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Bewegung in der Kurdenfrage?

10. Juni 2004

Der oberste türkische Gerichtshof hat am 9. Juni die Freilassung von vier früheren kurdischen Politikern angeordnet. Im Rundfunk wurden die ersten Sendungen überhaupt in kurdischer Sprache gezeigt. Ein Novum.

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Leyla Zana, rechts, und Selim Sadak nach der Entlassung aus der HaftBild: AP


Die türkische Kurdenpolitikerin Leyla Zana ist nach zehn Jahren Haft wieder auf freiem Fuß. Die Freilassung hatte der Oberste Berufungsgerichtshof in Ankara angeordnet. Das Gericht entsprach damit einem Antrag von Zanas Anwälten.

"Es ist ein echter Wendepunkt", sagte der Anwalt Yusuf Alatas in CNN-Turk. Die Abgeordneten wurden 1994 von einem Staatssicherheitsgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil sie Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) gehabt haben sollen. PKK-Kämpfer haben vor allem in den 1980er und 1990er Jahren für die Unabhängigkeit der Kurdenregion im Südosten der Türkei gekämpft. Dabei kamen 37.000 Menschen ums Leben.

Ein Hindernis für den EU-Beitritt beseitigt?

Zana, die Trägerin des Menschenrechtspreises des EU-Parlaments, ist die prominenteste politische Dissidentin der Türkei. Sie war mit drei anderen Ex-Abgeordneten der Kurdenpartei DEP - Hatip Dicle, Selim Sadak und Orhan Dogan - 1994 wegen Mitgliedschaft in der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Der damalige Prozess wurde im In- und Ausland wegen rechtsstaatlicher Mängel kritisiert.

Obwohl die EU seit langem Zanas Freilassung fordert, hatte ein türkisches Gericht erst im April die Haftstrafen gegen die heute 43-Jährige und die anderen drei Politiker bestätigt. Daraufhin wurde der Fall ans Oberste Berufungsgericht weitergeleitet, der am 8. Juli darüber beraten will. In jüngster Zeit hatte sich aber bereits angedeutet, dass Zana noch vor dieser Verhandlung freikommen könnte. Die türkische Generalstaatsanwaltschaft selbst hatte vor wenigen Tagen die Annullierung der 1994 ergangenen Haftstrafen beantragt. Darauf forderten Zanas Verteidiger, die Kurdenpolitiker sollten auf freien Fuß gesetzt werden, weil es keine Begrüngung mehr für ihre Inhaftierung gebe.

Zanas Inhaftierung war bisher ein großes Problem für die Türkei in ihren Beziehungen zur EU. Entsprechend erleichtert zeigte sich die türkische Regierung. Justizminister Cemil Cicek sprach von einer "richtigen Entscheidung". Auch die sozialdemokratische Opposition im Parlament von Ankara begrüßte die Entscheidung des Berufungsgerichts. Die Freilassung Zanas markiert eine Zäsur im Verhältnis zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Minderheit. Gleichzeitig begann das türkische Staatsfernsehen mit der Ausstrahlung kurdischsprachiger Sendungen. Beide Ereignisse dürften die türkische EU-Bewerbung stärken und Ankaras Chancen auf baldige Beitrittsgespräche mit der EU erhöhen.

Minderheitenprogramm im Rundfunk

Das türkische Staatsfernsehen TRT strahlte zum ersten Mal in seiner Geschichte einen etwa 30 Minuten langen kurdischen Beitrag aus. Die Sendung unter dem Titel "Unser kultureller Reichtum" enthielt unter anderem Nachrichten und kurdische Lieder. Die Beiträge in der Sprache Kurmanci, die von vielen türkischen Kurden gesprochen wird, waren mit türkischen Untertiteln versehen. Am Freitag will TRT dieselbe Sendung in Zaza, einer anderen kurdischen Sprache, wiederholen. Zu der neuen Sendereihe bei TRT für die Minderheiten gehören auch Sendungen in Bosnisch, Arabisch und Tscherkessisch. Auch der Radiosender TRT sendete am Mittwoch ein 30-minütiges Programm auf Kürmandschi, dem am meisten verbreiteten kurdischen Dialekt.

Ein Sprecher der Kurdenpartei DEHAP sagte, die erste kurdische Fernsehsendung sei zwar inhaltsleer gewesen, es sei aber trotzdem "sehr aufregend", eine solche Sendung auf TRT zu sehen. "Früher kam man schon ins Gefängnis, wenn man nur feststellte, dass es in der Türkei Kurden gibt", sagte der DEHAP-Sprecher, Kemal Avci. Deshalb zeige die kurdischsprachige TRT-Sendung das Ausmaß des schon erreichten Fortschritts: "Es ist der Zusammenbruch der offiziellen Ideologie." Rund zwölf Millionen der 70 Millionen Türken gehören zur kurdischen Volksgruppe. Mit dem kurdischen Rundfunkprogramm wird eine Reform Wirklichkeit, die vor wenigen Jahren noch undenkbar war. Der Gebrauch der kurdischen Sprache war in der Türkei bis 1991 verboten. Mehr Rechte für die kurdische Minderheit sind eine der Voraussetzungen für den von der Türkei angestrebten Beitritt zur Europäischen Union. (arn)