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"Bild" zeigt abgelehnte Doku über Judenhass

Nadine Wojcik
13. Juni 2017

Der deutsch-französische Sender Arte strahlt eine Dokumentation über Antisemitismus nicht aus. Die Boulevardzeitung "Bild" hat den Film für 24 Stunden online gestellt.

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Mann mit Kipa (Foto: picture-alliance/dpa/H. Ossinger)
Bild: picture-alliance/dpa/H. Ossinger

Damit geht die "Bild"-Zeitung ein juristisches Risiko ein. Denn die Erstausstrahlungsrechte liegen bei dem auftraggebenden Sender Arte. "Der Kampf gegen Antisemitismus ist in Deutschland ein überragendes Interesse", kommentierte der Vorsitzende der "Bild"-Chefredaktionen, Julian Reichelt, an diesem Dienstag in der Boulevardzeitung. Die Bürger sollen sich selbst ein Urteil bilden können - daher stelle sein Blatt den 90-minütigen Dokumentarfilm nun für 24 Stunden online.

Zum Hintergrund

"Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" wurde von Arte über den Mitgliedssender WDR bei dem Produzenten Joachim Schroeder beauftragt. Der Filmemacher hatte bereits 2013 einen TV-Film für die ARD mit dem Titel "Antisemitismus heute - wie judenfeindlich ist Deutschland?" gedreht. Sein Projekt zu Antisemitismus in Europa ist 2015 von der Arte-Programmkonferenz bewilligt und im Dezember 2016 von der zuständigen WDR-Redakteurin Sabine Rollberg abgenommen und an Arte geliefert worden.

Arte-Programmdirektor Alain Le Diberder lehnte den Film jedoch ab. Der Grund: Er würde stark vom beauftragten Konzept abweichen. In einer Pressemitteilung erklärte der Programmdirektor: "Damit waren Grundsatz- bis hin zu Vertrauensfragen berührt. Programme müssen sich in eine editoriale Linie einfügen. Diese kann nicht vom Produzenten eigenmächtig verändert werden. Kein Rundfunksender und keine Zeitung würde eine derartige, eigenständig vorgenommene Abweichung vom vereinbarten Konzept akzeptieren." So seien unter anderem Norwegen, Schweden, Großbritannien, Ungarn und Griechenland als Drehorte vorgesehen gewesen, doch letztlich habe sich der Regisseur hauptsächlich auf den Nahen Osten konzentriert.

Es handele sich nicht um Formalismus, sondern um eine notwendige Verfahrens­entscheidung, die die editoriale Verantwortung und Qualität sichere, so Alain Le Diberder weiter. "Der Vorwurf von Antisemitismus dagegen ist grotesk: Seit 25 Jahren bezeugt Arte sein Engagement gegen Antisemitismus und wird dies in Zukunft weiterhin tun."

In dem umstrittenen TV-Film begibt sich der Produzent und Regisseur gemeinsam mit Co-Autorin Sophie Hafner auf die Suche: bei rechten sowie linken Demonstrationen in Deutschland, bei Bundestagsabgeordneten, bei vermeintlich israelfeindlichen Nichtregierungsorganisationen in Gaza und Ramallah, in dem Pariser Vorort Sarcelles mit großer jüdischer Gemeinde.

Eingangsbereich von arte in Strassburg (Foto: picture-alliance/dpa/W. Rothermel)
arte steht mit seiner Entscheidung in der KritikBild: picture-alliance/dpa/W. Rothermel

Mit teilweise sarkastischen Unterton und unterlegt mit elektronischer Musik kritisiert Schroeder unter anderem, dass europäische Finanzhilfen zur israelfeindlichen Politik missbraucht würden, dass sowohl Linke als auch Rechte wie selbstverständlich öffentlich eine antisemitische Ideologie proklamieren, oder wie bedroht sich Juden in Frankreich fühlen.

