Benedikt XVI. überrascht seine Kritiker
19. April 2006Nach der Wahl Joseph Ratzingers zum neuen Papst vor genau einem Jahr am 19. April 2005 befürchteten Kritiker, dass die katholische Kirche sich nun vollends zu einer rückwärtsgewandten Institution entwickeln würde. Ratzinger sei der "verlängerte Arm des Mittelalters", schrieb eine Schweizer Zeitung. Über 20 Jahre hatte er zuvor die Kongregation der Glaubenslehre im Vatikan geleitet. Als Chef-Dogmatiker der katholischen Kirche sei er in dieser Funktion besonders als "Reformverhinderer" aufgefallen, sagten Kritiker.
Doch ein Jahr später ist der Protestchor der Kritiker deutlich schwächer geworden. Gleich am Anfang stellte der neue Papst Benedikt XVI. klar, dass er die Kontinuität mit seinem Vorgänger sucht, die Ökumene stärken will und dem Dialog hohe Priorität einräume - mit Kritikern in der Kirche aber auch mit den anderen Weltreligionen.
Orthodoxe Christen loben "positive Zeichen"
"Abwarten" bis "positiv überrascht" zeigt das Stimmungsbarometer auch außerhalb der katholischen Kirche. "Aus Sicht der orthodoxen Christen hat der neue Papst in vielen Richtungen positive Zeichen gesetzt", sagt Konstantin Nikolakopoulos, Professor für orthodoxe biblische Theologie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. "Der neue Papst hat auf den Patriarchen-Titel verzichtet" - ein symbolisches Zeichen - denn diese Titel werden traditionell ansonsten nur in der orthodoxen Kirche benutzt. Darüber hinaus habe Benedikt XVI. mit seiner Enzyklika auch gute theologische Voraussetzungen geschaffen, um die Ökumene voranzutreiben, sagt Nikolakopoulos. "Der Papst fordert weniger eine Annäherung von Seiten der orthodoxen Kirche, sondern tritt vielmehr selber aktiv auf die orthodoxen Christen zu." Dieser positive Eindruck werde von allen Gruppen orthodoxer Christen geteilt.
Traditionell sei die russisch-orthodoxe Kirche dem Vatikan gegenüber immer etwas zurückhaltender gewesen, als etwa die griechischen Orthodoxen, erläutert Nikolakopoulos. "Doch tatsächlich mehren sich die Zeichen, dass mit Benedikt XVI. nun zum ersten Mal ein römischer Papst die russische Kirche besuchen könnte." Mittelfristig hofften die orthodoxen Christen, dass sich die Struktur der römisch-katholischen Kirche stärker dezentral und demokratisch gestalten werde. "Damit wäre sie der Struktur der orthodoxen Kirche wesentlich näher", so Nikolakopoulos.
Auf Augenhöhe mit der Schwesterkirche
"Die Ökumene ist lebendiger geworden", sagt auch Merawi Tebege. Er ist der Erzpriester der äthiopisch-orthodoxen Kirche in Deutschland. In Äthiopien gebe es sowohl katholische als auch orthodoxe Christen, die jedoch beinahe die gleichen Gebräuche pflegen, sagt Tebege. Die Hinwendung des Papstes zu den orthodoxen Christen trüge auch dazu bei, dass "sich die Schwesterkirchen und ihre Gemeinden in Äthiopien auf gleicher Augenhöhe begegnen können".
In Südamerika stellen Kirchenvertreter heraus, dass mit Benedikt XVI. "ein großer Theologe" zum Papst gewählt wurde. Die Befürchtung, dass seine Sprache für die Menschen zu kompliziert sein könnte, habe sich nicht bestätigt, sagt der Erzbischof von Bogota Kardinal Pedro Rubiano Sáenz. "Die Botschaften des Papstes sind von tiefer Bedeutung und doch einfach formuliert. Sie erreichen den größten Teil der Menschen hier."
Muslime warten ab
"Ein Jahr ist viel zu kurz, um die Arbeit des Papstes einschätzen zu können", sagt dagegen Ayyub Axel Köhler, der neue Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland. Dort gehe man allerdings davon aus, dass die Politik des Vatikans auch unter dem neuen Papst weiter fortgesetzt werde. "Wir hoffen, die Wertediskussion mit der Kirche weiter voranbringen zu können", so Köhler. Wünschenswert wäre eine deutlichere Position des Papstes zur Situation von Muslimen in christlichen Mehrheitsgesellschaften, wie etwa in Deutschland.
Im Streit um die Karikaturen des Propheten Mohammed vor zwei Monaten hatte Benedikt XVI. Verständnis für friedliche Proteste der Muslime geäußert: "Gläubige dürfen nicht zur Zielscheibe von Provokationen werden, die ihre religiösen Gefühle verletzen." Ansonsten habe das Verhältnis des Vatikans zu Muslimen und damit auch vielen arabischen Ländern im ersten Jahr des neuen Papstes keine besondere Rolle gespielt, sagt Sonja Hegasy vom Zentrum Moderner Orient in Berlin. Entsprechend fielen die Reaktionen aus - oder die Abwesenheit eben solcher: "Es herrscht die große Stille", sagt sie. Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. habe sein Interesse an diesen Ländern durch viele Reisen dorthin unterstrichen.
Sollte Benedikt XVI. auch nur ein annähernd so langes Pontifikat beschieden sein wie seinem Vorgänger, könnte sich dies noch ändern. Alleine sein Anspruch, die Ökumene zu fördern und die Christen zu einen, dürfte den neuen Papst in viele Länder führen, in denen Christen zu den starken Minderheiten gehören.