1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Charité holt Nawalny aus künstlichem Koma

7. September 2020

Der Gesundheitszustand des vergifteten russischen Kremlkritikers hat sich verbessert, er reagiere auf Ansprache, so die Klinik. Derweil verschärft sich der Streit zwischen Berlin und Moskau.

https://p.dw.com/p/3i5ZR
Alexej Nawalny Russland Opposition
Alexey Nawalny (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/P. Golovkin

Der vergiftete russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist in Berlin aus dem künstlichen Koma geholt worden. Sein Gesundheitszustand habe sich verbessert, erklärte die Universitätsklinik Charité. Er werde schrittweise von der maschinellen Beatmung entwöhnt und reagiere auf Ansprache. Langzeitfolgen der schweren Vergiftung seien jedoch weiterhin nicht auszuschließen.

Nawalny wird seit dem 22. August in der Charité behandelt, nachdem er zwei Tage zuvor während eines Flugs in Russland zusammengebrochen war. Die Bundesregierung erklärte in der vergangenen Woche, dass Nawalny "zweifelsfrei" mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe vergiftet worden sei.

Das Gift war in den 70er Jahren von sowjetischen Wissenschaftlern entwickelt worden. Moskau weist jede Schuld am Gesundheitszustand des prominenten Kritikers von Staatschef Wladimir Putin zurück. Nawalnys Vergiftung führte zu schweren diplomatischen Spannungen zwischen Berlin und Moskau.

Russische Nebelkerzen

Bundesaußenminister Heiko Maas wies zuletzt Vorwürfe Russlands zurück, Deutschland verschleppe die Ermittlungen. In der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" sprach Maas von einer "weiteren Nebelkerze". Die Bundesregierung habe einem Rechtshilfeersuchen der russischen Staatsanwaltschaft "längst zugestimmt" und dies bereits vor einer Woche dem russischen Botschafter in Berlin mitgeteilt.

Der Außenminister verlangte, Russland müsse seinerseits eigene Untersuchungsergebnisse nach der zweitägigen stationären Behandlung Nawalnys im sibirischen Omsk an Deutschland übergeben. "Viele Spuren" zu dem Fall lägen bislang nur in Russland vor. Liefere Moskaus keine Beiträge zur Aufklärung, sei dies ein Indiz dafür, "dass man etwas zu verbergen hat".

"Berlin verzögert die Untersuchung"

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte zuvor im Onlinenetzwerk Facebook geschrieben: "Berlin verzögert die Untersuchung, zu der es selbst aufruft. Mit Absicht?". Berlin habe nicht auf ein Rechtshilfeersuchen der russischen Staatsanwaltschaft vom 27. August reagiert, monierte Sacharowa. "Bislang sind wir nicht sicher, ob Deutschland nicht ein doppeltes Spiel spielt."

Polizisten in schwarzen Uniformen gehen eine Treppe vor der Berliner Universitätsklinik Charité herunter | Polizisten vor der Charité
Nawalny wird seit Wochen im Berliner Klinikum Charité behandelt - unter strenger Bewachung (Archivbild)Bild: Getty Images/S. Gallup

"Keine wirtschaftliche Frage kann wichtiger sein"

Die Debatte um mögliche Strafmaßnahmen gegen Russland wegen des Nawalny-Attentats fokussiert sich in Deutschland jetzt immer mehr auf die Gaspipeline Nord Stream 2. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich vor gut einer Woche noch dagegen gewehrt, beide Themen miteinander zu verknüpfen. "Wir wollen, dass das fertig gebaut wird", sagte sie auf ihrer Sommerpressekonferenz. Doch nun erklärte ihr Sprecher, Merkel halte es im Hinblick auf Konsequenzen des Giftanschlags für falsch, etwas auszuschließen.

Porträtfoto zeigt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn während einer Kabinettssitzung
"Russland hat es in der Hand": Gesundheitsminister Jens Spahn (Archivbild)Bild: Getty Images/H. Jeon

Mehrere Kabinettsmitglieder hatten den neuen Kurs mit ihren Äußerungen vorbereitet. "Es gibt keine wirtschaftliche Frage, die am Ende wichtiger sein kann als außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands und Europas", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn der "Bild"-Zeitung. Es liege nun "vor allem" in der Hand Russlands, "ob und wie es mit Nord Stream 2 weitergehen" könne.

Ähnlich äußerte sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Gaspipeline sei für sie "kein Herzensprojekt". Der Fortgang hänge vom Verhalten der russischen Seite ab, sagte Kramp-Karrenbauer der Nachrichtenagentur Reuters. In der vergangenen Woche hatte sie noch vor übereilten Entscheidungen hinsichtlich des Projekts gewarnt.

"Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen"

Auch Außenminister Maas war zuvor auf eine härtere Gangart eingeschwenkt. "Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern", sagte er der Zeitung "Bild am Sonntag". Zugleich betonte Maas, ein Stopp der fast fertig gebauten Pipeline würde auch der heimischen Wirtschaft schaden. "An dem Projekt seien mehr als 100 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern beteiligt, etwa die Hälfte davon aus Deutschland.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt fordert ein rasches Aus von Nord Stream 2. Die Bundesregierung müsse dafür jetzt "einen Weg aufzeigen" sagte sie dem "Tagesspiegel". Die AfD lehnt solche Konsequenzen ab. "Die ungeklärte Causa Nawalny darf nicht dafür herhalten, unsere Versorgungssicherheit aufs Spiel zu setzen. Beides sind getrennt voneinander zu betrachtende Vorgänge", erklärte der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen.

uh/qu (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wurde aktualisiert.