Essen oder heizen?
23. Dezember 2013Im vergangenen Winter gab es in Großbritannien etwa 31.000 Kälte-Tote, viele davon ältere Menschen, die in schlecht gedämmten Häusern lebten, und von exorbitanten Gas- und Strompreisen überrascht wurden.
In den vergangenen 10 Jahren sind die Gas- und Strompreise im Land um 150 Prozent gestiegen. Immer mehr Menschen sehen sich vor die Wahl gestellt, entweder Lebensmittel einzukaufen, oder die Heizung laufen zu lassen.
Explodierende Energiekosten
"Lieber verhungere ich als zu erfrieren, wenn es so weit kommt", meint Cath Dixon im Gespräch mit der DW. Bisher habe sie aber noch Glück gehabt. Die 76-Jährige lebt in einer schlecht isolierten und daher heiz-intensiven Wohnung in Longsight, einem der ärmsten Stadtteile von Manchester.
"Die Heizung läuft den ganzen Tag", erklärt die alte Dame. Sie habe schlimme Arthritis, und könne Kälte überhaupt nicht vertragen, habe also gar keine andere Wahl. Aber bei Energiepreisen, die siebenmal schneller wachsen als das Durchschnittseinkommen, spüren Menschen wie Cath Dixon die Belastung deutlich. "Wenn die Kosten so weiter steigen, wird es sehr schwer für uns", fürchtet Dixon.
Mit Schal und Mütze im Haus
Britische Energiekosten sind im Prinzip nicht höher als der EU-Durchschnitt, aber eins von fünf Häusern ist ein Ziegelbau aus dem frühen 20. Jahrhundert. Diese Häuser speichern nur ungenügend Wärme. Wer in solch einem Haus lebt, bemerkt jeden kleinen Anstieg der Energiekosten sofort am eigenen Haushaltsbudget. Der letzte Preisanstieg erfolgte im November: Fast alle sechs großen britischen Energieversorger erhöhten ihre Preise um neun Prozent. Damit stieg die Gas- und Stromrechnung einer Durchschnittsfamilie auf die Rekordsumme von 1573 Euro im Jahr.
Laut einer Umfrage versuchen nun ein Drittel aller britischen Haushalte Energie zu sparen; Mehr als eine von fünf Familien drosselt die Heizung und hält sich im Haus mit Schals und Mützen warm. Fast jeder vierte der 2000 Befragten sagte er oder sie würde Lebensmittel rationieren müssen, um die Energiekosten überhaupt zahlen zu können. Und für jeden 10. stand fest: Weihnachtsgeschenke für die Familie sind in diesem Jahr nicht drin.
Das sei sehr hart, meint Joe Malinowski, Mitarbeiter von theenergyshop.com, einer Website die Menschen bei der Wahl des günstigsten Energieanbieters berät. Der Markt werde mehr oder weniger von sechs großen Anbietern kontrolliert, erklärt Malinowski. "Die preislichen Unterschiede sind gering, und die Rechnungen steigen seit Jahren. Viele Leute leiden darunter." Mehr Menschen als je zuvor in Großbritannien sind nun aufgrund der Energiekosten bedürftig. Sie zahlen mehr als 10 Prozent ihres Einkommens für Strom und Gas, damit es "halbwegs warm bleibt".
Rekord-Profite für Energieunternehmen
Die Gewinne der sechs britischen Energieriesen, die 98 Prozent des nationalen Energiebedarfs abdecken, stiegen derweil 2012 um satte 75 Prozent. Man brauche, so argumentierten die Anbieter, gesunde Profitmargen, um weiter in die Infrastruktur investieren zu können, denn vieles sei veraltet und teuer im Unterhalt.
Für ärmere Kunden wie Cath Dixon in Manchester ist das schwer nachzuvollziehen. "Wenn man sieht, welche Gewinne die machen, und wie schwer es ältere Menschen haben - das ist doch eine Schande", meint die Seniorin. "Da sollte sich die Regierung einmischen und sagen 'jetzt reicht's'."
Die Opposition hat bereits Kapital aus der Situation geschlagen. Die Labour Party hat versprochen, Energiepreise für zwei Jahre einzufrieren, wenn sie die nächste Wahl gewinnt, die bis 2015 stattgefunden haben muss.
Die Koalitionsregierung von Premierminister David Cameron steht auf dem Standpunkt, sie könne sich in den offenen, internationalen Energiemarkt nicht einmischen und Preise regulieren. Das Versprechen der Opposition würde nur dazu führen, so Cameron, dass die Energiekonzerne am Ende eines Preiserhöhungsstopps die Preise umso höher schraubten.
Geringe Energieeffizienz
In dieser aufgeheizten Diskussion versprach Cameron Anfang Dezember Preissenkungen, indem etliche Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, inklusive einer konkreten Verpflichtung für Energiekonzerne (ECO), gestoppt werden. ECO verpflichtete bisher die Energiekonzerne, ärmeren Menschen bei der Dämmung ihrer alten, zugigen Häuser zu helfen. Das Problem dabei war, dass die Kosten an andere Kunden weitergereicht wurden, meint Joe Malinowski.
Es handele sich um Regierungsprogramme, die mit den Energiekonzernen ausgehandelt wurden und von eben diesen Firmen auch ausgeführt werden. "Einer der Hauptgründe für den Preisanstieg in diesem Jahr ist nicht der steigende Gas- und Strompreis - es sind soziale Kosten und Umweltkosten, die einfach umgelegt werden", erklärt der Experte.
"Ironischerweise sind es die Sozial- und Umweltprogramme, die für alle die Kosten höher treiben."
Kostentreiber Sozialprogramme
Wer in Großbritannien älter als 60 ist, hat ein Anrecht auf staatliche Zuschüsse zur Stromrechnung. Für viele reicht selbst das nicht mehr, denn nicht nur die Energiekosten explodieren, auch andere Lebenshaltungskosten, zum Beispiel Lebensmittel, sind teurer geworden.
Energiekosten werden wohl auch in naher Zukunft ein empfindliches politisches Thema bleiben, sowie eine echte Herausforderung für Tausende von Briten: Die Meteorologen sagen einen kalten Winter voraus.