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Autonomie für Donbass?

Roman Goncharenko17. Juli 2015

Unter Zeitdruck beeilt sich die Ukraine, faktische Autonomie für die prorussischen Separatistengebiete in der Verfassung zu verankern. Es geht um den Kern des Minsker Abkommens. Doch in Kiew wächst Widerstand.

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Poroschenko im Parlament (Bild: TASS)
Bild: picture-alliance/dpa/TASS/M. Lazarenko

Die kalte Dusche aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten. Der in Kiew vorbereitete Entwurf über Verfassungsänderungen in der Ukraine sei "eine Übung in politischer Demagogie", hieß es am Freitag aus dem russischen Außenministerium. Das Papier habe keinen Bezug zu dem im Februar in Minsk unter westlicher Vermittlung unterzeichneten Waffenstillstandsabkommen zwischen prorussischen Separatisten in der Ostukraine und der Regierung in Kiew. Ähnlich äußerten sich zuvor Vertreter der Separatisten. Die Ukraine habe die Verfassungsänderungen mit ihnen nicht abgestimmt, so der Vorwurf.

In Kiew sieht man das anders. Mit dem Verfassungsentwurf halte sich die Ukraine "bis aufs Komma" an das Minsker Abkommen, sagte Präsident Petro Poroschenko vor der Abstimmung am Donnerstag im Parlament. Mit 288 Stimmen votierten die Abgeordneten dafür, den Entwurf zur Prüfung an das Verfassungsgericht weiterzuleiten. Dieses soll voraussichtlich bis Ende August sein Urteil fällen. Damit die neue ukrainische Verfassung in Kraft tritt, muss das Parlament noch zweimal den Text verabschieden, zuletzt mit der sogenannten Verfassungsmehrheit von mindestens 300 Stimmen.

Verfassungsreform unter Zeitdruck

Es ist die zweite Reform der ukrainischen Verfassung seit ihrer Verabschiedung 1996. Im Kern geht es um die Umsetzung des Minsker Abkommens und den Umgang mit den ostukrainischen Gebieten um Donezk und Luhansk, die seit über einem Jahr in weiten Teilen von prorussischen Separatisten kontrolliert werden.

Dabei steht Kiew immer mehr unter Zeitdruck. Die Ukraine hat sich in Minsk zu einer "Dezentralisierung", einer Machtumverteilung zu Gunsten der Regionen, verpflichtet. Was genau das für die umkämpften Gebiete im Kohlerevier Donbass bedeutet, ist in einer Anmerkung zum 11. Punkt detailliert beschrieben. So sollen Separatisten unter anderem straffrei bleiben, über die Besetzung von Staatsanwalts- und Richterstellen mitbestimmen und eigene Sicherheitskräfte ("Volkspolizei") haben dürfen. Die Ukraine verpflichtet sich zudem, diese Gebiete zu finanzieren. Die neue Verfassung soll bis Ende 2015 in Kraft treten.

Pro-russische Separatisten in Donezk (Bild: dw)
Werden prorussische Separatisten straffrei ausgehen?Bild: DW/K. Logan

Nuland bei der Abstimmung in Kiew

Wie wichtig die Reform ist, zeigt wohl die persönliche Präsenz der Europabeauftragten der US-Regierung, Victoria Nuland, bei der Abstimmung im Parlament. Zuvor traf sich Nuland mit Abgeordneten in Kiew und versuchte sie zu überzeugen, für den Verfassungsentwurf zu stimmen.

Zwei Tage vor der Abstimmung telefonierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande mit dem ukrainischen Parlamentsvorsitzenden Wolodymyr Hrojsman, um die Verfassungsreform zu besprechen. Vor diesem Hintergrund berichteten manche Politiker in Kiew vom "gewaltigen Druck", den der Westen öffentlich, aber auch hinter den Kulissen ausübe. "Mit diesen Verfassungsänderungen werden wir den Status der besetzten Gebiete legitimieren, was ich für eine Niederlage der Ukraine halte", sagte Serhij Taruta, ehemaliger Gouverneur des Gebiets Donezk. "Da wurde grober Druck auf die Ukraine ausgeübt", so der Kiewer Außenpolitik-Experte Bohdan Jaremenko im Gespräch mit der DW. Er glaubt, der Westen versuche den Konflikt auf Kiews Kosten zu lösen. Präsident Poroschenko dementierte jeglichen Druck.

Die Ukraine geht in Vorleistung

Fest steht, dass diese Verfassungsreform die Ukraine auf eine harte Probe stellt. Das wurde bei der Abstimmung deutlich. Mehr als 20 Abgeordnete der Poroschenko-Partei enthielten sich. Auch in der "Volksfront" des Regierungschefs Arseni Jazenjuk gab es zehn Abweichler. Applaus bekam die Verfassungsreform dagegen von dem prorussischen "Oppositionellen Block", der aus Mitgliedern der ehemaligen "Partei der Regionen" des geflüchteten Präsidenten Viktor Janukowitsch besteht.

Putin in Minsk (Bild: epa)
Kritiker in Kiew warnen vor einer Verfassungsreform als "Putins Sieg"Bild: picture-alliance/dpa/A. Zemlianichenko

Doch kritische Stimmen werden immer lauter. Viele sind empört, sagen, dass die Ukraine mit der Verfassungsreform in Vorleistung gehe. Denn die im Minsker Abkommen festgehaltene Kernforderungen Kiews an die Separatisten - der Abzug aller bewaffneten Verbände und die Schließung der Grenze zu Russland - sind bisher unerfüllt. Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass für diese Punkte kein Zeitplan vorgesehen ist.

Warnung vor neuen Spannungen

Als größte Kritikerin des Verfassungsentwurfs gilt die stellvertretende Parlamentsvorsitzende Oxana Syrojid von der Partei "Samopomitsch" (Selbsthilfe). Ihre Partei ist auch Mitglied der Regierungskoalition, stimmte jedoch gegen die Verfassungsreform. "Jeder Sonderstatus für Donbass würde russische Truppen und Freischärler auf ukrainischem Territorium legitimieren", empörte sich Syrojid im sozialen Netzwerk Facebook und erhielt viel Zustimmung.

Vor einer "Kapitulation" vor Russlands Präsident Wladimir Putin und den Separatisten warnte auch Serhij Rachmanin von der renommierten Kiewer Wochenzeitung "Dserkalo Tyschnja". "Man schlägt uns vor, Verbrecher von der Strafe zu befreien und sie aus dem Haushalt zu finanzieren", schrieb er nach der Abstimmung im Parlament. Seine Befürchtung: Die Verfassungsreform würde zu einer Verschärfung der innenpolitischen Lage und neuen Spannungen in der Ukraine führen.