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Bauernproteste - Umsturzphantasien von rechts

8. Januar 2024

Bauernproteste haben eine lange Tradition in Deutschland. Aber der gezielte Versuch von Rechtsextremisten, die Wut der Landwirte für ihre eigenen Ziele zu instrumentalisieren, alarmiert Beobachter.

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Traktoren in einer Reihe vor dem Brandenburger Tor
Bauernproteste gegen die Politik der deutschen Bundesregierung - Traktoren blockieren die Straße des 17. Juni in BerlinBild: Sean Gallup/Getty Images

Bauern fahren mit ihren riesigen Traktoren in langen Konvois über Autobahnen und Landstraßen in Deutschland. Sie sammeln sich auf Plätzen und Kreuzungen und blockieren den Verkehr. In ganz Deutschland haben Landwirte mit Straßenblockaden und Treckerkonvois gegen die Politik der Bundesregierung protestiert. Es ist der Auftakt zu einer ganzen Protestwoche in Deutschland und zehntausende Traktoren sind unterwegs. Auslöser waren die geplanten Kürzungen der Subventionen für Agrardiesel durch die Bundesregierung von Bundeskanzler Olaf Scholz.

Bauern blockieren bundesweit Straßen

Die Versammlungen der Riesenmaschinen sehen beeindruckend aus. Und die Bilder vom Bauernprotest gegen die Regierungspolitik verbreiten sich entsprechen millionenfach in den sozialen Medien. "Die Bauernproteste sind ein Kampf um die Bilder", analysiert der Kommunikationsberater Johannes Hillje. "Bilder sind für rechtsextreme Medienmacher ein strategisches Einfallstor."

Bauernproteste: "Testlauf für deutschen Maidan"

Auf Facebook, TikTok und dem Twitter Nachfolger X haben sich rechtsextreme Aktivisten praktisch geschlossen hinter dem Bauernprotest versammelt. Und sie heizen die Stimmung gezielt an. In Dresden mischten sich nach Angaben der Dresdner Neuen Nachrichten rechtsextreme Gruppierungen unter die Demonstranten und wetterten auf einer Kundgebung gegen Migranten.

In Berlin wurden vereinzelt rechte Flaggen gezeigt. In Cottbus fuhren zahlreiche AfD-Anhänger zusammen mit den Treckern durch die Innenstadt, berichtet die Berliner Zeitung. Nach Informationen des Bayerischen Rundfunks waren Vertreter der Identitären Bewegung sowie des Dritten Weges auf der Kundgebung in München vertreten.

Der Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, beschwört in den Bauernprotesten schon einen "Testlauf für einen deutschen Maidan" - eine Anspielung auf Proteste in der Ukraine, als Ende 2013 Hunderttausende Regierungsgegner auf die Straße gegangen waren. Die Identitäre Bewegung vertritt ein rassistisches Weltbild und ruft in Deutschland zum Kampf gegen den Islam und Einwanderung auf.

Deutschland Identitäre Bewegung Rechtsradikale
Die Ideologie der "Identitären Bewegung" verstößt laut deutschem Verfassungsschutz gegen die von der Verfassung garantierte MenschenwürdeBild: Sachelle Babbar/Zumapress/picture alliance

Ein von der "Rechercheplattform zur Identitären Bewegung" auf X veröffentlichtes Video von Martin Sellner macht deutlich, wie strategisch die extreme Rechte im Rahmen der Bauernproteste vorgehen will. Das eigene Lager solle sich erst einmal zurückhalten: "Wenn wir uns beteiligen - nicht in die erste Reihe drängen, nicht mit eigenen Ideen und Parolen, sondern helfend da sein und vor allem unser Mobilisierungspotential auf die Straße bringen. Nur dann entsteht auch keine Immun- und Abstoßungsreaktion."

Vor allem auch die in Teilen rechtsextreme Partei AfD feuert derzeit auf allen Kanälen gegen die deutsche Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen und solidarisiert sich mit dem Protest der Bauern gegen die Kürzungen beim Agrardiesel.

Der rechtsextreme AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke im Vordergrund, dahinter Männer und Deutschlandflaggen
Der rechtsextreme AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke will 2024 Ministerpräsident von Thüringen werdenBild: Kai Horstmann/imago images

Der mächtige Chef des AfD-Landesverbandes in Thüringen, Björn Höcke, appelliert auf Facebook: "Mitbürger, sehen wir uns auf der Straße!" Höcke hatte sich in der Vergangenheit schon an einem Neonazi-Aufmarsch beteiligt und darf laut Gerichtsbeschluss als Faschist bezeichnet werden. Pikant: In ihrem Grundsatzprogramm spricht sich die AfD selbst für eine Streichung der Subventionen für Landwirte aus.

AfD setzt auf Dauer-Protest

Seit Jahren versucht die AfD so gut wie jede Form von Protest gegen deutsche Bundesregierungen für sich zu nutzen, zuletzt bei den Demonstrationen gegen die umstrittenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Und die Partei scheint damit erfolgreich zu sein: Die AfD befindet sich in einem Umfragehoch und rechnet sich Chancen aus, im Jahr 2024 gleich bei mehreren deutschen Landtagswahlen stärkste Partei zu werden. Kritiker warnen deswegen, dass erstmals seit 1945 und dem Ende der NS-Diktatur unter Adolf Hitler wieder ein Rechtsextremist ein Regierungsamt ausüben könnte.

Beobachter sind besorgt, dass die AfD die Bauernproteste für demokratiefeindliche Ziele nutzen könnte. Sie sind sich einig, dass der Protest demokratisch und legitim sei. Aber sie fürchten, dass auch wenn am Ende nur eine kleine Minderheit der Protestteilnehmer rechtsextrem bleibe, die Deutungshoheit trotzdem von Rechtsextremisten errungen werde.

Davor warnt etwa der Extremismusforscher Matthias Quent in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. "Mein Eindruck ist, dass der Bauernverband den Kampf um die Deutungshoheit in den sozialen Netzwerken längst verloren hat. Dort kann man lesen: Es geht nicht um den Agrardiesel, es geht um das große Ganze. Man wolle Deutschland lahmlegen. Es ist der Tag X, sozusagen der Beginn einer nationalen Revolte."

"Landvolk" - Bauern mit antisemitischer Tradition

Quent fordert von den Landwirten eine klare Abgrenzung von rechtsextremen Teilnehmern in den eigenen Reihen. "Die Bäuerinnen und Bauern, die da protestieren, sind nicht nur zu verbalen Abgrenzungen aufgerufen, sondern sie müssen auch dafür sorgen, dass ihre Proteste eben auch optisch nicht instrumentalisierbar und ausbeutbar sind."

In der Vergangenheit geschah das Gegenteil von Abgrenzung. Seit einigen Jahren zeigen Bauern bei ihren Protesten vermehrt das Symbol der sogenannten "Landvolk"-Bewegung: einen weißen Pflug mit einem roten Schwert auf schwarzem Grund.

Die gründete sich im Deutschland der 1920er-Jahre und war zutiefst antisemitisch, rassistisch und antidemokratisch. Das Symbol taucht zwar nur selten bei den Bauernprotesten auf, eine Abgrenzung durch andere Landwirte erfolgte aber nicht.

Deutsche Welle Pfeifer Hans Portrait
Hans Pfeifer Autor und Reporter