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Öcalan-Verfahren bringt Türkei in Bedrängnis

Baha Güngör 9. Juni 2004

Der einstige Kurden-Führer Abdullah Öcalan sitzt im Gefängnis - und trotzdem bringt er die türkische Regierung in Bedrängnis: Er klagt vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gegen die Türkei.

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Die Haftbedingungen Öcalans haben Kritik hervorgerufen <i>(Archivbild)</i>Bild: AP

Das Schicksal des früheren Kurden-Führers Abdullah Öcalan beschäftigt seit Mittwoch (9.6.2004) erneut den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Die Straßburger Richter sollen entscheiden, ob der Prozess gegen den Chef der kurdischen Separatisten rechtsstaatlichen Prinzipien entsprach. Öcalan verbüßt zurzeit eine lebenslange Haftstrafe. Sowohl die Türkei als auch die Rechtsvertreter Öcalans fordern vom Straßburger Gericht eine Revision der Entscheidung in erster Instanz.

Schuldig in drei Punkten

In dem Urteil war die Türkei 2003 in drei Punkten für schuldig befunden worden. Das Land mit der Hoffnung auf den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union war unter anderem wegen schlechter Behandlung Öcalans und unfairer Prozessführung nach dessen spektakulärer Festnahme im Februar 1999 in Kenia zur Zahlung von 100.000 Euro an Öcalans Rechtsvertreter verurteilt worden.

Die Verteidiger Öcalans, die ursprünglich eine Million Euro verlangt hatten, wollen eine Internationalisierung des Falles durchsetzen. Der Türkei hingegen geht es um Aufhebung der Entscheidung. Nun müssen die 17 Richter der zuständigen Kammer darüber befinden, ob die Festnahme Öcalans, seine Verschleppung in die Türkei und das Verfahren vor dem Staatssicherheitsgericht im Einklang mit den in Europa geltenden juristischen Normen steht.

Unrechtmäßige Verhaftung?

Der 55-jährige Anführer der militanten kurdischen Separatistenorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) war im Februar 1999 nach einer Odyssee durch mehrere europäische Länder im Anschluss an seine Vertreibung aus dem syrischen Exil in Nairobi gestrandet. Ein türkisches Sonderkommando lockte ihn in eine Falle und nahm ihn fest, um ihn dann nach Istanbul zu verschleppen. Die Anwälte Öcalans sind der Auffassung, dass diese Aktion nach internationalen Konventionen nicht rechtens war. Sie verlangen eine Anhörung von Regierungschefs, Ministern und Geheimdienstfunktionären aus mehreren EU-Ländern und der Türkei. Seine Festnahme sei das Ergebnis eines "internationalen Komplotts".

Imrali
Vogelperspektive auf die Insel Imrali nahe Istanbul (Archiv)Bild: AP

In erster Instanz waren Forderungen in dieser Richtung ebenso zurückgewiesen worden wie der Klagepunkt Isolationshaft. Öcalan befindet sich als einziger Häftling auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmara-Meer nahe Istanbul. Gleichzeitig aber wurde entschieden, dass der Prozess vor einem Staatssicherheitsgericht mit einem militärischen Richter nicht rechtens gewesen und die Möglichkeiten der Verteidigung gezielt eingeschränkt worden seien. Inzwischen gibt es im Rahmen der Reformen in der Türkei die Staatssicherheitsgerichte mit einem militärischen Richter nicht mehr. Auch die Todesstrafe, zu der Öcalan wegen Hochverrats verurteilt worden war, wurde im Rahmen der Verfassungsänderungen in lebenslange Haft umgewandelt.

Tausende Tote

Nach Auffassung der Mehrheit der türkischen Bevölkerung trägt Öcalan die Verantwortung für den Kampf der PKK um ein unabhängiges Kurdistan auf türkischem Territorium in den Jahren 1984 bis 1999. Bei den Kämpfen zwischen dem türkischen Militär und der PKK, die Öcalan vom syrischen Nachbarland aus gesteuert hatte, sowie bei der militärischen Gegengewalt der türkischen Armee waren 40.000 Menschen ums Leben gekommen und Hunderttausende verletzt worden. Millionen Kurden und auch andere Minderheiten in den umkämpften Regionen im Osten und Südosten Anatoliens wurden aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. International jedoch wurde die Türkei heftig wegen ihrer Politik kritisiert, den Kurden keine Minderheitenrechte einzuräumen.

Die Nachfolgeorganisationen der PKK haben wenige Tage vor Beginn der Revisionsverhandlung in Straßburg den nach der Festnahme Öcalans einseitig beschlossenen Waffenstillstand für beendet erklärt. Die Kampfhandlungen würden wieder beginnen und die Türkei sei für Ausländer kein sicheres Land mehr.