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Braml: Gegenseitige Abhängigkeit und Misstrauen

Esther Felden9. November 2012

Der außenpolitische Fokus der USA liegt auf Asien. Daran wird sich auch in Obamas zweiter Amtszeit nichts ändern. Warum das so ist, erklärt Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

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Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Copyright: privat
Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.Bild: privat

Deutsche Welle: "Wir sind gekommen, um zu bleiben" – das hat US-Präsident Obama vor ziemlich genau einem Jahr während einer Reise nach Australien gesagt und damit eine klare Botschaft formuliert: Künftig ist der asiatische Pazifik-Raum für die USA oberste Priorität. Daran wird sich wohl auch in der zweiten Amtszeit nichts ändern. Wo liegen Schwerpunkte der US-amerikanischen Asien-Pazifik-Politik?

Josef Braml: Außenministerin Hillary Clinton hat noch vor Obama ausgesprochen: "Wir sind zurück". Ich habe einmal Henry Kissinger gefragt, was er von dieser Aussage hält, und er meinte, er hätte nicht gewusst, dass die USA je weg gewesen seien. Was ich damit sagen will ist, dass die USA in der Region seit Jahrzehnten massiv Truppen stationiert haben – vor allem in Japan und Südkorea. Das darf man nicht vergessen. Es geht hier auch darum, die Wirtschaftsmacht China einzudämmen. Man wähnt China als militärischen Rivalen und auch als Rivalen, wenn es darum geht, Energieressourcen zu sichern. Gleichzeitig sind die USA von China aber auch massiv abhängig. Chinas Finanzhilfen haben nach Ausbruch der Finanzkrisekrise geholfen, die USA vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren. Chinas Geldsegen während der vergangenen Jahre hat auf der anderen Seite aber auch dazu beigetragen, dass die Blase überhaupt entstanden ist.

Die Amerikaner haben über ihre Verhältnisse gelebt und konnten das tun, weil nicht nur die US-Notenbank viel Geld in die Wirtschaft hineingepumpt hat, sondern weil auch die Asiaten ihre Währungsreserven in den Dollar gegeben haben. Indem sie in Amerika investiert haben, haben sie die eigene Währung billiger und den Dollar stärker gemacht, damit die Amerikaner dann mit dem geliehenen Geld aus China chinesische Produkte kaufen konnten. Diese Symbiose hat eine Zeitlang funktioniert, hat aber auch die Immobilienblase genährt. Nachdem die Blase geplatzt ist, muss Amerika sich jetzt ein neues Wirtschaftsmodell suchen, und die Asiaten müssen sich überlegen, ob die Anlagen, die sie nach wie vor im Dollar haben, noch sicher sind. Das sind die zentralen Punkte. Man traut sich in der Sicherheitspolitik nicht über den Weg, und man ist gegenseitig abhängig in der Finanz- und Handelspolitik und will sich auf beiden Seiten von dieser Abhängigkeit lösen. Das geht aber nur schrittweise, und man muss aufpassen, dass das Ganze nicht größere Verwerfungen verursacht.

Sie haben die massive amerikanische Truppenpräsenz in Asien angesprochen - fast 80.000 Soldaten sind in Japan, Südkorea und jetzt auch in Australien stationiert – und auch die Abhängigkeiten zwischen den USA und China. Kann man vor diesem Hintergrund überhaupt sagen, ob es von Seiten der USA künftig mehr um wirtschaftliche Interessen gehen wird oder mehr um die Rolle als Schutzpolizist für verbündete Länder und ein Gegengewicht zum übermächtigen China?

Man darf das nicht getrennt sehen. Man kann amerikanische Handelspolitik nicht verstehen, wenn man nicht auch den militärischen Aspekt berücksichtigt und umgekehrt. Die Militärausgaben müssen ja auch finanziert werden. Die militärische Kraft Amerikas hängt von der inneren Kraft des Landes ab. Obama hat gesagt: "Die größte Sicherheitsbedrohung der USA ist nicht China, sind nicht Terroristen oder gefährliche Staaten, sondern die innere Schwäche Amerikas." Das sollte man ernst nehmen. Wenn die USA in Asien als Schutzmacht auftreten und Ländern wie Japan, Südkorea oder auch Australien Schutz gewähren, die sich ihrerseits nicht sicher vor China fühlen, dann hat das auch einen Wirtschaftspreis. Ich denke, Südkorea hätte kein Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnet, wenn es nicht Tribut für die Sicherheit zollen wollte. Denn der Deal ist aus südkoreanischer Sicht nicht wirklich günstig. So greifen Handels- und Sicherheitspolitik ineinander.

