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Beitrittskandidat Bosnien-Herzegowina: Gewagtes Spiel

22. März 2024

Bosnien und Herzegowina hat aus Brüssel grünes Licht für Beitrittsverhandlungen bekommen. Dem fragilen Staat fehlt zwar der Reifenachweis, er wird jedoch geostrategisch für die Union immer wichtiger.

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Eine große EU-Fahne hängt über drei Stockwerke eines gelb-weißen Hauses in Sarajevo
Eine überdimensionale EU-Fahne hängt am Donnerstag, 21.03.2024, an einem Gebäude in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo Bild: Samir Jordamovic/Anadolu/picture alliance

Die Europäische Union hat formell den Weg freigemacht für die EU-Beitrittsverhandlungen Bosnien und Herzegowinas. Die Entscheidung der EU löste ein jahrelanges Versprechen gegenüber dem zerrissenen Vielvölkerstaat auf dem Westbalkan ein. So weit, so konsequent. Entsprechend gut gelaunt zeigten sich sowohl die Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer als auch die Vertreter des ethnisch gemischt besetzten gemeinsamen Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina.

Ein "historischer" Schritt sei die Entscheidung, so der EU-Ratspräsident Charles Michel. Und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen attestierte dem Beitrittsaspiranten sogar "beeindruckende" Schritte nach vorne. Die Spitzenpolitiker aus Sarajevo und Banja Luka bedankten sich artig und versprachen weitere große Anstrengungen bei ihren Reformbemühungen.

Bosnien und Herzegowinas lange EU-Reise

Die Geschichte der Annäherung zwischen Brüssel und Sarajevo reicht bis 2016 zurück. Damals hatte Bosnien und Herzegowina die EU-Mitgliedschaft beantragt, der Kandidaten-Status folgte dann 2022. Und das nicht von ungefähr: Der Krieg Russlands in der Ukraine ließ das Beharren Brüssels auf eine vollständige Erfüllung aller angemahnten Reformen in den Hintergrund treten.

Noch 2019 war von 14 "Schlüsselprioritäten" die Rede, die die EU als Voraussetzung für Beitrittsgespräche festgeschrieben hatte. Tatsächlich haben bislang nur ganze drei Reformen Gesetzeskraft erlangt, darunter die gegen Korruption und Geldwäsche.

Geopolitische Interessen vs. Reformstau

Obwohl Bosnien und Herzegowina seit langem als kranker Mann Europas gilt, der an sich selbst scheitert, will die EU nun den Problemfall in die Brüsseler Familie integrieren. Eine "geopolitisch richtige Entscheidung", so der Leiter der Adenauer-Stiftung in Sarajevo, Jakov Devcic. Vor dem russischen Angriffskrieg wäre eine solche Entscheidung undenkbar gewesen, so Devcic.

Die EU habe einfach Angst, ihren Einfluss in der Region an Russland und China zu verlieren, so der bosnisch-stämmige Politologe Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für Internationale Politik aus Wien.

Ein Mann (Vedran Dzihic) im weißen Hemd mit mit blond-grauen-Haaren schaut lächelnd in die Kamera
Nach Ansicht des Politologen Vedran Dzihic geht es der EU vor allem um den Einfluss auf die RegionBild: Privat

Moskau und Peking gewinnen nicht nur in ganz Südosteuropa politisch Einfluss, sondern investieren auch im großen Stil in die Infrastruktur, so Dzihic.

Der befürchtete Einflussverlust der EU allein in Bosnien und Herzegowina drohte offensichtlich so konkret, dass Brüssel zuletzt nach dem Motto gehandelt habe: 'Bitte gebt uns einfach irgendetwas, damit wir sehen, dass ihr euch bemüht', glaubt Dzihic.

Problemfaktor Republika Srpska

Tatsächlich hat sich Bosnien und Herzegowina in den vergangenen Jahren kaum den EU-Standards angenähert. So gefährden beispielsweise ethno-nationalistische Politiker, die in die eigene Tasche arbeiten und die Justiz instrumentalisieren, die europäische Integration. Vor allem aber destabilisiert der permanente Konflikt zwischen den beiden Entitäten, der bosnisch-kroatischen Föderation und der serbisch dominierten Republika Srpska (RS), das Land. Und auch innerhalb der Föderation kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen Bosniaken und Kroaten. Tatsache ist, dass die faktische Spaltung von Bosnien und Herzegowina eine Grundlage seiner Staatlichkeit ist.

Ursula von der Leyen (l.) schüttelt die Hand von Milorad Dodik (r.), beide schauen freundlich.
Der damalige RS-Präsident Milorad Dodik (r.) mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Oktober 2022Bild: Armin Durgut/PIXSELL/picture alliance

Das Friedensabkommen von 1995 stellte die beiden halbautonomen Landesteile, die Republika Srpska und die bosniakisch-kroatische Föderation, unter das Dach einer Zentralregierung, die besonders RS-Chef Milorad Dodik jedoch immer wieder sabotiert.

Erst vor wenigen Wochen, am 09.01.2024, feierte die Republika Srpska den 32. Jahrestag ihrer Gründung. Für RS-Präsident Dodik ein Tag mit Signalwirkung. Der gemeinsame Staat von Serben, muslimischen Bosniaken und Kroaten existiert für ihn nur auf dem Papier. Tatsächlich strebt er den Anschluss der serbischen Teilrepublik an Serbien an, getreu der Formel "Alle Serben in einem Staat".

Trotzdem lobte Dodik die Brüsseler Einladung an Bosnien und Herzegowina, Familienmitglied der EU zu werden, ausdrücklich. Er sieht darin eine Chance, das Negativ-Image Bosnien und Herzegowinas loszuwerden.

Porträt eines Mannes mit Mittelscheitel und Bart
Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe