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Politik

Bedrohte Pressefreiheit

Anne Höhn
3. Mai 2020

Populismus, Machtstreben und einbrechende Finanzierung: Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen warnt im DW-Interview vor der weltweiten Bedrohung des freien Journalismus.

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England | Pressefreiheit |  Journalisten auf der Frontline im coronavirus
Bild: picture-alliance/AP Photo/K. Wigglesworth

DW: Herr Mihr, welchen Effekt hat die Corona-Pandemie auf die weltweite Pressefreiheit?

Christian Mihr: Eigentlich haben wir durch Corona keine neuen repressiven oder autoritären Regime. Es ist eher so, dass die Repressionen, die es vorher schon gab, jetzt verschärft wurden. Um in einem Bild zu sprechen: Die Corona-Pandemie bündelt wie im Brennglas die autoritären und diktatorischen Reflexe vieler Regime.

Haben Sie konkrete Zahlen von inhaftierten Bloggern und Journalisten?

Wer explizit im Zuge der Corona-Pandemie verschwunden ist oder inhaftiert wurde, das können wir erst Ende des Jahres auswerten. Aktuell sind weltweit - Stand heute - mindestens 231 professionelle Journalisten in Haft und 115 sogenannte Bürgerjournalisten oder Blogger, also Leute, die YouTube oder Facebook in sehr autoritären Umgebungen nutzen und darauf ganz wichtige Information verbreiten. 14 Medienschaffende* sitzen ebenfalls hinter Gittern.

Welche Staaten nutzen aktuell am stärksten die Krise, um die Pressefreiheit einzuschränken?

Ganz besonders schlimm ist sicherlich die Lage in China. Wir sehen hier, dass einige Bürgerjournalisten, die aus Wuhan, dem Epizentrum der Corona-Pandemie in China, über Zustände in Krankenhäusern berichtet haben, entweder bis heute ganz verschwunden oder zeitweise verschwunden sind. Wir wissen nicht, was mit ihnen passiert ist. Sie haben einfach nur gezeigt, dass die vermeintlich erfolgreiche Bekämpfung des Coronavirus eben doch nicht so erfolgreich war. Diese Information versucht der Staat zu unterdrücken.

Aber nicht nur China unterdrückt im Zuge der Pandemie die freie Berichterstattung?

Es gibt viele andere Beispiele. In Armenien durften auf einmal Journalisten, wenn sie über Corona berichteten, nur offizielle Informationen verwenden. In Serbien haben wir den Fall einer Journalistin, die kurzfristig verhaftet wurde, weil sie über Zustände im Krankenhaus von Novi Sad berichtet hatte. In Ungarn wurde ein Notstandsgesetz verabschiedet, das es ermöglicht, Journalisten, wenn sie vermeintlich unausgewogen berichtet haben, bis zu fünf Jahre ins Gefängnis zu stecken. Und da könnte ich leider noch sehr viel mehr erzählen. So wie sich das Virus weltweit verbreitet hat, hat sich die Repression weltweit verstärkt, eine totalitäre Gleichzeitigkeit.

Christian Mihr
Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne GrenzenBild: Reporter ohne Grenzen/Schler

Blicken wir Richtung USA. Das Land galt als das der freien Meinungsäußerung. Was beobachten Sie dort?

Auch in den USA sehen wir, dass sich zuvor schon bedenkliche Tendenzen verschärfen. Einerseits sehen wir das bei Donald Trump persönlich, der ist für eine Verschlechterung der Pressefreiheit persönlich verantwortlich. Wir sehen, dass auch jetzt Journalisten, die unterschiedliche epidemiologische Sichtweisen anführen oder die Politik kritisieren, pauschal diffamiert werden, pauschal beschimpft werden zum  Beispiel unter dem Begriff ‘Fake News'. Das setzt sich fort. Wir hatten ja in vergangenen Jahren durchaus eine bedenkliche Entwicklung in den USA., dass die Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten in einigen Regionen auch in reale Gewalt und in Übergriffe umgeschlagen sind. Und da müssen wir mal abwarten, ob diese Tendenz sich auch fortsetzt.

Welche Rolle spielen Fake News?

Ich spreche lieber von Falschnachrichten und auch Desinformation. In der russischen Desinformationskampagne zum Beispiel, geht es darum, was in Europa nicht funktioniert, was angeblich in Deutschland nicht funktioniert. Beispielsweise, dass das Gesundheitssystem angeblich überfordert sei. In den USA haben wir Medien wie Fox News, ein privater Sender, der aber sehr nah an der Regierung steht, fast schon eine Art Sprachrohr ist. Dort werden Informationen relativ unkritisch verbreitet, wie bezüglich dieser Frage, die auf der Pressekonferenz von Trump aufgeworfen wurde, dass man angeblich Desinfektionsmittel injizieren sollte, was grob fahrlässig ist.

Wie steht in Ihren Augen im internationalen Vergleich Deutschland da?

In Deutschland sehen wir keine systematischen Einschränkungen von Rechten von Journalisten. Die Frage der Corona Tracing Apps hingegen ist ein Thema, wo wir genau hinschauen. Ich glaube, Pressefreiheit ist kein absolutes Recht. Man muss abwägen, was schwerer wiegt, wenn es um die Gesundheit von Menschen geht. Aber man muss auch aufpassen in der Abwägung. Wenn eine solche App eingeführt wird, kann die aus guten Gründen gerechtfertigt sein, um das Virus einzudämmen, aber man muss aufpassen, dass nicht der journalistische Quellenschutz unter die Räder gerät.

Welche strukturellen Probleme ergeben sich aus der Krise für den Journalismus?

Wir sehen, dass sich weltweit das strukturelle Problem der Finanzierung ergibt. Vor allem in prekären Medienmärkten verschärft sich die Situation dadurch, dass zum Beispiel Werbeeinnahmen wegbrechen und eventuell der Staat finanziell einspringen muss, Das bietet die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und diesen Einfluss zu missbrauchen. Da wird dann nicht mehr nur versucht, durch das Schalten von Werbung Einfluss zu gewinnen.

Welche langfristigen Konsequenzen ergeben sich für die Medienlandschaft aus dieser Krise?

Also ich finde es tatsächlich noch zu früh, eine Aussage zu treffen, weil wir wirklich nicht wissen, wie lange es dauert. Ich glaube, es sind zwei Dinge, die sich positiv wie negativ sicherlich verstärken werden. Einerseits werden wir tatsächlich weltweit die Frage der Finanzierung privater Medien neu stellen müssen. Das ist eine Frage die sich nach dem Ende der Krise noch schärfer stellen wird. Wie finanziert sich Journalismus heutzutage? Andererseits passiert ja gerade ganz großartiger Journalismus weltweit, der Korruption hinterfragt, aber auch Wissenschaft journalistisch kennen lernt. Wir erleben viel Recherche, Hinterfragen von Regierungslinien und Politik auf der ganzen Welt, Journalisten, die mutig das hinterfragen, selbst in Ländern wie China.

Christian Mihr ist Journalist, Menschenrechtsaktivist und Experte für internationale Medienpolitik. Seit 2012 ist er Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland.

Das Interview führte Anne Höhn.

* Der Begriff Medienschaffende umfasst alle Medien gestaltenden Tätigkeiten, also zum Beispiel auch Fotografen, Kameraleute, Cutter, etc.