Die USA müssen sich aber auch überlegen, wie sie diese starke Militärpräsenz weiter finanzieren wollen. Sie haben massive Haushaltsprobleme und müssen auch beim Militär massiv einsparen. Die USA werden vermehrt Bodentruppen nach Hause holen und stattdessen auf Drohnen setzen. Das ist eine neue Entwicklung mit vermeintlich geringeren politischen und finanziellen Kosten. Wenn man sich diese Drohnen-Basen ansieht, hat man den Eindruck, dass es nicht nur darum geht, gezielt Terroristen zu töten, sondern auch darum, die Handels- und Energieressourcen Amerikas zu kontrollieren. Im Fall von Australien geht es zudem darum, die Handels- und Energieschlagadern Chinas zu kontrollieren.

Bleiben wir bei China: Peking hat auf den Ausgang der US-Wahl reagiert und Barack Obama offiziell gratuliert – höflich, aber nicht überschwänglich. Gerade in den vergangenen Wahlkampfmonaten hatte der US-Präsident immer wieder angekündigt, im Falle eines Sieges verstärkt gegen Währungsmanipulation, Preisdumping und auch Patentrechtsverletzungen vorzugehen. Trotzdem ist Obama ja aus chinesischer Sicht gewissermaßen der "Wunschkandidat".

Im Wahlkampf hört man viel, was im Nachhinein nicht einmal das Papier wert war, auf dem es geschrieben stand. Man muss schon sehen, dass Amerika massiv von China abhängig ist, und man kann seinem Banker nicht allzu oft vors Schienbein treten. Ich denke, Obama weiß wie sehr die USA vom Wohlwollen Chinas abhängen. Und umgekehrt ist es genauso: Wenn es Amerika wirtschaftlich schlechter gehen würde, würde auch China sehr in Mitleidenschaft gezogen. Der Vorwurf der Währungsmanipulation von Seiten Obamas wäre in der Vergangenheit schon mal berechtigter gewesen.

Wenn man sich die Entwicklung des Renminbi ansieht, dann fällt auf, dass er in der letzten Zeit doch gestiegen ist. Ich sehe eher eine andere Entwicklung, nämlich, dass China sich aus der Dollar-Falle löst. Peking kann nicht auf einmal alle Dollar-Anleihen abziehen, weil man sich damit selbst schaden würde. Die Chinesen geben aber nicht mehr all ihre Währungsreserven in den Dollar, sondern beispielsweise in Bodenschätze, insbesondere Energieressourcen – und konkurrieren da auch mit den Amerikanern. Und sie stärken langsam aber sicher auch ihre eigene Währung, die früher oder später internationalisiert werden wird. Dann wird es auf den internationalen Währungsmärkten drei starke Blöcke geben: Dollar, Euro und Renminbi. Diese Multipolarität im Währungsbereich ist sehr wichtig, weil nämlich die bisherige Situation, die Dominanz des Dollars, es den Amerikanern erlaubt hat, über ihre Verhältnisse zu leben. Diese Verhältnisse sind vorbei.

Schauen wir noch kurz auf die Gewässer in der Region – wo eine ganze Reihe von ungelösten Gebietskonflikten schwelen – beispielsweise um Inselgruppen im Süd- und im Ostchinesischen Meer. Inwieweit könnte Washington sich hier als Vermittler einschalten und profilieren?

Ich sehe hier Washington weniger als Vermittler. Die USA haben ein Interesse daran, dass verbündete Länder, die sich von China bedroht wähnen, unter den Schutzschirm Amerikas schlüpfen, die Pax Americana. Washington ist in diesem Fall kein "honest broker", also kein aufrichtiger Vermittler.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Auf der Frankfurter Buchmesse wurde er für sein aktuelles Buch "Der amerikanische Patient" (erschienen im Siedler-Verlag) mit dem International Book Award ausgezeichnet.