Streik statt Vorlesung
22. Februar 2018Es geht für jeden einzelnen um viel Geld, immerhin um mehr als 900 Euro pro Monat im Alter. Hunderte Professoren und Dozenten an zahlreichen Universitäten in Großbritannien haben dafür ihre Arbeit niedergelegt. Bis Freitag soll das mindestens so bleiben, denn sie wollen ihre Rente sichern. Sie fürchten im Alter Einbußen von jährlich bis zu 10.000 Pfund (umgerechnet rund 11.300 Euro). Vom Streik sind laut der Hochschulgewerkschaft UCU (University and College Union) bis zu einer Million Studierende betroffen, unter anderem an den rennomierten Universitäten Oxford und Cambridge. Mindestens 63 Universitäten und Colleges beteiligen sich an der Aktion, die damit laut Gewerkschaftsangaben der größte Akademikerstreik in der Geschichte Großbritanniens ist.
Der Arbeitgeberverband Universities UK (UUK) möchte mit den Rentenbeiträgen an die Börse gehen. Diese Spekulation mit ihrer Altersvorsorge wollen die Akademiker aber nicht hinnehmen. Sollte keine Einigung zustande kommen, droht die Gewerkschaft den Streik auf bis zu 14 Tage auszuweiten. Weitere Ausstände seien im April, Mai und Juni ebenfalls denkbar.
Verständnis und Ärger
Viele Studierende haben Verständnis für die Sorgen ihrer Dozenten, demonstrieren sogar mit ihnen. Aber einige befürchten auch Nachteile für ihre Ausbildung. "Natürlich will ich, dass meine Professoren eine faire Rente bekommen", sagt die Berlinerin Merve Kania, die in London Politik an der SOAS University studiert.
"Aber ich finde es nicht in Ordnung, wenn das auf dem Rücken der Studenten ausgetragen wird", so die Studentin. Denn die Zeit an der Universität in Großbritannien ist teuer: Kania finanziert ihr Studium durch Stipendien, doch viele andere müssen es aus eigener Tasche bezahlen. 9000 bis 11.000 Pfund müssen britische und EU-Studierende für einen einjährigen Master berappen, für Nicht-EU-Ausländer kostet er sogar mindestens 18.000 Pfund. Einige Studierende fordern wegen des Streiks nun Teile ihrer Studiengebühren zurück - immerhin wurden Klausurtermine bereits verschoben, genauso wie Abgabefristen für Hausarbeiten. Auch E-Mails wollen die Professoren und Dozenten während des Streiks nicht beantworten.
Arbeitgeberverband und Gewerkschaft konnten sich in monatelangen Verhandlungen bisher nicht auf einen Rentenentwurf einigen. "Bis vor ein paar Jahren konnte ein Uni-Lehrender noch sehr sicher abschätzen, wie viel Rente er bekommt", erklärt Tom Armstrong, Präsident der Gewerkschaftsvertretung an der SOAS University of London. "Vor einigen Jahren wurde das System dann insofern verändert, dass bis zu einem Jahresgehalt von 55.500 Pfund normal eingezahlt wird und darüber hinaus unsere Rentenbeiträge an der Börse gehandelt werden." Der Arbeitgeberverband UUK will im neuen Entwurf die Einkommensgrenze nun komplett auflösen und alle Rentenbeiträge der Lehrenden in Fonds und Anteilen an der Börse handeln.
Rentensystem in der Krise
Laut Arbeitgeberverband befindet sich das derzeitige System in einer Krise und weist ein Finanzierungsdefizit von 7,5 Milliarden Pfund auf. "Die meisten Universitäten können es sich nicht mehr leisten, mehr für Renten auszugeben, ohne in anderen Bereichen wie der Lehre oder der Forschung zu sparen", sagt der UUK-Vorsitzende Alistair Jarvis. Dies solle mit der Reform ausgeglichen werden, um "nachhaltige und attraktive Renten für ihre Mitglieder zu gewährleisten". Die Gewerkschaft argumentiert, dass der Unisektor durch die fortschreitende Privatisierung boome. Die Altersvorsorge dürfe nicht "an der Börse verwettet werden".
Zusätzlich zum Streik will die Gewerkschaft am 28. Februar vor dem Parlament in London demonstrieren. Falls keine dieser Maßnahmen den Arbeitnehmerverband UUK zum Umdenken bringe, könnte die nächste Stufe des Arbeitskampfes auch ein Benotungsboykott sein, sagt Armstrong. Damit wären landesweit die Abschlüsse Tausender Studenten gefährdet.
jwa/qu (dpa)