Breite Debatte

In einer Pressemitteilung des auftraggebenden Senders WDR heißt es: "Wir bedauern, dass die redaktionelle Abnahme im WDR offenbar nicht den üblichen in unserem Haus geltenden Standards genügte." Die Tageszeitung "taz", die den Dokumentarfilm bereits zu sehen bekam, findet die Argumentation fadenscheinig, schließlich seien hier Profis am Werk, insbesondere die abnehmende Redakteurin Sabine Rollberg verfüge über jahrelange Erfahrung. "Was haben die Kölner Hierarchen wirklich gegen den Film?", so die Frage des Artikels und zitiert diesen im Fazit: "Wehrhafte Juden sieht man nicht gern."

Historiker wie Michael Wolffsohn und Götz Aly lobten die Dokumentation und verurteilten die Weigerung der Ausstrahlung. "Die Sache stinkt zum Himmel", schrieb Aly in der "Berliner Zeitung" und warf Arte Zensur vor. Ähnlich argumentierte Charlotte Knobloch, die Arte in einem Brief schrieb, dass sich der Sender auf einem "gefährlichen Irrweg" befinde. "Als jüdische Menschen und Gemeinden spüren wir seit Jahren das Erstarken der antijüdischen Ressentiments in allen gesellschaftlichen Ebenen und Milieus", so die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Sie hoffe, dass Arte an einer "Beleuchtung des Phänomens Antisemitismus in Europa gelegen" sei und bitte daher "inständig" um Ausstrahlung.

Auch der Produzent und Regisseur erhob schwere Vorwürfe gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Sender. In der Tageszeitung "Die Welt" wird Joachim Schroeder zitiert, die vorgebrachten Gründe würden "als Vorwand genutzt, die Dokumentation nicht zu zeigen." Es hätte von Anfang an "große Widerstände" gegen das Filmprojekt gegeben.

Alle gegen Arte?

Der Umgang mit der Dokumentation "Auserwählt und ausgegrenzt" hat eine große Bandbreite in der öffentlichen Debatte. So lobten sowohl der Islamismus-Experte Ahmad Mansour, der die Produktion beraten hatte, als auch mehrere Regionalverbände der rechtspopulistischen Partei AfD den Film.

Kommentatoren der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ), des "Tagesspiegels", des "Kölner Stadtanzeigers" und der "taz" äußern sich unterstützend für den Filmemacher. So kritisierte die FAZ die aus ihrer Sicht fadenscheinige Entscheidung des Senders: "Wir wollen sie anders nennen: Feigheit. Es ist die Feigheit davor, sich mit dem wachsenden Antisemitismus auseinanderzusetzen, der die Wurzeln der deutschen wie der französischen Gesellschaft berührt."

Viele Twitter-Nutzer stimmen in die Medienkritik ein: "DANKE #BILD! Das ist mutig, konsequent und würdig. Journalismus + Medien sind verpflichtet, auch unbequeme Wahrheiten zu veröffentlichen!" Gleichzeitig schimmern altbekannte Vorwürfe gegen öffentlich-rechtliche Medien durch: "Staatlich finanzierte Doku über Judenhass von #ARTE zurückgehalten."

Arte bleibt bei seiner Entscheidung

Der öffentlich-rechtliche Sender, dem die Rechte für die Erstausstrahlung unterliegen, findet das Vorgehen der "Bild"-Zeitung "befremdlich", eine Klage wird offensichtlich nicht erwogen. In einer Stellungnahme heißt es, Arte habe "keinen Einwand, dass die Öffentlichkeit sich ein eigenes Urteil über den Film bilden kann."

Dennoch bleibt der Sender bei seiner Entscheidung - der Film solle auch weiterhin nicht ausgestrahlt werden, hieß es am Dienstagvormittag in einem Pressestatement. "Die Unterstellung, der Film passe aus politischen Gründen nicht ins Programm ist schlichtweg absurd: Der ursprünglich von der Programmkonferenz genehmigte Programmvorschlag sah ausdrücklich das Thema des unter dem Deckmantel der Israelkritik versteckten Antisemitismus vor - entsprechend der editorialen Linie von Arte als europäischer Sender aber nicht im Nahen Osten, sondern in Europa."

Ob auch der WDR, der das Projekt betreut hat, weiterhin auf die Ausstrahlung verzichtet, ist noch nicht abschließend geklärt.