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Bangladeschs Textilarbeiterinnen in Sorge

Shafi Musaddique
11. Juni 2021

Nach dem Unglück von Rana Plaza 2013 setzte ein Abkommen Mindeststandards in Bangladeschs Textilfabriken. Doch das Abkommen läuft nun aus. Gewerkschaften fürchten eine Rückkehr in riskante Zeiten.

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Näherinnen in Bangladesh sitzen mit Maske an Nähmaschinen
Bild: Mortuza Rashed/DW

Die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Bekleidungsfabriken in Bangladesch sind verunsichert. Ende Mai ist eine verbindliche Vereinbarung zum Brandschutz und der Gebäudesicherheit zwischen großen internationalen Marken, Einzelhändlern und Gewerkschaften ausgelaufen.

Das sogenannte Bangladesch-Abkommen wurde nur wenige Wochen nach dem Rana-Plaza-Einsturz 2013 unterzeichnet - von rund 200 Marken und Einzelhändlern. Noch läuft eine dreimonatige Verlängerung, die insgesamt 56 Marken mittragen, darunter H&M, die Zara-Mutter Inditex, Adidas, Puma, Uniqlo, Otto Group, Bestseller, KIK und Tchibo.

Rana Plaza Katastrophe
Unvergessen: Beim Einsturz von Rana Plaza starben mindestens 1100 MenschenBild: Reuters

Die weltweit aktiven Gewerkschaften Uni Global und IndustriALL haben das Bangladesh-Abkommen mit unterzeichnet. Dessen Ende halten sie für einen Schritt zurück, multinationale Marken würden ihre Lieferketten dann wieder selbst kontrollieren. Aus Sicht der Gewerkschaften ginge das auf Kosten von Transparenz und Rechenschaftspflicht und würde somit das Leben von Millionen von Arbeitern in der Industrie gefährden. 

Christina Hajagos-Clausen, Direktorin für die Textil- und Bekleidungsindustrie bei der Gewerkschaft IndustriALL befürchtet, eine von den Marken geschaffenen Dachorganisation könnte schon bald die Inspektionen in den Fabriken übernehmen, anstelle der unabhängigen Prüfer, die diese Aufgabe derzeit wahrnehmen.

"Einzelne Marken müssen zur Rechenschaft gezogen werden, es kann nicht nur ein Verband sein, der die Verantwortung übernimmt", sagt sie. Selbstkontrolle habe stets zu schlecht verwalteten Fabriken geführt.

Die Tragöde von Rana Plaza und der Wandel

Rückblick ins Jahr 2013: Mindestens 1100 Menschen kamen beim Einsturz einer Textilfabrik nordwestlich der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch ums Leben. Das Ereignis ist als die große Industriekatastrophe in Erinnerung geblieben - auch wenn es nicht die letzte war. 

Das kurz darauf beschlossene Abkommen sah Mechanismen vor, mit denen Fabrikarbeiter Beschwerden einreichen konnten, in Beiräten saßen und Schulungen erhielten, um Verstöße gegen den Gesundheitsschutz und Sicherheitsvorschriften zu erkennen.

Der Erfolg des Bangladesch-Abkommens beruhe auf einer Struktur, in der die Gewerkschaften gleichberechtigt mit den Marken seien, unterstützt von einem unabhängigen Gremium mit klaren Transparenzverpflichtungen, sagt Christy Hoffman, die Generalsekretärin der Gewerkschaft Uni Global.

"Wir waren in der Lage, mit den Marken zu arbeiten, trotz einiger sehr schwieriger Momente im Laufe der Jahre. Wir sind nicht immer mit allem einverstanden, im Gegenteil. Aber wir haben daran gearbeitet, einen Konsens in vielen der schwierigen Fragen zu finden, wenn es um die Inspektion von Tausenden von Fabriken geht", so Hoffman.

Laut vieler Fabrikarbeiterinnen in Bangladesch hat das Abkommen tatsächlich ihr Leben verbessert. "Ich glaube fest daran:Das Abkommen schützt uns davor, bei Feuerunfällen und Gebäudeeinstürzen zu sterben", sagt Ronjona Aktar Hashi, die in einer Fabrik am Stadtrand von Dhaka arbeitet.

Mohammad Muzaffar hat bei einem Fabrikeinsturz ein Bein verloren. Er befürchtet, dass sich "die Situation der Bekleidungsarbeiter verschlechtern wird", wenn das Abkommen nicht so fortgesetzt wird, wie es seit 2013 der Fall ist. "Wir haben große Brandschutztüren in vier Fabriketagen installiert. Wir haben Feuerlöscher in jedem Stockwerk. Das alles gab es vorher nicht."

Ein Modell in Gefahr

Im Januar 2020, nur wenige Monate vor Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa, lobte ein Bericht der Europäischen Kommission das Bangladesch-Abkommen als Goldstandard für Sorgfaltspflicht in der Lieferkette. Die EU arbeitet derzeit an einer Gesetzgebung, die europäische Unternehmen rechtlich verbindlich für ihre Lieferketten verantwortlich machen soll. In Deutschland hat der Bundestag am Freitag (11.06.2021) bereits ein eigenes Lieferkettengesetz beschlossen.

Bangladesch Textilfabrik in Dhaka | Arbeiterinnen
Die Arbeiterinnen in der Textilindustrie hoffen, dass Fabriken weiter gut überwacht werdenBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Hasan

Die dänische EU-Abgeordnete Karen Melchior sagte, die europäischen Gesetzgeber "müssen sicherstellen, dass die Menschenrechte der Arbeiter geschützt werden - und zwar durch verpflichtende Vorgaben". Dazu gehöre auch, nur Handelsabkommen zu unterzeichnen, die sich an die Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) halten.

"Einzelne Unternehmen haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihre Produktion Mindeststandards einhält, auch wenn die Regierungen oder Behörden in diesem Land die Fabriken und Produzenten nicht in die Verantwortung nehmen", sagte sie der DW.

Viele Firmen setzen nun auf den RSC (Ready-Made Garments Sustainability Council), ein im Mai 2020 eingerichtetes Gremium von Industrie, Gewerkschaften und Textilmarken, das die Einhaltung von Standards überwachen soll.

Die Otto Group, ein großer deutscher Textilhändler, teilte mit, man sehe sich "verpflichtet, den RSC zum Industriestandard zu machen, um die Sicherheit der Arbeiter im gesamten Bekleidungssektor von Bangladesch jetzt und in Zukunft zu gewährleisten".

Auch Aldi Nord hat sich dem RSC angeschlossen. "Wir verpflichten uns, die Unabhängigkeit, die Ressourcen und die Finanzierung dieser Organisation zu sichern, um die Sicherheit am Arbeitsplatz für alle Arbeiter in Bangladesch jetzt und in Zukunft zu gewährleisten"

Christie Miedema, Arbeitsrechtsaktivistin bei der "Kampagne für Saubere Kleidung", fürchtet hingegen, dass die Pandemie es einigen Unternehmen ermöglicht haben könnte, "einen Schritt zurückzutreten, wenn niemand zuschaut".

Adaptiert aus dem Englischen