden verschiedene Schwerpunkte herausgestellt. Die Oppositionsparteien kritisieren den Haushalt. Routine, so läuft das.

In diesem September ist es anders. Am Sonntag ist in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt worden. Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat aus dem Stand 21 Prozent der Stimmen gewonnen und die CDU auf Platz drei verwiesen. Es ist der neunte Landtag, in den die Rechtspopulisten einziehen. Und es ist ein weiterer politischer Schock, den die etablierten Parteien auf Bundesebene verdauen müssen. Vor allem die CDU.

Beistand für die Kanzlerin

Angela Merkel hatte den Wahlausgang am Montag aus China kommentiert. Normalerweise äußert sich ein Regierungschef im Ausland nicht zur Innenpolitik. Daran sieht man, wie ernst die Lage für die CDU-Vorsitzende Merkel ist. Der Streit über ihre Flüchtlingspolitik hat den Wahlkampf überlagert. Sie fühlt sich verantwortlich, will an ihrer Politik aber nichts ändern. Doch genau das fordert die Schwesterpartei der CDU, die bayerische CSU, ganz offen und unverhohlen. Kanzlerdämmerung?

Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Regierungsbank im Bundestag (Foto: picture-alliance/dpa/M.Kappeler)
Angeschlagene Kanzlerin auf der RegierungsbankBild: picture-alliance/dpa/M.Kappeler

In dieser Situation springt Wolfgang Schäuble seiner Parteifreundin Angela Merkel, die in der Nacht aus China zurückgekehrt ist und jetzt im Parlament auf der Regierungsbank sitzt, zur Seite. Statt - wie in Haushaltsdebatten üblich - sofort auf den Etat einzusteigen und mit Zahlen und Fakten zu jonglieren, beginnt der Finanzminister mit einer Rede zur Lage der Nation. Ein Versuch, die Wogen zu glätten? "Wir leben in widersprüchlichen Zeiten", sagt der 73-jährige CDU-Politiker. Er zeichnet das Bild einer Gesellschaft, der es wirtschaftlich so gut geht wie nie zuvor. Die im Wohlstand lebt und trotzdem Angst vor der Zukunft hat. "Die Menschen fragen sich, ob es uns auch weiter gut gehen wird und das ist eine berechtigte Frage", sagt Schäuble.

Zeit für Demagogen

In allen Bereichen der Gesellschaft verändere sich vieles ungeheuer schnell. Schäuble spricht vom "Innovationsschwungrad globalisierter Märkte", von der Digitalisierung, die manchen überfordere. "Es stürmt vieles von außen auf uns ein: Bedrohliches, Bedrückendes, Beunruhigendes, in der Fülle oft schwer zu sortieren." Dann die Angriffe und Attentate dieses Sommers. Konflikte, Krisen, Kriege um Europa herum. Der Horror in Syrien und Aleppo. Der schwelende Konflikt in der Ukraine und immer wieder ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer. Dazu komme die Sorge, "wie unsere Gesellschaft sich verändert, durch die Flüchtlinge, durch Zuwanderung, durch zunehmende Ängste vor Terror und Unsicherheit".

In dieser Situation gebe es auch in Deutschland zunehmend "Rufe nach dem starken Mann". Die Sehnsucht nach markigen und einfachen Antworten werde stärker. "Zeit für Demagogen", konstatiert Schäuble. Dagegen müsse sich demokratische Politik wehren, "um die Art und Weise, wie wir leben, um unsere freiheitliche Gesellschaft, unseren Wohlstand dauerhaft bewahren zu können".

19 Milliarden Euro für Flüchtlinge

"Wir", sagt Schäuble, und wendet sich damit nicht nur an die eigene Partei, "müssen jetzt beweisen, dass die Integration der vielen Flüchtlinge gelingen kann, und wir müssen beweisen, dass die möglichen Sicherheitsrisiken, die mit diesem Zustrom an Menschen auch verbunden sind, dass wir sie erkennen und dass wir sie unter Kontrolle halten." Darüber hinaus gehe es aber um noch mehr. "Es hilft alles nichts, unser Land verändert sich." Deutschland müsse bereit sein, Änderungen als Chance zu begreifen. "Es geht um Veränderung, nicht um Selbstaufgabe."

Wolfgang Schäuble hat in bedächtigem Ton gesprochen. Genauso ruhig und abgeklärt schlägt er nun den Bogen zum Bundeshaushalt. "In diesem Umfeld von Unsicherheiten, Ängsten und berechtigten Sorgen steht unsere Finanz- und Haushaltspolitik." 327,8 Milliarden Euro sollen dem Bund im kommenden Jahr zur Verfügung stehen. 19 Milliarden Euro davon sind für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und für die Bekämpfung von Fluchtursachen vorgesehen. Bis zum Jahr 2020 hat Schäuble über 77 Milliarden Euro für diese Aufgaben eingeplant. "Es wäre fahrlässig anzunehmen, die Herausforderung durch weltweite Migration für Europa und Deutschland klinge bald wieder ab", begründet der Minister seine Pläne.

Schwarze Null nur noch Randthema

Deswegen wird auch der Etat für Entwicklungspolitik weiter ausgebaut. 2017 sollen es rund acht Milliarden Euro sein. Ohne Mithilfe würden sich die Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens sowie Afrikas, Syrien, Irak, Libyen und Subsahara-Afrika nicht stabilisieren und wirtschaftlich entwickeln können. Europa und somit auch Deutschland trage Verantwortung im ureigenen Interesse. "Solange sich die Lebensbedingungen in diesen Regionen nicht verbessern, werden sich Menschen auf die Flucht vor Krieg, Gewalt, Hunger und Armut auf den Weg nach Europa machen."

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit Auszubildenden aus Syrien (Foto: Getty Images/AFP/C. Stache)
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit syrischen Flüchtlingen. Auch die Bundeswehr bildet ausBild: Getty Images/AFP/C. Stache

Die Tatsache, dass der Bundeshaushalt im vierten Jahr in Folge ohne neue Schulden auskommen soll, erwähnt Wolfgang Schäuble nur am Rande. Vielleicht auch deswegen, weil ihm die Opposition immer wieder vorrechnet, dass das nicht sein Verdienst, sondern vor allem Folge der europäischen Niedrigzinspolitik und der guten Konjunkturlage sei. Tatsächlich hat der Bund seit 2008 fast 100 Milliarden Euro Zinszahlungen eingespart. Die Steuereinnahmen sprudeln. Im kommenden Jahr sollen sich die Arbeitnehmer daher über leichte Steuersenkungen freuen dürfen. Grundfreibetrag, Kindergeld, Kinderfreibetrag sowie der Steuertarif würden angepasst. Für die Zeit nach der Bundestagswahl im September nächsten Jahres stellt der Finanzminister sogar Steuersenkungen von jährlich bis zu 15 Milliarden Euro in Aussicht.